# taz.de -- Machismo in Spanien: Francos Erbe
       
       > Der Fall Rubiales legt die Spaltung des Landes offen. Es geht um
       > kulturelle Hegemonie. Doch auch innerhalb der Konservativen tun sich
       > Risse auf.
       
 (IMG) Bild: Rote Karte für Machismo: Feministische Demonstration gegen Verbandschef Rubiales im September
       
       Wenn etwas die Gesellschaft und Politik Spaniens abbildet, ist es Fußball,
       oder besser gesagt der Frauenfußball. Seitdem Luis Rubiales, [1][der
       inzwischen zurückgetretene Präsident] des nationalen Fußballverbandes, bei
       der Übergabe der Medaille nach gewonnener Weltmeisterschaft die Spielerin
       Jenni Hermoso gegen deren Willen küsste, kennt das Land auf der Iberischen
       Halbinsel praktisch kein anderes Thema mehr. Zu verurteilender Übergriff
       oder verständlicher Überschwang, lautet die Frage auch noch nach seinem
       Rücktritt. Selbst nachdem Rubiales von einer „Hexenjagd“ gegen ihn,
       ausgerufen von einem „falschen Feminismus“, sprach, gab es mächtige
       Stimmen, die zu ihm hielten.
       
       Der Kuss verdeutlicht [2][die tiefe Spaltung des Landes] in ein modernes
       vorwärtsgewandtes Spanien und in das, das alten Zeiten nachtrauert. Hinter
       Spaniens Frauen liegt ein steiniger Weg, den sie mit Bravour gemeistert
       haben. Wohl kaum ein Land in Europa hat sich in den vergangenen knapp 50
       Jahren – nicht zuletzt dank der Frauen – so verändert wie Spanien. Als 1975
       [3][Diktator General Francisco Franco] starb und das Land Richtung Europa
       und Demokratie aufbrach, waren Frauen – ähnlich wie in vielen arabischen
       Ländern heute noch – so etwas wie ewige Unmündige.
       
       Sie konnten ohne die Zustimmung ihres Ehemannes weder arbeiten noch einen
       Reisepass beantragen, ein Bankkonto eröffnen, Eigentum verwalten oder
       Verträge unterzeichnen. Scheidungen gab es nicht, Verhütungsmittel waren
       verboten, von Abtreibung ganz zu schweigen. Ihre gesetzlich
       festgeschriebene Rolle war im ultrakatholischen Sinne die der
       hingebungsvollen Ehefrau und Mutter. Nur rund 20 Prozent der Studierenden
       an den spanischen Hochschulen waren Frauen, heute sind es 56 Prozent.
       
       Erst mit der Verabschiedung der demokratischen Verfassung von 1978 wurden
       Frauen den Männern rechtlich gleichgestellt. Im Jahr 2004 verabschiedete
       das spanische Parlament ein Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen, 2007 das
       Gleichstellungsgesetz und in der vergangenen Legislaturperiode das
       sogenannte Gesetz „Nur Ja ist Ja“, mit dem alle sexuellen Handlungen, die
       nicht ausdrücklich im beiderseitigen Einvernehmen geschehen, als strafbar
       gelten. Der aufgezwungene Kuss von Rubiales könnte in diesem Sinne durchaus
       als eine „erniedrigende Handlung“ gelten.
       
       All diese Gesetze und Veränderungen sind das Ergebnis des Drucks einer
       starken Frauenbewegung auf die spanische Politik. Die Rechte freilich hat
       sich mit vielen dieser Veränderungen nie abgefunden. Sie gibt sich gern als
       Verteidiger echter Männlichkeit. Vor allem die rechtsextreme Partei Vox
       leugnet männliche Gewalt gegen Frauen, macht sich über das „Einvernehmen“
       lustig und stützte Verbandschef Rubiales und dessen Verschwörungstheorie.
       
       Seitdem die konservative Partido Popular (PP) mit Unterstützung der Vox in
       über 100 Gemeinden und in 6 Regionen regiert, macht auch sie sich die
       Politik gegen die feministischen Errungenschaften zu eigen. Die Abschaffung
       von Programmen gegen sexuelle Gewalt und für Gleichstellung gehört überall
       mit zur jeweiligen Koalitionsvereinbarung. Während sich der Bürgermeister
       von London mit Hermoso solidarisch zeigte, sprach jener von Madrid von
       einer „Überreaktion“ der Linken. Und die Regierungschefin der Region um die
       Hauptstadt, Isabel Díaz Ayuso, stellt den „sanftmütigen Männern“ – denen
       der Linken – ihre PP als „die Partei des Lebens, der Freude“ gegenüber.
       Ähnlich wie für Vox ist für sie die Debatte über Machismus die Kastration
       des echten Mannes.
       
       Es ist ein Kampf um kulturelle Hegemonie, wie ein Blick in die sozialen
       Netzwerke zeigt. Dutzende Posts behaupten, Rubiales sei unschuldig – und
       versprachen Beweise. Hermoso sei das Opfer einer Frauenbewegung und einer
       Linken, die sie zu den Aussagen gegen den Verbandschef drängten.
       
       „Se acabó“, „Schluss damit“, ist der Aufstand der Frauen – und der Männer,
       die nicht so sein wollen wie Rubiales oder die Machos von Vox und PP. Es
       geht nicht um einen einzelnen Vorfall. Es geht um die kleinen, alltäglichen
       machistischen Übergriffe. Um das, was als normal gilt, als üblich
       hingenommen wird, aber dennoch schmerzt, erniedrigt und beleidigt.
       
       Wie weit diese unangenehmen Erfahrungen reichen, zeigt sich jetzt in der
       Debatte über den Kuss. Selbst im konservativen Lager taten sich Risse auf.
       So manche Talkshow-Teilnehmerin aus dem eher rechten Lager fand deutliche
       Worte der Solidarität mit Hermoso, so manche Politikerin ebenfalls. Das
       Paket aus Vaterland, Tradition und Machismus, das die Rechte verkauft,
       bricht auf.
       
       ## Vox und PP punkten bei Männern
       
       Genau mit dieser Mischung versuchten PP und Vox die vergangenen Wahlen zu
       gewinnen – und sie scheiterten. Ihre rückwärtsgewandte Politik macht der
       Mehrheit Angst und ist deshalb auch nicht tragfähig für eine Regierung.
       Zwar gewann Alberto Nunez Feijóo – Spitzenkandidat der PP – bei den
       Parlamentswahlen Ende Juli, doch auch mit Vox zusammen erhielt er keine
       absolute Mehrheit im Parlament.
       
       Somit wird wohl der bisherige Ministerpräsident Pedro Sánchez
       weiterregieren können, sollte er die Parteien auf der Linken und die aus
       den Regionen wie Galicien, dem Baskenland und Katalonien hinter sich
       vereinen. Da sich Feijóo und seine PP völlig auf Vox festgelegt hat und
       sich weigert, eine Brandmauer gegen rechts außen zu errichten, ist er
       selbst zum Ziel einer breiten Ablehnung der anderen Parteien geworden.
       Niemand – außer ihm – will mit Vox aufs Foto.
       
       Die Wahlanalysen verwundern nicht: Vox und die PP konnten bei Männern
       punkten, die Sozialisten bei den Frauen. Der aufgezwungene Kuss und die
       breite öffentliche Ablehnung sind längst das Symbol einer Zeit, in der das
       moderne Spanien sich aufbäumt, um das Erreichte zu verteidigen und weiter
       Fortschritte zu erringen.
       
       13 Sep 2023
       
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