# taz.de -- PR der Agrarministerin zu Erntehelfern: Klöckner führt Medien in die Irre
       
       > Die CDU-Politikerin suggeriert, dass in der Coronawelle eine
       > Krankenversicherung für die Arbeiter garantiert sei. Mehrere Medien
       > fallen darauf herein.
       
 (IMG) Bild: Und Corona? Erntehelfer aus Polen auf einem Spargelfeld bei Fürth
       
       BERLIN taz | Bundesagrarministerin Julia Klöckner hat über die geplante
       Ausweitung der Beschäftigung osteuropäischer Erntehelfer*innen ohne
       Sozialversicherung irreführende Angaben verbreitet: Die CDU-Politikerin
       erweckte fälschlicherweise den Eindruck, dass eine Regel, die künftig einen
       Krankenversicherungsschutz der Arbeiter*innen sicherstellen soll, schon
       während der derzeitigen Coronawelle in Kraft treten solle. So wollte sie
       offenbar einen Beschluss der Bundesregierung rechtfertigen, wonach die
       Osteuropäer*innen in diesem Jahr 102 statt wie normalerweise 70 Tage
       arbeiten dürfen sollen, ohne in Deutschland krankenversichert zu sein.
       
       Klöckners Ministerium schrieb in einer [1][Pressemitteilung über den
       Kabinettsbeschluss zur Ausweitung der „kurzfristigen Beschäftigung“ ohne
       Sozialversicherung am 31. März], es solle „eine Meldepflicht des
       Arbeitgebers zur Art der krankenversicherungsrechtlichen Absicherung des
       Arbeitnehmers eingeführt werden“.
       
       Da an dieser Stelle kein Datum für das Inkrafttreten genannt wurde, aber in
       den Absätzen davor stand, die 102-Tage-Regelung solle ab März gelten,
       konnte man die Pressemitteilung leicht so verstehen, dass dann ebenfalls
       die Meldepflicht in Kraft tritt. So taten es auch mehrere Medien. Ähnlich
       irreführend stellte Klöckner auf ihrem persönlichen [2][Twitter-Feed] die
       Kabinettsentscheidung dar, die demnächst vom Bundestag übernommen werden
       soll.
       
       Das SPD-geführte Arbeitsministerium teilte der taz auf Anfrage jedoch mit,
       dass die Meldepflicht erst ab Januar 2022 gelten solle. Klöckner verschwieg
       also, dass der Krankenversicherungsstatus der Erntehelfer*innen
       während der derzeitigen Coronawelle genauso unklar sein wird wie in den
       Vorjahren.
       
       ## Medien in die Irre geführt
       
       Mit ihrer Pressemitteilung führte Klöckner zwar [3][nicht die taz], aber
       mehrere andere Medien sowie Politiker erfolgreich in die Irre. Die
       Nachrichtenagentur [4][AFP] schrieb, „gleichzeitig“ mit der
       102-Tage-Reglung „werde eine Meldepflicht zur Art der
       krankenversicherungsrechtlichen Absicherung eingeführt“. Die Agentur hat
       diesen Fehler trotz mehrerer Hinweise bis heute nicht korrigiert.
       
       Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ([5][FAZ)] benutzte zwar nicht das Wort
       „gleichzeitig“, aber sie ließ in ihrem Bericht unerwähnt, dass die
       Meldepflicht zur Art der Absicherung in dieser Saison gar nicht greift.
       Auch die linke Tageszeitung [6][Junge Welt] schwieg sich über den Beginn
       der Meldepflicht aus. Und Bauernverbands-nahe Fachmedien wie
       [7][agrarheute] sowieso. Selbst Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till
       Backhaus freute sich in einer [8][Pressemitteilung], dass es „nun
       deutschlandweit verpflichtend ist“, Erntehelfer*innen
       krankenzuversichern.
       
