# taz.de -- Klimaschützer*innen unter Druck: Repressionen nehmen global zu
       
       > Die Bundesrepublik verfolgt Aktivist*innen für ihre Proteste. Woanders
       > ist es nicht besser. Die Bewegung reagiert mit Knastschulungen und
       > Beratung.
       
 (IMG) Bild: Die Handschellen klicken immer schneller zu: Aktivist*in in Berlin Spandau nach einer Straßenblockade 2023
       
       HAMBURG taz | Knapp eine Million Euro – auf diesen Betrag kommt man, wenn
       man die Geldstrafen, die [1][gegen Aktivist*innen der Letzten
       Generation bislang ergangen sind], zusammenrechnet. Hinzu kommen mehrere
       hundert Tage Gefängnis, die sie bisher absitzen mussten – meist als
       Präventivhaft, also ohne, dass sie verurteilt wurden.
       
       Allein die Staatsanwaltschaft des Landes Berlin hat schon mehr als 3.700
       Verfahren gegen die Letzte Generation geführt. Bundesweit dürften es
       insgesamt bislang um die 5.000 Verfahren sein – weitere kommen Woche für
       Woche hinzu. Das schwerste strafrechtliche Instrument, das die
       Bundesrepublik jemals gegen Klimaschützer*innen eingesetzt hat, trifft
       die Letzte Generation seit dem vergangenem Jahr: die [2][Ermittlungen wegen
       des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch die
       Staatsanwaltschaften München und Neuruppin].
       
       Menschen- und Umweltrechtsorganisationen wie Amnesty International und
       Green Legal Impact kritisieren schon seit Monaten, dass demokratische
       Teilhabe und Grundrechte auch in Deutschland beschnitten werden – vor allem
       [3][Klimaaktivist*innen seien von zunehmender Repression betroffen].
       
       Die rechtliche Grundlage dafür bieten die in den vergangenen Jahren
       verschärften Polizeigesetze der Länder und des Bundes. Aber auch der
       politische Druck und – infolgedessen – der Verfolgungswillen der Behörden
       sind gestiegen. Ob wirklich eine Anzeige kommt, wenn Protestierende auf der
       Straße festgenommen werden, war früher nicht immer ausgemacht. Heute ist
       das anders. Und wo früher der Rahmen des möglichen Strafmaßes oft nicht
       ausgeschöpft wurde, sehen sich Aktivist*innen heute schnell mit
       Maximalforderungen konfrontiert.
       
       Auch die Bewegung hat ihren Umgang mit den staatlichen Repressionen
       verändert. Anhänger*innen von Extinction Rebellion und der Letzten
       Generation versuchen in der Regel erst gar nicht, sich der Strafverfolgung
       zu entziehen, sondern sie für sich zu nutzen. Auch das erklärt die hohe
       Zahl an Verfahren gegen Aktivist*innen. Doch sie gehen nicht unvorbereitet
       in Strafprozesse oder Gefängnisaufenthalte: Die Bewegung reagiert mit
       Workshops und Unterstützungsangeboten auf die verschärften Strafen.
       
       ## Lernziel Mentale Stärke
       
       Holger Isabelle Jänicke hat Gefängnistrainings entwickelt, die sich
       speziell an die Letzte Generation richten. „Das A und O sind mentale Stärke
       und ein gutes Unterstützernetzwerk“, sagt Jänicke. Er*sie selbst saß mal
       neun Monate lang im Knast, Anfang der 1980er war das, nach Blockaden gegen
       den Raketenstützpunkt Mutlangen in Baden-Württemberg. Nach der Freilassung
       habe Jänicke angefangen, Interessierten beizubringen, wie die
       Kommunikation im Knast funktioniert, wie die Tage ablaufen und welche
       Rechte Insassen haben. Nach ein paar Jahren hörte Jänicke auf, weil er*sie
       nicht mehr auf dem aktuellen Stand war, weil sich auch Knastabläufe über
       die Jahre verändern.
       
       2022 musste Jänicke erneut ins Gefängnis – eine Protestaktion auf einem
       Militärflugplatz im rheinland-pfälzischen Büchel brachte ihm*ihr 90
       Tagessätze, die er*sie in 30-tägiger Ersatzfreiheitsstrafe absaß. „Das war
       nervig“, sagt Jänicke, „aber jetzt kann ich wieder was dazu sagen.“ Die
       Trainings seien Monate im Voraus ausgebucht.
       
       ## Global verbreitet
       
       Immer härteres staatliches Durchgreifen gegen Klimaaktivist*innen ist
       nicht nur ein deutsches Phänomen. Line Niedeggen hat sich auf Hilfe für
       Protestierende spezialisiert, die davon betroffen sind – aber global. Dafür
       hat sie die [4][Organisation Climate Activist Defenders gegründet]. „Wir
       sehen, dass die Repression weltweit zunimmt“, sagt sie. Besonders schlimm
       sei es derzeit in Uganda, Pakistan, Indien oder Kolumbien. Nicht immer sei
       dabei jedoch klar, ob jemand im Rahmen eines Klima- oder eines anderen
       Konflikts Opfer staatlicher oder paramilitärischer Gewalt geworden sei.
       
