# taz.de -- Psychologe über Klimaschutz-Weitsicht: „Ernüchternde Befunde“
       
       > Hildesheimer Psycholog*innen haben nachgewiesen, dass die Interessen
       > künftiger Generationen bei aktuellen Verhandlungen kaum berücksichtigt
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Finden im intergenerationellen Gespräch kein Gehör: Aktivist*innen wie Benjamin Gras von der Gruppierung „Future for Kempten“
       
       taz: Herr Majer, Ihre Forschung bestätigt, dass die Interessen
       nachfolgender Generationen in Verhandlungen kaum berücksichtigt werden. Wie
       schlimm ist die Lage? 
       
       Johann Majer: Es ist tatsächlich ein sehr ernüchternder Befund. Er zeigt,
       dass wir nicht davon ausgehen können, dass die Interessen nachfolgender
       Generationen in Verhandlungen berücksichtigt werden.
       
       Wie haben Sie das untersucht? 
       
       Wir haben Proband*innen in verschiedene simulierte Konfliktsituationen
       hineinversetzt und ihnen jeweils Informationen über ihre eigenen Interessen
       und über die der nachfolgenden Generationen gegeben. Einmal ging es zum
       Beispiel um konkurrierende Forstbetriebe, die untereinander Ressourcen,
       also Holz, verteilen sollten. Es besteht immer ein Konflikt, der zwischen
       den Parteien gelöst werden soll. Die Konfliktlösung bestimmt aber auch, wie
       die Situation für künftige Generationen gestaltet wird.
       
       Diese Lösungen haben die Interessen nachfolgender Generationen nicht
       berücksichtigt? 
       
       Genau.
       
       Welche Faktoren haben Einfluss auf die Berücksichtigung? 
       
       Wenn Parteien der Gegenwart Abwägungen zwischen ihren eigenen Interessen
       und denen nachfolgender Generationen treffen mussten, waren ihre
       Verhandlungslösungen sehr selbstdienlich. Da haben wir uns gefragt: Was
       ist, wenn wir die Verhandlungsparteien kompensieren? Also in dem Beispiel
       gesprochen: Für jeden Baum, den ihr stehen lasst, also für die nachhaltige
       Lösung, bekommt ihr eine Kompensation. Trotzdem haben wir praktisch das
       gleiche Ergebnis herausgefunden: Der Effekt war nicht ganz so stark wie in
       den ersten zwei Studien, aber er war immer noch da. Dabei hätten die
       Konfliktparteien in diesem Setting nur daran denken müssen, die Interessen
       nachfolgender Generationen zu berücksichtigen! Das ist sehr ernüchternd.
       
       In der Realität werden die Interessen nachfolgender Generationen oft nicht
       berücksichtigt, obwohl sie am meisten unter der [1][Klimakrise] leiden
       werden. 
       
       In unserem dritten Setting waren die Auswirkungen auf nachfolgende
       Generationen stärker, davor hatten wir die Labor-Settings symmetrisch
       aufgebaut. Das dritte Setting ist die Variante, die der Realität am ehesten
       entspricht. Selbst da war der Effekt ähnlich, in der Tendenz sogar noch
       stärker.
       
       Wieso werden die Interessen folgender Generationen nicht berücksichtigt? 
       
       Empirisch können wir darüber noch keine Aussagen treffen. Ein erster Fokus
       zukünftiger Forschung sollte sein, den psychologischen Prozess genauer zu
       verstehen: Ist das ein bewusstes Ausblenden der Interessen nachfolgender
       Generationen, also eine „intergenerationale Ignoranz“?
       
       Haben Sie eine These, womit diese Ignoranz zusammenhängen könnte? 
       
       Da kommen viele psychologische Barrieren zusammen: Zum Beispiel die
       Unsicherheit, was überhaupt für künftige Generationen bleibt. Außerdem
       haben wir eine Machtasymmetrie: Diejenigen am Verhandlungstisch können
       entscheiden, zukünftige Generationen haben keine Stimme und sind auf
       Rücksicht der Verhandlungsführer*innen angewiesen. Sie können auch
       nicht reziprok handeln: Wenn ihnen also jemand etwas Gutes tut, können sie
       das nicht zurückgeben. Das ist über die Zeit gar nicht möglich. Eine andere
       spannende Frage ist: Wir haben zwar diese ernüchternden Befunde, aber was
       können wir tun, um die Interessen nachfolgender Generationen an den
       Verhandlungstisch zu bekommen? Ein Aspekt könnte sein, eine gemeinsame
       soziale Identität herzustellen und zu stärken.
       
       In die andere Richtung funktioniert Solidarität – Stichwort Rente. Wie
       können folgende Generationen ihre Interessen vertreten, so wie es ältere
       tun? 
       
       Es gibt schon viele gute Ansatzpunkte. Da draußen gibt es ja nicht nur
       Forschung, sondern viele Organisationen und Institutionen, die versuchen,
       darauf einzuwirken, dass wir die Interessen künftiger Generationen
       berücksichtigen und die Asymmetrie am Verhandlungstisch aufheben. Es ist
       wichtig, diese Arbeit zu unterstützen und diesen Organisationen eine
       stärkere Stimme zu geben.
       
       Also [2][FFF] an den Verhandlungstisch? 
       
       Ja genau! Oder wir bestimmen jemanden, der diese Interessen stärker
       vertritt, als unsere Institutionen es derzeit tun.
       
       Wir diskutieren hier über hochpolitische Fragen. Welche Rolle kann die
       [3][Psychologie] dabei spielen? 
       
       Unser Fach ist maßgeblich an den psychologischen Prozessen interessiert,
       also: Wie fühlen Leute, wie nehmen sie wahr, wie verhalten sie sich? Wir in
       unserer Forschung betrachten aber interaktive, also letztlich kollektive
       Entscheidungsprozesse. Außerdem sitzen in allen wichtigen Positionen in
       Politik, Unternehmen, Organisationen trotz allem Menschen, und bei denen
       können wir ähnliche Prozesse, Fehleinschätzungen und Biases beobachten. Die
       können wir mithilfe der Psychologie besser verstehen und ansprechen.
       
       Wo kann politische psychologische Forschung ansetzen? 
       
       Eine große Debatte ist: Was kann die Psychologie zur
       [4][sozial-ökologischen Transformation] beitragen? Bisher hat sie sich
       darauf fokussiert, Individualverhalten wie Konsum zu verändern. Das ist
       auch wichtig, aber ich denke, wir sollten uns zusätzlich auf höhere
       Entscheidungsebenen konzentrieren: Was sind die Probleme auf den Ebenen, in
       denen die strukturell wichtigen, systemrelevanten Entscheidungen getroffen
       werden, also in Unternehmen und Politik? Wichtig ist auch die Akzeptanz
       politischer Maßnahmen: Die ausgehandelten Entscheidungen müssen von der
       [5][Gesellschaft] angenommen werden. Das ist eine sehr aktuelle Debatte und
       ich würde sagen: Wir brauchen beides!
       
       11 Mar 2024
       
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