# taz.de -- Mangel an Lehrer*innen in Berlin: Hürdenlauf in den Schuldienst
       
       > Berlin wirbt auf dem „Berlin-Tag“ um Quer- oder
       > Seiteneinsteiger*innen im Bildungsbereich. Doch die Anforderungen
       > sind hoch, der Weg lang.
       
 (IMG) Bild: Willkommen in der Bruchbude: Viele Schulen in Berlin sind baufällig und wenig attraktiv
       
       BERLIN taz | Langsam sei sie wirklich demotiviert, sagt Khuloud Asfour. Die
       46-Jährige würde am liebsten sofort als Grundschullehrerin anfangen. Aus
       Überzeugung: Sie liebe diesen Beruf, sagt sie, habe auch schon Erfahrung,
       denn sie arbeite seit einem Jahr als Lehrassistentin bei der
       Bildungsinitiative Teach First.
       
       Um zu planen, wie es für sie an der Schule weitergehen könnte, ist Asfour
       am Samstag zum „Berlin-Tag“ der Senatsverwaltung für Bildung in die
       Veranstaltungshalle Station am Gleisdreieck gekommen. Auf dieser zweimal
       jährlich stattfindenden Fachmesse versucht das Land seit 2014,
       Lehrer*innen, Erzieher*innen und Mitarbeiter*innen für Verwaltung
       und Jugendämter zu gewinnen. Schulen, Kitas, Bildungsträger und
       Fortbildungsprogramme stellen sich dort vor. [1][Der Bedarf an
       Lehrer*innen ist in diesem Jahr besonders hoch.]
       
       Um [2][vollwertige Grundschullehrerin] zu werden, fehlt Asfour allerdings
       noch ein Baustein: der Masterabschluss. Sie könnte ihn über ein
       komprimiertes Studium nachholen, doch das sei für sie eine große Hürde.
       „Ich müsste nach einem Vorbereitungsjahr noch zwei Jahre studieren, dann
       käme das Referendariat mit 1,5 Jahren. Und nebenbei müsste ich arbeiten, um
       das zu finanzieren und um versichert zu bleiben“, sagt sie. „Ich habe 15
       Jahre Berufserfahrung und 20 Weiterbildungen, unter anderem in
       Gewaltprävention, Mediation und Projektmanagment, spreche fließend
       Englisch, Deutsch und Arabisch. Ich kann in diesem Beruf arbeiten.“
       
       Ihre derzeitige Schule würde sie liebend gern sofort einstellen, sagt sie.
       Doch das ginge nur als Lehrerin ohne Lehrbefähigung – mit halb so viel
       Gehalt wie eine vollwertige Lehrerin. „Es ist traurig“, wiederholt sie
       mehrmals. „Warum der Master? Warum werden meine anderen Qualifikationen
       nicht berücksichtigt? Warum gibt es für Leute wie mich keine
       berufsbegleitende pädagogische Ausbildung? Wenn sie uns angeblich so
       händeringend brauchen, dann sollten sie uns auch etwas anbieten.“
       
       Denn insbesondere Grundschulen suchen dringend nach neuen Kolleg*innen.
       Berlin erlebt in diesem Schuljahr einen neuen [3][Höchststand des
       Personalmangel]s in den Schulen. 875 Vollzeitstellen konnten zu Beginn des
       Schuljahrs im August nicht besetzt werden. Rein rechnerisch fehlt damit
       eine Vollzeitlehrkraft pro Schule. In der Realität ist der Mangel weitaus
       unfairer verteilt: Während Gymnasien, gerade in besseren Wohnlagen, nach
       wie vor wenig merken vom Fachkräftemangel, haben es Grundschulen und
       Sekundarschulen in Brennpunkten extrem schwer, auch nur genügend
       Quereinsteiger*innen zu bekommen – von regulär ausgebildeten
       Lehramtsabsolvent*innen ganz zu schweigen.
       
       Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) musste sich deshalb
       entscheiden, an welcher Stelle sie den Schulen Sparvorgaben machen will.
       Künftig ist [4][in den Schulen nur noch der fachliche Unterricht gesichert]
       – alles andere wie Förder- oder Projektunterricht, aber auch Inklusion
       können gestrichen werden, oder die Schulen können Nichtfachkräfte dafür
       einstellen. Busses Entscheidung wurde scharf kritisiert: Man spare auf dem
       Rücken der Schwächsten, hieß es von der Bildungsgewerkschaft GEW.
       
       ## Interesse ist groß
       
       Immerhin, das Interesse der Bewerber*innen scheint groß: In der
       Senatsverwaltung für Bildung freut man sich über einen
       Fast-Besucher*innenrekord beim Berlin-Tag. 4.600 Menschen hätten sich
       dort informiert, teilte Sprecher Martin Klesmann am Sonntag mit. Nur im
       Frühjahr 2019 waren es mit rund 5.000 mehr, in anderen Jahren kamen um die
       3.000. „Wir haben erstmals auch ausdrücklich Schüler*innen
       angesprochen“, sagt er. Diesmal habe außerdem ein Schwerpunkt auf
       Informationen für Lehrer*innen mit ausländischen Abschlüssen gelegen.
       
