# taz.de -- Nach Tod einer Erntehelferin in Bayern: Ermittler*innen fragten nur Chefs
       
       > Andere Kolleg*innen der Frau seien nicht vernommen worden, so Bayerns
       > Justizministerium. Ein SPD-Politiker fordert, unterlassene Hilfeleistung
       > zu prüfen.
       
 (IMG) Bild: Gurkenflieger im Einsatz bei der Ernte von Feldgurken (Symbolfoto)
       
       BERLIN taz | Die Ermittler*innen im Todesfall einer Erntehelferin eines
       bayerischen Gemüsehofs haben nur Vorgesetzte der Frau, keine einfachen
       Kolleg*innen befragt. „Im Rahmen der Ermittlungen wurden der Vorarbeiter,
       der Sohn des Betriebsinhabers und der Rettungsassistent, welcher mit der
       Reanimation der Erntehelferin auf dem Parkplatz des Klinikums befasst war,
       als Zeugen vernommen. Weitere Vernehmungen wurden nicht durchgeführt“,
       teilte das Justizministerium in München nun auf Anfrage des
       SPD-Landtagsabgeordneten Florian von Brunn mit.
       
       Sowohl der Vorarbeiter als auch der Sohn des Landwirts könnten ein
       Interesse daran haben, eine eventuell unterlassene Hilfeleistung für die
       Frau nach ihrem Herzinfarkt zu kaschieren. Der Vorarbeiter zum Beispiel
       wäre möglicherweise selbst verantwortlich, wenn er die Erntehelferin zu
       spät ins Krankenhaus gefahren hätte. Von Brunn nannte es „schockierend“,
       dass die Behörden dennoch nicht weiter ermitteln.
       
       Zwei Insider*innen des Hofs in Niederbayern hatten dem Landwirt Ende August
       2020 in der taz vorgeworfen, der ukrainisch-ungarischen Frau [1][zu spät
       geholfen] zu haben. Sie habe mehrmals gemeldet, dass sie Schmerzen in der
       Brust habe. Dennoch habe sie auf einem Feld Gurken ernten müssen. Die
       Staatsanwaltschaft erklärte erst nach Erscheinen des Artikels, es hätten
       sich bei einer Überprüfung des Todesfalls 2018 [2][keine Anhaltspunkte für
       Fremdverschulden], insbesondere eine verspätete ärztliche Behandlung,
       ergeben.
       
       Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Lage der in normalen Jahren rund
       300.000 Saisonarbeitskräfte etwa aus Rumänien, Polen oder Bulgarien in der
       deutschen Landwirtschaft. Gewerkschafter*innen kritisieren schon lange,
       viele Erntehelfer*innen würden ausgebeutet.
       
       Bereits kurz nach der Mitteilung der Staatsanwaltschaft kamen Zweifel auf,
       ob die Polizei gründlich genug ermittelt hat. Die [3][Staatsanwaltschaft
       weigerte sich], der taz mitzuteilen, ob die Ermittler*innen neben dem
       Vorarbeiter und der Landwirtsfamilie – also potenziell Mitverantwortlichen
       an dem Tod der Frau – auch einfache Erntehelfer*innen vernommen haben. Die
       Behörde begründete dies damit, dass „die Grundsätze des Datenschutzes und
       der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ zu beachten seien.
       
       Nun hat das Justizministerium die Frage doch beantwortet. Dass die
       Ermittler*innen keine einfachen Erntehelfer*innen vernahmen, begründet das
       Ministerium folgendermaßen: „Aus den Todesfallermittlungen ergaben sich
       keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat. Insbesondere
       bestätigte die durchgeführte Obduktion, dass die Erntehelferin eines
       natürlichen Todes verstorben war.“ Das stand allerdings nie in Frage. Es
       ging immer nur darum, ob der natürliche Tod der Frau zu diesem Zeitpunkt
       hätte vermieden werden können. „Ungeklärte Fragen zum Ablauf des Tages bis
       zum Versterben der Erntehelferin ergaben sich ebenfalls nicht“, schreibt
       das Ministerium weiter.
       
       Die Behörde räumt allerdings gleich in ihrer nächsten Antwort ein, dass die
       Staatsanwaltschaft nicht weiß, wann der Vorarbeiter die Frau auf dem Feld
       abgeholt hat, um sie ins Krankenhaus zu fahren – und wie lange die Fahrt
       dann tatsächlich dauerte.
       
