# taz.de -- Beschäftigung von Saisonkräften: Erntehelfer schlecht versichert
       
       > Das Bundeskabinett will die Beschäftigung von Saisonkräften ohne reguläre
       > Krankenversicherung auch 2021 ausweiten. Das soll vor Corona schützen.
       
 (IMG) Bild: Meist prekär beschäftigt: Erntehelfer legen nach dem Spargelstechen Planen über Dämme
       
       BERLIN taz | Osteuropäische [1][Erntehelfer*innen] sollen nach einem
       Beschluss der Bundesregierung auch dieses Jahr länger als normalerweise
       ohne reguläre Krankenversicherung arbeiten dürfen. „Von März bis Ende
       Oktober 2021 können landwirtschaftliche Betriebe ihre ausländischen
       Saisonarbeitskräfte 102 statt 70 Tage (beziehungsweise vier statt drei
       Monate) sozialversicherungsfrei beschäftigen“, teilte Agrarministerin Julia
       Klöckner (CDU) nach einem Kabinettsbeschluss am Mittwoch kurz vor der
       Spargelsaison mit.
       
       Bei dieser sogenannten „kurzfristigen Beschäftigung“ müssen Arbeiter laut
       der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beispielsweise im
       Fall einer Corona-Erkrankung die Behandlungskosten mitunter selbst zahlen.
       Dabei bekommen sie meist nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro die
       Stunde – oft minus Abzügen für Unterkunft und Verpflegung. Zudem würden der
       deutschen Sozialversicherung hohe Summen an Beiträgen verloren gehen. 60
       Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen
       Aushilfskräfte in der deutschen Landwirtschaft hatten laut Bundesagentur
       für Arbeit eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung.
       
       „Wenn ausländische Saisonarbeitskräfte länger in den Betrieben bleiben
       dürfen, reduziert das den Personalwechsel und die Mobilität – es ist ein
       Beitrag zur Pandemiebekämpfung“, so Klöckner. „Zugleich hilft es den
       Betrieben bei Ernte und Aussaat. So ist sichergestellt, dass die
       Bevölkerung auch dieses Jahr trotz Corona gut mit heimischen Produkten
       versorgt ist.“
       
       Arbeitsminister Hubertus Heil soll Widerstand gegen die vom Bauernverband
       geforderte Ausweitung auf 115 Tage geleistet haben, die bereits im
       Coronajahr 2020 galt. Jetzt stimmte der SPD-Politiker zu unter der
       Bedingung, dass nach 102 Tagen Schluss ist. Zudem soll der Arbeitgeber
       verpflichtet werden, der Minijobzentrale zu melden, wie der Beschäftigte
       krankenversichert ist. Die Behörde muss dem Betrieb künftig auch
       automatisch mitteilen, ob die Aushilfe im selben Kalenderjahr schon mal
       kurzfristig beschäftigt war. Das würde verhindern, dass Arbeiter bei
       mehreren Betrieben solche Jobs länger als erlaubt ausüben.
       
       ## Private Versicherung mit Lücken
       
       Diese beiden Meldepflichten gelten aber erst ab Januar 2022, teilte eine
       Sprecherin des Arbeitsministeriums der taz mit. Die Spargelstecher, die in
       dieser Saison länger ohne Sozialversicherung arbeiten, werden davon also
       nicht profitieren. „Das ist komplett daneben“, sagte Harald Schaum,
       Vizevorsitzender der IG BAU, der taz.
       
       Die Einigung der Bundesregierung werde die Probleme nicht lösen, so der
       Gewerkschafter: „In einer Coronasituation Leute nicht
       sozialzuversichern, halte ich für ziemlich waghalsig“. Nicht alle Betriebe
       würden private Krankenversicherungen für ihre Erntehelfer abschließen. Und
       wenn doch, würden die Policen nicht alle Risiken abdecken. Tatsächlich
       schließt zum Beispiel die Europa Versicherung AG in einem [2][Vertrag für
       Erntehelfer] Leistungen wegen „bei Versicherungsbeginn bestehenden und
       bekannten chronischen Erkrankungen … sowie für die in den letzten 3 Monaten
       vor Versicherungsbeginn behandelten Krankheiten“ aus.
       
       Die Arbeitgeber wollen sich laut Schaum nur ihren Anteil an den Beiträgen
       für die Sozialversicherung sparen. Kritiker hatten Klöckner aufgefordert,
       im Kampf gegen Corona erst einmal eine Einzelzimmerpflicht für Erntehelfer
       durchzusetzen, statt die Sozialversicherungspflicht weiter aufzuweichen.
       
       Der Bauernverband dagegen begrüßte den Kabinettsbeschluss, dem der
       Bundestag noch zustimmen muss: „Es ist in der Praxis üblich, dass für
       versicherungsfrei beschäftigte ausländische Saisonkräfte ein private
       Krankenversicherung abgeschlossen wird.“
       
       31 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Erntehelfer/!t5243331
 (DIR) [2] https://www.erntehelfer-versicherung.com/system/provision_set_documents/documents/000/000/028/original/2016_Bedingungen.pdf?1472484600
       
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 (DIR) Jost Maurin
       
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