       „Die vorgesehene Anmeldepflicht aller Arbeitskräfte ist ein Muss in
       Coronazeiten“, schrieb der SPD-Politiker. Sinngemäß zitierte ihn damit die
       Deutsche Presse-Agentur ([9][dpa]). Klöckners Ministerium wies darauf hin,
       dass es nie von „einer etwaigen ‚Gleichzeitigkeit‘“ gesprochen habe.
       „Insofern kann auch von Irreführung keine Rede sein.“
       
       Mitunter müssen „kurzfristig Beschäftigte“ laut der Industriegewerkschaft
       Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beispielsweise im Fall einer Corona-Erkrankung
       die Behandlungskosten selbst tragen. Dabei bekommen sie meist nur den
       gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro die Stunde – oft minus Abzügen für
       Unterkunft und Verpflegung. Der deutschen Sozialversicherung gehen so
       Beiträge verloren. 60 Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000
       ausländischen Aushilfskräfte in der deutschen Landwirtschaft hatten laut
       Bundesagentur für Arbeit eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung.
       
       ## Einwand von Corona-Leugner*innen
       
       Klöckner ist schon mehrmals durch falsche, irreführende oder nicht belegte
       Behauptungen aufgefallen. Im April 2020 behauptete die Agrarministerin ohne
       Angaben von Quellen im ZDF, dass der Tod eines mit Corona infizierten
       Erntehelfers aus Rumänien in Baden-Württemberg [10][nicht durch
       Covid-19], sondern durch einen Herzinfarkt verursacht worden sei.
       
       Damit machte sie sich einen typischen Einwand von Corona-Leugner*innen
       gegen die offizielle Statistik über Todesfälle im Zusammenhang mit Corona
       zu eigen. Das zuständige Gesundheitsamt des Landkreises
       Breisgau-Hochschwarzwald vermutete schon damals, möglicherweise habe
       Covid-19 zum Tod des Rumänen beigetragen. Eine Corona-Infektion kann
       Medizinern zufolge Herzkrankheiten verschlimmern und sogar [11][Infarkte
       auslösen].
       
       Im Februar 2020 dementierte die Ministerin, dass sie dafür gekämpft habe,
       Lebensmittelimporte mit besonders gefährlichen, in der Europäischen Union
       verbotenen Pestiziden zu ermöglichen. Ihre angeblichen Belege wurden durch
       eine [12][taz-Recherch]e widerlegt.
       
       19 Apr 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/051-102-tage.html
 (DIR) [2] https://twitter.com/JuliaKloeckner/status/1377603214057541637
 (DIR) [3] /Beschaeftigung-von-Saisonkraeften/!5758699
 (DIR) [4] https://nuernberger-blatt.de/2021/03/auslaendische-erntehelfer-sollen-auch-dieses-jahr-laenger-ohne-sozialversicherung-arbeiten-koennen-89826/
 (DIR) [5] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ernte-saison-die-pandemie-fordert-landwirte-und-saisonarbeiter-17272704.html
 (DIR) [6] https://www.jungewelt.de/artikel/399916.landwirtschaft-ausgebeutete-feldarbeiter.html
 (DIR) [7] https://www.agrarheute.com/management/betriebsfuehrung/auslaendische-erntehelfer-102-tage-sozialversicherungsfrei-579770
 (DIR) [8] https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/lm/Service/Presse/Aktuelle-Pressemitteilungen?id=168862&processor=processor.sa.pressemitteilung&sa.pressemitteilung.sperrfrist=alle
 (DIR) [9] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/agrar-schwerin-backhaus-begruesst-geplante-verlaengerung-von-saisonarbeit-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210331-99-46096
 (DIR) [10] /Beleg-fuer-Angabe-zu-Erntehelfertod-fehlt/!5677106
 (DIR) [11] https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/infektionskrankheiten/coronavirus/corona-risikofaktor-herz-724381.html
 (DIR) [12] /Falsche-Behauptung-der-Agrarministerin/!5667679
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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