       Auf von Brunns Frage, wie sich die ermittelnden Behörden dann sicher sein
       könnten, dass der Erntehelferin rechtzeitig geholfen worden sei, antwortete
       das Ministerium: „Aus den durchgeführten Ermittlungen zum Geschehensablauf
       ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu vermeidbaren
       Verzögerungen bei dem Transport der Erntehelferin in das Krankenhaus
       gekommen wäre.“ Dabei sei zu berücksichtigen, dass „sich erst während der
       Fahrt der Gesundheitszustand der Erntehelferin deutlich verschlechterte.“
       Aber aus erster Hand können die Behörden diese Angaben eben nur von dem
       Vorarbeiter haben, der sich selbst belasten würde, wenn er etwas anderes
       aussagen würde.
       
       ## Viel beruht auf der Aussage des Vorarbeiters
       
       Laut Staatsanwaltschaft hatte die Erntehelferin an ihrem Todestag um 7.15
       Uhr über gesundheitliche Probleme geklagt. Sie sei dann von dem Vorarbeiter
       ins Krankenhaus gefahren worden, wo um 8.30 Uhr ihr Tod festgestellt worden
       sei. Sollte sie bereits vor 7.15 Uhr Beschwerden gemeldet haben, könnte das
       ein Indiz sein, dass ihr zu spät geholfen wurde. Von Brunn fragte das
       Ministerium deshalb auch, ob die ermittelnden Behörden ausschließen, dass
       die Erntehelferin schon vor 7.15 Uhr über Beschwerden oder Schmerzen
       geklagt hatte.
       
       In der Antwort heißt es dazu nur, dass sich „aus den Todesfallermittlungen“
       keine Hinweise darauf ergeben hätten. „Der Vorarbeiter gab in seiner
       Zeugenvernehmung an, dass die Erntehelferin während ihrer Arbeitstätigkeit
       immer gearbeitet und nie Schwierigkeiten mit ihrer Gesundheit gehabt habe.
       Auch ihre Kolleginnen hätten nichts darüber erzählt, dass die Erntehelferin
       Beschwerden gehabt hätte.“ Dafür hat die Staatsanwaltschaft also nur den
       möglicherweise voreingenommenen Vorarbeiter als Zeugen.
       
       Nebulös bleiben die Behörden bei der Angabe der genauen Todesursache. Der
       Leichenpass, der der taz vorliegt, ist da eindeutig: „Herzinfarkt“ steht in
       dem Dokument, den das Standesamt Landau an der Isar zur Überführung der
       Leiche in die Ukraine ausgestellt hat. Bei einem Herzinfarkt wäre sofortige
       Hilfe nötig gewesen.
       
       Das Justizministerium dementiert die Ursache nicht, bestätigt sie aber auch
       nicht klar. Stattdessen schreibt es von „einer Erkrankung im Bereich des
       Herzens, die ihrer Art nach den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem
       Auftreten körperlicher Beschwerden und dem Ableben erklärt“. Genauere
       Angaben würden das „Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen“ verletzen.
       
       ## Landtagsabgeordneter „fassungslos“
       
       „Ich bin fassungslos, dass die zuständige Staatsanwaltschaft und das
       bayerische Justizministerium offenbar immer noch keinen Grund für weitere
       Ermittlungen sehen“, schrieb von Brunn der taz. „Stattdessen wird lieber
       gemauert.“
       
       Auf dem Großbetrieb, der primär Gurken produziert, infizierten sich Ende
       Juli 250 Erntehelfer*innen mit dem Coronavirus. „Faire Mobilität“, die
       Beratungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) für osteuropäische
       Arbeitnehmer*innen, hatte dem Unternehmen „Ausbeutung“ vorgeworfen, weil
       weniger als der gesetzliche Mindestlohn gezahlt würde und Arbeiter*innen
       ihre Personalausweise vorenthalten worden seien. Diese Kritik wies der
       Landwirt zurück. Trotz mehrerer Versuche der taz war er nicht für eine
       Stellungnahme zu den anderen Vorwürfen zu erreichen.
       
       Ein Ermittlungsverfahren zu den Ausbeutungsvorwürfen stellte die
       Staatsanwaltschaft Landshut im Dezember ein, wie sie nun der taz mitteilte.
       Ob die Ermittler*innen in diesem Fall auch die mutmaßlichen Opfer, also
       einfache Erntehelfer*innen, befragt haben? Diese Frage wollte die Behörde
       nicht beantworten. Das sei bei einem eingestellten Verfahren nicht erlaubt,
       so ein Sprecher.
       
       15 Jan 2021
       
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