       Doch Asfour ist nicht die Einzige aus dieser Zielgruppe, die die Infostände
       für Weiterbildung und Quereinstieg frustriert verlässt. Bei Muazzez Bağcı
       ist es das fehlende C2-Deutschzertifikat – das entspricht Sprachkenntnissen
       auf Muttersprache-Niveau. Die 38-Jährige hat C1 abgeschlossen, eine Stufe
       darunter. Sie hat bereits in der Türkei als Lehrerin gearbeitet, doch das
       wird nicht als gleichwertig mit einer Lehrerausbildung in Deutschland
       anerkannt. „Seit fünf Jahren versuche ich, meine Abschlüsse anerkennen zu
       lassen und einen Weg in die Schule zu finden“, sagt sie. „Ich habe mehrmals
       meine Hoffnung verloren.“
       
       Sie plant, erst mal als Erzieherin zu arbeiten, weiter Deutsch zu lernen
       und dann vielleicht noch den Master zu machen. „Ich habe Potenzial, aber
       wegen des Sprachniveaus kann ich es nicht zeigen“, sagt sie.
       
       ## Abschlüsse werden nicht anerkannt
       
       Ein weiterer Besucher wartet seit zwei Jahren auf die Anerkennung seines
       Abschlusses: Er kommt aus Turkmenistan, hat dort als Chemielehrer
       gearbeitet und war stellvertretender Schulleiter. Nun will er in Berlin
       Mathe und Chemie unterrichten. Doch bisher bekomme er nur die Antwort, er
       möge sich gedulden, es sei nicht klar, welche Abschlüsse er in Turkmenistan
       erworben habe. „Normalerweise dauert so eine Prüfung der Zeugnisse drei
       oder vier Monate“, sagt er. „Ich spreche Türkisch und auch Russisch, ich
       könnte längst Kinder aus der Ukraine unterrichten. Langsam verliere ich
       meine Motivation.“
       
       Selbst in den Fällen, in denen weder Sprachkenntnisse noch ausländische
       Abschlüsse das Problem sind, scheinen die Hürden für den Einstieg in die
       Schule hoch. Ivonne Dertinger arbeitet bereits seit Jahren als Dozentin für
       Deutsch als Fremdsprache. Um über den Quereinstieg an einer Grundschule
       anzufangen, müsste sie berufsbegleitend noch zwei Fächer studieren und
       danach das Referendariat machen. „Ich lerne gern, und ich weiß, wie man
       Unterricht gestaltet“, sagt sie. „Aber das ist mehr als eine
       Vollzeitstelle. Mit Kind ist das für mich nicht zu stemmen.“
       
       Der Sprecher der Bildungsverwaltung betont: „Wir versuchen immer wieder,
       Brücken zu bauen.“ Allerdings müssten bestimmte Kriterien erfüllt sein, das
       seien auch Vorgaben auf Bundesebene. Vorstöße gebe es, aber ob in Zukunft
       etwa auch ein Bachelor-Abschluss für die Grundschule ausreichen könnte, sei
       unklar.
       
       Klar ist hingegen: Die Schulen macht der Personalmangel nicht attraktiver.
       Wer sich als junge Lehrer*in mit Projektunterricht und Angeboten
       außerhalb des normalen Unterrichts einbringen will, der findet in Berlin
       nicht gerade Traumbedingungen vor. Im Zweifel geht die Mathestunde eben
       vor, und wenn die Kollegin aus der Parallelklasse krank ist, unterrichtet
       man ihre Mathestunde gleich mit.
       
       Zumindest einen bisherigen Nachteil hat Berlin ausgeglichen:
       Neueinstellungen werden seit diesem Schuljahr wieder verbeamtet. Ein
       Vorteil ist das allerdings auch nicht, weil alle anderen Bundesländer
       verbeamten.
       
       Problematisch sind oft auch die Schulgebäude. Zwar läuft seit 2017 das auf
       zehn Jahre angelegte Rieseninvestitionsvorhaben namens Schulbauoffensive,
       durch das Milliarden Euro in die Sanierung und den Neubau von Schulgebäuden
       gesteckt werden. Doch immer wieder bleiben dringende Investitionsmaßnahmen
       auf der Strecke – weil die Absprache zwischen Land und Bezirken hakt oder
       weil doch nicht so viel Geld in der Kasse übrig ist. Es gibt jedenfalls
       Schulen in Berlin, bei denen neue Kolleg*innen den Eingang nicht finden,
       weil sie das Gebäude für eine Abrissbaustelle halten.
       
       Doch die Rahmenbedingungen an den Schulen schrecken Interessent*innen
       anscheinend nicht ab. „Wir haben in diesem Jahr auffällig viele
       Erzieher*innen, die fragen, wie sie Lehrer*innen werden könnten“, sagt
       Julia Warzitz, die am Stand der Humboldt-Universität über Wege in den
       Lehrberuf informiert. „Sie sagen, sie lieben ihren Job, wünschen sich aber
       [5][bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen].“
       
       Auch andere Besucher*innen beim Berlin-Tag zucken bei der Frage nach
       den Zuständen an Berliner Schulen nur die Schultern. „Ich habe in der
       Pandemie gesehen, wie Kinder zurückbleiben, und möchte einen Beitrag
       leisten“, sagt Khuloud Asfour. „Auch in der Türkei haben wir das
       Bildungssystem kritisiert“, erklärt Muazzez Bağcı. „Aber die Arbeit mit
       Kindern mache ich aus Leidenschaft.“
       
       11 Sep 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
 (DIR) Uta Schleiermacher
       
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