       Immerhin habe sich die Sensibilität für das Thema Klimaschutz und damit
       einhergehende Repressionen erhöht. [5][Indigene Bauern oder Teile der
       Landbevölkerung etwa, die ihre Grundstücke gegen umweltschädliche Projekte
       oder Landraub verteidigen], wurden früher nicht der Klimabewegung
       zugerechnet – heute hingegen schon. Auch Menschenrechtsorganisationen
       wie Front Line Defenders oder Amnesty International, die eigentlich wenig
       zum Thema Klimaaktivismus arbeiteten, bekämen derzeit immer mehr
       Unterstützungsanfragen von Klimaaktivist*innen, sagt Niedeggen.
       
       [6][Climate Activist Defenders] berät Klimaaktivist*innen in
       rechtlichen Fragen und bürokratischen Prozessen, hilft finanziell, schult
       Betroffene in Sachen digitale Sicherheit und vermittelt Kontakte zu lokalen
       Netzwerken auf der ganzen Welt. Von [7][indigenen Gemeinschaften, die
       weltweit am stärksten von Klimarepressionen] betroffen seien, könnten
       Aktivist*innen in Europa viel lernen, so Niedeggen. Und: „Das
       Wichtigste ist in jedem Fall, Betroffene nicht mit den Folgen allein zu
       lassen.“
       
       1 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Raphael-Thelen-ueber-Aktivismus/!5992672
 (DIR) [2] /Ist-die-Letzte-Generation-kriminell/!5975511
 (DIR) [3] /Bericht-von-Amnesty-International/!5961355
 (DIR) [4] https://climateactivistdefenders.org/
 (DIR) [5] /Streit-um-Guyana-Essequibo/!5991174
 (DIR) [6] https://climateactivistdefenders.org/
 (DIR) [7] /Alternative-Nobelpreise-2023/!5963046
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Letzte Generation
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Extinction Rebellion
 (DIR) Letzte Generation
 (DIR) Hildesheim
 (DIR) Treptower Park
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
 (DIR) Tesla
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Verfahren gegen Letzte Generation dauert: Kriminell oder nicht kriminell?
       
       AktivistInnen der Letzten Generation droht Anklage wegen Bildung einer
       kriminellen Vereinigung – doch entschieden ist nach über einem Jahr nichts.
       
 (DIR) Prozess gegen Klimaaktivisten: Mit Stahlrohr gegen den Klimawandel
       
       Elmar Keul ist Lehrer – und bei Extinction Rebellion. Aktuell steht er
       wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht.
       
 (DIR) Letzte Generation: Eher magere Beteiligung
       
       Die Letzte Generation hat am Samstag kurzzeitig die Warschauer Brücke
       blockiert.
       
 (DIR) Psychologe über Klimaschutz-Weitsicht: „Ernüchternde Befunde“
       
       Hildesheimer Psycholog*innen haben nachgewiesen, dass die Interessen
       künftiger Generationen bei aktuellen Verhandlungen kaum berücksichtigt
       werden.
       
 (DIR) Klimaprotest in Berlin: Trommelnd gegen die Fossilindustrie
       
       Hunderte Aktivist*innen blockierten am Samstag die Elsenbrücke zwischen
       Friedrichshain und Treptow – auch um gegen die A100-Pläne zu protestieren.
       
 (DIR) Kriminalisierung von Klimaprotesten: Verhaftungen schüren Angst
       
       Indische Behörden schüchterten Protestwillige ein, indem sie sie
       kriminalisieren, sagen Aktivist:innen. Dabei gebe es viele Gründe, zu
       demonstrieren.
       
 (DIR) Besetzung bei Tesla-Werk: Baumhäuser gegen Elektroautos
       
       Aktivist*innen besetzen ein Waldstück in Grünheide in Brandenburg, das
       der US-Autobauer Tesla für seine Werkserweiterung roden lassen will.
       
 (DIR) Arne Semsrott über seine Anklage: „Es fehlt eine Abwägung mit der Pressefreiheit“
       
       Gegen „FragDenStaat“-Chef Arne Semsrott laufen bei der Staatsanwaltschaft
       Berlin Ermittlungen. Er leakte Gerichtsakten zur Letzten Generation.
       
 (DIR) Kriminalisierung der Klima-Bewegung: Verfolgte Aktivist:innen
       
       Der „Green Legal Spaces Report“ beklagt eine zunehmende Beschränkung der
       politischen Teilhaberechte. Aber gibt es ein Recht auf zivilen Ungehorsam?