# taz.de -- Nach dem Urteil gegen „Gruppe Freital“: Von wegen Bagatellen
       
       > Am Mittwoch verurteilte ein Gericht die acht Angeklagten als rechte
       > Terroristen. Was hat sich seit dem Prozess in Freital geändert?
       
 (IMG) Bild: Nach dem Anschlag auf ein Asylbewerberheim in Freital 2015 sind die gebrochenen Fensterscheiben mit Holzplatten verdeckt
       
       FREITAL taz | Am Tag nach dem Prozessende fegt ein kräftiger Wind durch das
       sächsische Freital. Er pustet die wenigen weißen Wolken fort über die von
       hübschen kleinen Häusern gesäumten Hügel. Eine junge Frau knotet sich die
       langen Haare auf ihrem Kopf zusammen, damit sie ihr nicht immerzu ins
       Gesicht flattern. „Endlich Klarheit“, sagt sie, während sie das Haargummi
       festzurrt. „Für Freital ist das gut. Ich kann mir zwar vorstellen, dass
       sich auch viele darüber aufregen werden. Aber so wissen jetzt alle, dass
       die böse waren.“
       
       Böse. Die junge Frau, die Jessica P. heißt, überlegt. Beschreibt das Wort
       das, was die Täter*innen über Monate in ihrer Heimatstadt getrieben
       haben, wirklich gut? „Richtig schlimme Menschen sind das einfach“, sagt
       sie.
       
       Für das Oberlandesgericht in Dresden sind die acht Angeklagten der
       sogenannten Gruppe Freital Terroristen. Am Mittwoch verurteilt es Timo S.
       zu 10 Jahren Gefängnis, Patrick F. zu 9 Jahren und 6 Monaten.
       
       Beide sind jetzt unter anderem verurteilt wegen vierfachen versuchten
       Mordes und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach
       Paragraf 129a. Vier weitere Mitangeklagte erhalten Freiheitsstrafen
       zwischen fünf und achteinhalb Jahren, der jüngste von ihnen, der heute
       20-jährige Justin S., eine Jugendstrafe von vier Jahren.
       
       Erstmals wurden damit Flüchtlingsfeinde für eine Anschlagsserie auf
       Asylunterkünfte als Terrorgruppe verurteilt. Ein Signal, nicht nur für
       Sachsen: Die Zeit, in der solche Taten als Bagatellen, als dumme
       Lausbubenstreiche geahndet wurden, ist vorbei.
       
       Im Sommer 2015 sprengten die Täter das Auto des Linken-Fraktionschefs
       Michael Richter, zerstörten dessen Parteibüro, griffen das alternative
       Hausprojekt Mangelwirtschaft in Dresden an, sie legten Böller unter das
       Fenster einer Flüchtlingswohnung, zündeten bei einer späteren Tat gegen
       eine von Syrern bewohnte Unterkunft drei Böller gleichzeitig. Die Gruppe
       terrorisierte Geflüchtete, deren Unterstützer*innen und der Linken
       Nahestehende.
       
       ## Keine „Lausbubenstreiche“
       
       Im Büro der Linkspartei wird am Tag nach der Urteilsverkündung der
       Internationale Frauentag gefeiert, auf dem Tisch stehen Brötchen, die
       Kuchenspezialität Sächsische Eierschecke und eine Vase mit Nelken. Ein
       bisschen aber gilt die Feier auch dem Urteil der Richter in Dresden. Die
       Landtagsabgeordnete Verena Meiwald sagt: „Ich bin froh, dass es genau so
       ausgefallen ist.
       
       Das waren Terroranschläge, bei denen es Tote hätte geben können.“ Keine
       Lausbubenstreiche, als die die Taten unter anderem von AfD-Mann Dirk
       Jährling, aber auch von anderen abgetan worden waren. „Keine der Taten war
       von spontanem Charakter oder hatte sonst etwas Jugendhaftes“, beschied der
       Vorsitzende Richter in Dresden vor der Urteilsbegründung.
       
       Wenn sich Meiwald mal auf dem Ledersofa zurücklehnt, gelingt es ihr nicht
       lange, so entspannt sitzen zu bleiben. Rasch schiebt sie sich wieder nach
       vorne, stützt ihre Ellbogen auf die Knie und spricht in einem schnellen,
       harten Sächsisch weiter: „Ein Signal allein genügt natürlich nicht. Es muss
       ein generelles Umdenken in Freital stattfinden.“ Der Stadtrat müsse das
       Geschehene aufarbeiten, der Oberbürgermeister Uwe Rumberg sich endlich klar
       positionieren. Ihm sei es stets wichtiger gewesen, das Negativimage der
       Stadt abzuschütteln.
       
