# taz.de -- Neue Volksmusik von Kofelgschroa: Raus aus dem Rustikalen
       
       > In Oberammergau gibt es Passionsspiele, aber auch die Hausbesetzer-Band
       > Kofelgschroa. Mit ihrem Album „Baaz“ geht sie auf Tour.
       
 (IMG) Bild: Eine Blaskapelle – das ist Kofelgschroa NICHT!
       
       Natalie hat Miriam hinter ihrem Rücken „dick wie ein Elefant“ genannt.
       Miriam reagiert wütend, Natalie ist schließlich ihre beste Freundin. Unheil
       braut sich zusammen in dem Song „Baaz“, wie die grauen Wolken über dem
       Herbsthimmel. Dorfkindheit ist ein Matschklumpen, man merkt das bereits in
       der Bahn von Murnau Richtung Oberammergau, vor dem Fenster die Alpen, der
       dominante Hausberg Kofel: „Im Baaz g’hers’t nei / Im Baaz g’hers’t nei“, in
       den Schlamm gehörst du getaucht. „Ein kleiner Junge spielt den Ball mit der
       Hauswand / Weil er keinen zweiten fand“, zeichnete die Band Kofelgschroa
       ihre Kindheit in der oberbayerischen Provinz einmal melancholisch nach.
       
       Wer die Gruppe treffen will, muss sich auf den Weg machen in das für seine
       Passionsspiele bekannte Dorf: Und doch ist „Baaz“, das dritte Album der
       Oberammergauer, eine konsequente Weiterentwicklung, raus aus dem
       Rustikalen, ins künstlerisch Eigenständige.
       
       „Na hoffentlich“, ruft Hornist Matthias Meichelböck aus, im bandeigenen
       „Hotel Kovèl“, neben der Pfarrkirche. Was Kofelgschroa zu einem allseits
       bekannten Kuriosum gemacht hat, wäre andernfalls auch auserzählt.
       Stichworte: Neue Volksmusik, Karl Valentin, Polka, Groove. Alles klingt wie
       verzaubert: Kofelgschroa, das sind vier Dorfjungs, die sich zwischen der
       Arbeit als Schmied und Holzschnitzer, das Querköpfige und einen
       anarchisch-katholischen Hedonismus bewahrt haben, in dem man frei ist,
       solang der Herr im Himmel nix dagegen hat.
       
       „Verlängerung, bitte sehr / Auf dieser Welt, lieber Herr“, sangen sie 2012
       auf ihrem Debüt. Im Dokumentarfilm „Frei.Sein.Wollen“ (2014) können sie
       ihren Gesprächspartnern vor lauter Schüchternheit kaum in die Augen
       schauen. Auch wenn sie ihre Messdienervergangenheit nicht leugnen, früher
       nach ihren Konzerten gleich wieder zur Arbeit gingen, teilweise immer noch
       gehen, andere Erfahrungen sind nun prägender: Das „Hotel Kovèl“, jenes
       Hauptquartier, das man nicht „Kulturzentrum“ nennen darf, weil das eben,
       wie Martin von Mücke (Tuba) klarstellt, „verboten“ ist. Und weil es
       eigentlich ein ausrangiertes Hotel ist.
       
       Aus einer Hausbesetzung und zähen Verhandlungen mit der Gemeinde heraus ist
       dieser Ort entstanden. Früher organisierten Kofelgschroa dort Techno-Raves.
       So wirken sie wie Menschen, in sich ruhend nach local fights und ein
       bisschen cooler als der Journalist mit seinem akademischen Background.
       
       ## Bitte nicht in die Heimatsound-Ecke einsorten
       
       Aus manchen Provinzen sind solche Querköpfe verschwunden. Kofelgschroa sind
       geblieben und doch nicht. Nach den Passionsspielen 2010 löste die Gruppe
       sich vorübergehend auf, die Musiker gingen auf Reisen. Sänger und
       Akkordeonist Maxi Pongratz landete nach einer Israelreise in Berlin. Dort,
       in einem Hausprojekt am Müggelsee, entstanden Songs wie „Eintagesseminar“
       oder „Schlaflied“.
       
       Was sie vom Dorf mit nach unterwegs genommen haben, damals, war der
       euphorisch den Himmel öffnende Groove, was neu hinzukam, war der Sprachwitz
       und ausbalanciertes Songwriting. „Groove und Wiederholung waren unsere
       ersten musikalischen Entdeckungen nach Volksmusik. Wir haben traditionell
       gespielt, aber richtig interessant war es immer, wenn wir uns auf eine
       Tonart geschmissen haben und meditativ-technoartig dahingeglitten sind“,
       sagt Pongratz.
       
       In der Tat gibt es kaum ein feineres Lied, um in die Morgensonne zu treten
       nach einer langen Nacht, als „Die Wäsche“. Alles ist lapidar auf den Punkt
       gebracht: „Die Wäsche trocknet auch am Licht / Wie schön ist das
       eigentlich?“ Auf „Baaz“ ist Schluss mit simpler Schönheit. Hier wird
       endgültig klar, dass es bei Kofelgschroa um popkulturell äußerst versierte
       Künstler geht, nicht um harmoniebegabte Exoten aus dem Herrgottswinkel.
       Meichelböck sagt dazu: „Wir sehnen uns schon länger nach einem Schritt. Wir
       haben ein Problem damit, dass man uns immer in diese Heimatsound-Ecke
       einsortet, als Blaskapelle.“
       
       Zentrale Neuentdeckungen von Kofelgschroa: Eine Philicorda-Heimorgel,
       Baujahr 1963, und ein Hi-Hat. „Dort habe ich einen anderen Anspruch als bei
       dem Instrument, das ich gelernt habe, eine andere Naivität, die Räume
       aufmacht und die Schnelligkeit rausnimmt“, sagt Maxi Pongratz. Manches
       klingt wie Polka-Krautrock, anderes wie Jonathan Richman, immer wieder ist
       der Sound genau ausbalanciert zwischen Bavarian-Gothic und Galgenhumor.
       
       Jacques Palminger fällt als Referenz und, als kleinster gemeinsamer Nenner,
       die irre Wiener Jazz-HipHop-Impro-Performance-Posse koenigleopold. Passt
       also nicht mehr so richtig in das Schema „Neue Volksmusik“, im Gegenteil.
       Spätestens mit diesem außergewöhnlichen Album präsentieren sich
       Kofelgschroa als Vertreter eines eigenen Genres. Sie sind für die Provinz
       in den Magengruben, was die Moldy Peaches für das New York in den Köpfen
       waren. Bis auf Weiteres könnte man es nennen: Antivolk.
       
       8 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Greiner
       
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