# taz.de -- Korruption in Österreich: Der Selbstbedienungsladen
       
       > Ein Prozess um zwei Demoskopinnen verdeutlicht die Korruption und
       > Manipulation in Österreich. Sie liefern Einblicke in den Filz des
       > Ex-Kanzlers.
       
 (IMG) Bild: Die frühere Familienministerin Sophie Karmasin beim Prozessauftakt im April vor dem Gericht in Wien
       
       WIEN taz | Eine Ex-Ministerin vor dem Richter, eine Politintrige im
       Hintergrund und eine Prominente im Zeugenstand: Diese Mischung sorgte am
       Dienstag für größere Aufmerksamkeit, als Korruptionsprozesse dieser
       Größenordnung in Österreich normalerweise genießen.
       
       Die prominente Zeugin wider Willen heißt Sabine Beinschab. Die Demoskopin
       hat indirekt den politischen Niedergang von Sebastian Kurz als
       Bundeskanzler und ÖVP-Chef eingeleitet. Denn 2021 wurde bekannt, dass sie
       im Auftrag des Kurz-Intimus Thomas Schmid, zur Tatzeit 2017 als
       Generalsekretär der starke Mann im Finanzministerium, geschönte Umfragen
       produziert hatte. Die wurden dann in der Gratiszeitung Österreich
       publiziert.
       
       Im Jargon der [1][ÖVP-Verschwörer, die den Aufstieg des damaligen
       Außenministers Kurz an die Regierungsspitze planten], war vom
       „Österreich-Beinschab-Tool“ die Rede. Herausgeber Wolfgang Fellner wurde
       für diesen publizistischen Fehltritt mit fetten Anzeigen aus den
       ÖVP-geführten Ministerien belohnt.
       
       Darum ging es aber am Dienstag vor einem Wiener Schöffengericht noch nicht.
       Vor dem Richter stand Sophie Karmasin, ebenfalls Demoskopin und mehrere
       Jahre Familienministerin im Kabinett von zwei Regierungen. Vorgeworfen wird
       ihr die Liebe zum schnöden Mammon auf Kosten der Steuerzahler.
       
       ## Selbstbedienungsmentalität in früherer ÖVP/FPÖ-Koalition
       
       Dieser Vorwurf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA)
       wurde jetzt durch die Aussagen Beinschabs erhärtet. Denn sie hatte vor der
       Staatsanwaltschaft ausgepackt und so den Status als Kronzeugin erwirkt, um
       selbst straffrei davonzukommen.
       
       Dass Beinschabs Aussagen jetzt Karmasin belasten würden, war also nicht
       überraschend. Letztere hatte nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung im
       Jahr 2017 die ihr zustehende sechsmonatige Entgeltfortzahlung in Anspruch
       genommen. Doch durfte sie, solange sie sich ihr Ministerinnengehalt
       auszahlen ließ, keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgehen.
       
       Sie wusste das, was durch Chatprotokolle belegt ist, und hat selbst für
       kleine Vortragshonorare Rechnungen mit späterem Datum gestellt. Dass sie
       das gesamte Post-Ministerinnengehalt später zurückzahlte, ist für ihren
       Anwalt Norbert Wess ein Fall tätiger Reue, der strafbefreiend wirken müsse.
       Das gilt aber nur, wenn die Reue eintritt, bevor die Behörden vom
       Fehlverhalten Kenntnis erlangen. Die wussten aber spätestens seit den
       Recherchen eines ORF-Journalisten, dass Karmasin längst wieder Geld
       verdiente.
       
       Für die Staatsanwaltschaft ist Karmasin eine Wiederholungstäterin. Denn als
       sie 2013 in die Regierung geholt wurde, versprach sie ihrer ehemaligen
       Assistentin Beinschab, ihr Aufträge zuzuschanzen, verlangte aber eine
       Beteiligung von 20 Prozent am Honorar. Da sie als Ministerin nichts
       dazuverdienen durfte, wurden die Gelder über die Firma ihres Mannes
       verbucht.
       
       Ein weiterer Anklagepunkt wirft nicht nur ein bezeichnendes Bild auf das
       Moralverständnis Karmasins, sondern auch auf die
       Selbstbedienungsmentalität, die während der ÖVP-FPÖ-Regierung geherrscht
       haben dürfte. Das damals vom Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian
       Strache geführte Sportministerium vergab freihändig Aufträge an die
       Ex-Ministerin.
       
       ## Scheinangebote bei Ausschreibungen
       
       Um vorzutäuschen, dass sie das beste Angebot in einem fairen
       Vergabeverfahren gemacht hatte, soll sie ihre Vertraute beauftragt haben,
       Scheinangebote zu machen. „Das hätte man nicht machen sollen“, zeigte sich
       Beinschab vor Gericht reuig. Sie sei „ein Trottel“ gewesen, Karmasin sei
       ihr Vorbild gewesen, für das sie „alles gemacht“ hätte. Und, so die
       geläuterte Kronzeugin, Karmasin habe wohl auch gedacht, mit ihr alles
       machen zu können.
       
       Die Argumentation von Anwalt Wess, dass das wohl kartellrechtlich
       unbedenklich gewesen sei, hielt nicht lange. Beinschab enthüllte, sie sei
       in dieser Angelegenheit vor Kurzem vom Kartellgericht zu einer Strafe von
       6.000 Euro verurteilt worden.
       
       Das Urteil soll am kommenden Dienstag ergehen. Weitere Strafprozesse gegen
       ehemalige und aktive ÖVP-Funktionäre, darunter auch Sebastian Kurz, sind in
       Vorbereitung.
       
       17 May 2023
       
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