       Dass Freital ein unleugbares Problem mit Rechtsextremismus hat, habe er nie
       zugeben wollen. „Dabei wäre es für Freital entschieden wichtig,
       zivilgesellschaftliche Strukturen zu entwickeln, sie zu stärken und ihnen
       ein Dach zu geben. Das erwarte ich von einem Bürgermeister“, sagt Meiwald.
       Für ein Gespräch mit der taz stand Rumberg nicht zur Verfügung.
       
       Seit die Mitglieder der Gruppe in Haft sind, sei es merklich ruhiger
       geworden in Freital. „Unsere Scheibe ist ganz geblieben“, sagt Meiwald.
       Schmierereien, die gebe es natürlich nach wie vor, Aufkleber, braune Farbe,
       Weißkraut mit Ei. Früher seien auch überall in der Stadt, auf nahezu jedem
       Elektrokasten, Aufkleber mit den Worten „Ausländer raus“ aufgetaucht; die
       gibt es heute tatsächlich kaum noch. „Die haben da gestern eindeutig den
       Kopf des Ganzen verurteilt“, sagt Meiwald.
       
       ## Keine Rechtfertigungen
       
       Hinter dem Büro der Linkspartei schlängelt sich die Dresdner Straße weiter
       hinauf in Richtung Somsdorf. Freital ist wie eine Perlenschnur, auf die
       Wohnhäuser und kleine Geschäfte wie Schmucksteine aufgezogen wurden. Es hat
       keinen Marktplatz, keinen Ortskern, in der Folge: kein soziales Zentrum, in
       dem sich zivilgesellschaftliches Engagement bündeln könnte. Das sei etwas,
       was man in der gerade einmal 100-jährigen Stadtgeschichte spüren könne,
       sagt die Freitaler Grünen-Abgeordnete Ines Kummer.
       
       Schon ihr ganzes Leben verbringt Kummer in Freital, als eine der aktivsten
       Flüchtlingshelferinnen wurde auch sie von der „Gruppe Freital“
       terrorisiert. Über das Urteil empfinde sie zwar keine Genugtuung, doch sie
       sei zufrieden. Auch sie erwarte jetzt aber mehr vom Bürgermeister und von
       der Stadtverwaltung, sie sollten sich an die Spitze einer
       gesellschaftlichen Bewegung stellen und nicht länger nach Rechtfertigungen
       suchen, wie etwa, dass der Anführer der Gruppe, Timo S., ja gar nicht aus
       Freital, sondern aus Hamburg stamme.
       
       „Dass sich die Gruppe so schnell zusammenfinden und radikalisieren konnte,
       hat zweifelsohne etwas mit dem Umfeld zu tun“, sagt Kummer. Die sieben
       Männer und eine Frau zwischen 20 und 40 Jahren lernten sich auf
       Kundgebungen gegen eine Freitaler Asylunterkunft kennen. Später gründeten
       einige eine Bürgerwehr. Dann reichte ihnen auch das nicht mehr. Doch man
       ließ sie gewähren.
       
       Anderswo hätten sich Bürgermeister und Stadträte sichtbar gegen rechts
       positioniert, etwa in Heidenau oder Bautzen. Doch: „Wir haben in Freital
       keine solidarische Stadtgesellschaft“, analysiert Kummer. Wer die Probleme
       benennt, gelte als „Nestbeschmutzer“. Unbeschwert leben könne sie in
       Freital nicht mehr, eine „latente Angst“ begleite sie stetig. „Aber ich
       überlasse meine Heimatstadt doch nicht denen.“
       
       Michael Richter, der Linken-Politiker, lebt heute in Bayern. Damals war es
       sein Auto, das es als erstes traf: Mit einem Baseballschläger zertrümmerten
       die Angreifer nachts eine Seitenscheibe, warfen Böller hinein. Der Wagen
       flog auseinander, Totalschaden.
       
       ## Keine Terroristen?
       
       Richter ist weggezogen, als er im März 2017 Akteneinsicht nehmen und
       feststellen konnte, dass die Täter*innen und Unterstützer*innen der
       Gruppe Freital weitere Anschläge gegen ihn geplant hatten und über fast
       jeden seiner Schritte genau informiert waren. „Ich habe mich gezwungen
       gesehen, Freital zu verlassen, um wieder ein lebenswertes Leben führen zu
       können.“ Jetzt, nach dem Urteil, werde er noch ruhiger schlafen.
       
       Eine Perle auf der Freitaler Perlenschnur ist das Büro der AfD, unweit dem
       der Linkspartei. Es ist geräumiger, aber auch weniger hell. Auf dem Tisch
       steht eine Vase mit weißen und violetten Kunstblumen, dazwischen steckt
       eine Deutschlandfahne. „Wer über das Urteil im Freital-Prozess sprechen
       möchte, ist hier genau richtig“, sagt ein sehr junger Mann, der gerade mit
       einem älteren Mitbürger im Gespräch ist. Aber die taz? „Nein, auf keinen
       Fall.“
       
       Auch dem älteren Herrn rät er davon ab. Schon kurz darauf meldet sich aber
       Dirk Jährling vom Freitaler AfD-Vorstand telefonisch. Er bereue, dass er
       die Taten im NDR einst als „Lausbubenstreiche“ bezeichnet habe, beteuert,
       er habe damals nur von „Knallkörpern“ gewusst. „Aber das waren Straftaten,
       die gesühnt gehören“, sagt Jährling jetzt.
       
       Terroristen seien die Verurteilten für ihn aber auf keinen Fall, überzeugt
       sei er, dass sie niemanden hätten töten wollen. Bis auf Timo S., den
       Zugezogenen aus Hamburg, kenne er alle persönlich; Justin S. etwa, der
       Jüngste, sei immer „der Ruhigste in der Klasse gewesen“. „Ein paar
       Arbeitsstunden im Asylantenheim hätten gereicht.“ Timo S. und Patrick F.
       dagegen seien schon anders, „das sind heftige Typen“, sagt Jährling.
       
       Die damals angegriffenen Geflüchteten, die Eritreer und Syrer, leben längst
       nicht mehr in Freital. In der S-Bahn von Freital nach Dresden sitzt Ahmad
       Almahamid, er arbeitet als Auszubildender in einem Zahntechniklabor in der
       Nähe von Freital. Anfang 2016 habe er überlegt, für seine Ausbildung nach
       Freital zu ziehen, doch immer wieder sei ihm davon abgeraten worden. Also
       blieb er als einer von wenigen Geflüchteten überhaupt in Sachsen; er lebt
       in einer WG in Dresden.
       
       Oft werde er im Bus in Freital geringschätzig angeguckt, sein Smartphone
       mit einem Kommentar bedacht. „Ich gehe arbeiten, verdiene mein Geld, habe
       es mir selbst gekauft. Ich bin niemandem etwas schuldig“, sagt Almahamid.
       Er sagt, das Urteil sei ein gutes Signal. „Hier muss etwas passieren.“
       
       Er blickt zum Fenster hinaus. Der Wind in Freital weht noch immer heftig.
       
       10 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Voß
       
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 (DIR) Rechte Anschlagsserie in Sachsen: Weitere Anklagen im Fall Freital
       
       2015 erschütterte eine Serie rechtsextremer Anschläge auf Asylunterkünfte
       und Linke das sächsische Freital. Nun gibt es Anklagen gegen vier
       Beteiligte.
       
 (DIR) Gewalt gegen linke Politiker: Die sächsischen Vertriebenen
       
       Sie wurden von Neonazis gejagt. Man hat ihnen das Auto angezündet. Bis
       linke sächsische Politiker nicht mehr konnten. Sie sind weggezogen.
       
 (DIR) Kommentar Urteil im Freital-Prozess: Genau richtig
       
       Rechter Terror: Schon zuletzt sprachen Gerichte hohe Haftstrafen für
       Anschläge aus. Nun setzt der Staat mit seinem Terrorismusurteil ein
       Zeichen.
       
 (DIR) Urteil für Gruppe Freital: Sie sind alle Paragraf 129a
       
       Nach einer Gewaltserie gegen Geflüchtete im sächsischen Freital werden acht
       Angeklagte als terroristische Gruppe verurteilt.
       
 (DIR) Urteil im Freital-Prozess erwartet: Neue Härte gegen braune Brandstifter
       
       Lange konnten rechte Attentäter mit milden Urteilen rechnen – nun verhängt
       die Justiz harte Strafen. Vielleicht auch im Freital-Prozess.