# taz.de -- Brass Band aus München: Weiter hinausschwimmen
       
       > Der anarchische Sound eines freundlichen Kollektivs: Die 25-köpfige
       > Express Brass Band aus München und ihr Album „Pluto kein Planet“.
       
 (IMG) Bild: Und die Tuba spielt der Wolfi Schlick (4. v. l.) mit seiner hier nicht ganz vollzähligen Express Brass Band
       
       „Ich wollte einfach eine Band zum Rumlaufen“, erklärt Wolfi Schlick
       rückblickend und dachte an eine Marching Band, mehr Mardi Grass für
       München. Was er gekriegt hat, beinahe 20 Jahre später: Einen eigenen
       Klangkosmos auf 50 Beinen. „Worauf ich ein bisschen stolz bin: Dass ich
       nicht versucht habe, mein ursprüngliches Konzept zu machen, sondern mir
       angeschaut habe, was da passiert – die Band, die es jetzt gibt, ist ja viel
       toller als alles, was ich mir je hätte ausdenken können.“
       
       Express Brass Band nennt sich das von Schlick ins Leben gerufene 25-köpfige
       Ensemble, das dieser Tage sein drittes Album veröffentlicht: „Pluto kein
       Planet“. Der Bezug zum Weltall passt bestens. Begonnen hat der Umweg des
       Blechblaskollektivs zu den Sternen mit der Münchner
       Kraut-Jazz-turns-Globalpop-Gruppe Embryo.
       
       In deren Umfeld war Bandgründer Schlick einst in den Neunzigern unterwegs,
       als das Stichwort „New Weird Bavaria“ mit seinen noisigen und
       psychedelischen Popbands, das zuletzt kleine Wellen durch die hiesige
       Musiklandschaft warf, noch lange nicht erfunden war.
       
       ## Irgendetwas bleibt immer hängen
       
       Embryo selbst sind seit 1969 aktiv, über 400 Musiker spielten seither beim
       Kollektiv mit – Schlick, der Tuba, Querflöte und Saxofon spielt, tourte
       unter anderem mit ihnen durch Marokko. Embryos Mastermind Christian
       Burchard war es, der Schlicks neu gegründete Gruppe in den frühen nuller
       Jahren mit Folk aus dem arabischen Raum und Afghanistan vertraut machte.
       „Dadurch kam es zu diesem Globalpop-Ding. Das Bayerische haben wir auch
       drin, aber das ist bei uns eher unbeabsichtigt, was ich aber gut finde –
       die meisten Musiker sind zwar in München aufgewachsen, aber nicht mit
       bayerischer Blasmusik sozialisiert. Irgendwas bleibt trotzdem immer hängen,
       wenn du in der Gegend lebst.“
       
       Balkan-Brass und afrofuturistische Experimente, groovy Funk, Soul und eben
       doch New-Orleans-Jazz sind weitere Elemente. Fela Kuti, Sun Ra, Moondog und
       das Art Ensemble of Chicago dienen als wichtigste musikalische Referenzen.
       
       Die engsten Verwandten fanden sich allerdings schon kurz nach der Gründung
       in den „Bande apertas“ in Italien – den großen linken Blechblaskollektiven,
       die offen für alle sind, alle Entscheidungen in Vollversammlungen treffen
       und dezidiert im politischem Rahmen auftreten. Und die sich wiederum auf
       eine deutsche Band berufen, die in den 1970ern auf dem Label Trikont
       veröffentlichte: Das sogenannte Linksradikale Blasorchester um den
       Komponisten Heiner Goebbels.
       
       Dabei versteht Schlick seine Gruppe doch anders: „Das Politische bei uns
       sehe ich eher darin, dass wir lange durchgehalten haben. Wo man also gegen
       den Markt ist, sich verweigert, professionell zu werden.“ Das ist ein
       schmaler Grat, den die Express Brass Band gerade gehen muss. Denn
       weiterkommen, musikalisch, wollen sie durchaus.
       
       ## Eine Hausmacht finden
       
       Zwischen dem sehr improvisierten Debütalbum und dem zweiten Werk, „We Have
       Come“ von 2013, verging ein Jahrzehnt, nun sind sie im marktüblichen
       Veröffentlichungsrhythmus angekommen. „Ich habe irgendwann gesagt: Hey, wir
       müssen immer wieder neu beginnen, wir kommen überhaupt nicht voran“,
       erklärt Schlick. „Aber Professionalisierung finde ich ein schwieriges
       Konzept, denn die meisten Profi-Bands, die ich kenne, haben mir vor diesem
       Schritt besser gefallen.“
       
       25 MusikerInnen mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen vom Klang und
       völlig unterschiedlichen Skills unter einen Hut zu bringen, das ist sowohl
       atmosphärisch als auch logistisch eine Herausforderung. Zumal die meisten
       mittlerweile Familie haben und feste Jobs. Dass die Band für alle auch ein
       Freundeskreis ist, hilft.
       
       „Wir sind 25 Leute, und natürlich kommt nicht jede Idee durch, es gibt
       unterschiedliche Fraktionen: Manchen liegt der Balkan näher, andere mögen
       New Orleans-Sound und Sun Ra und dann vermischt sich alles. Man findet eine
       Hausmacht und fordert: Das wollen wir jetzt spielen.“ Gemeinsame Termine
       finden ist noch schwieriger. Allein bei den Proben: „Manchmal kommen vier,
       manchmal kommen halt doch alle 25.“
       
       Auf dem Album „Pluto kein Planet“ ergänzt sich die Band weiter – neben
       Burchard, der erstmals nach einem Schlaganfall wieder als Musiker zu hören
       ist (mit Synth-Solo auf der Embryo-Coverversion „Straße nach Asien“), sind
       auch zwei syrische Orchestermusiker mit dabei, die 2015 als Flüchtlinge
       nach Bayern kamen.
       
       ## Schon immer Migranten
       
       Schlick hält sich bei der politischen Einordnung eher zurück: „Natürlich
       hat man mehr Möglichkeiten, weil mehr Leute da sind, und natürlich kann man
       das politisch sehen, dass wir ein Zeichen setzen gegen den Wahnsinn. Aber
       in München lebten schon immer Migranten aus dem Nahen Osten. Am Bahnhof
       gibt es eine Pfandleihe, da proben seit Jahren ein-, zweimal die Woche
       Menschen Oud und Kanun, lange bevor das Thema in der Öffentlichkeit bekannt
       wurde.“
       
       Die Interpretationen von traditionellen Stücken aus dem arabischen Raum
       gehören zu den Highlights der Express Brass Band, genauso wie das
       euphorisch schwitzende „Talali Talala“, im Original von der kongolesischen
       Gruppe Verckys et L’Orchestre Vévé, das Afrobeat mit James Brown verbindet.
       
       In die Traditionen eintauchen und damit ein Stück weiter hinausschwimmen –
       wahrscheinlich ist es das, was die Express Brass Band so anziehend macht.
       Und was einen auch dazu hinreißt, von einem freien, einem anarchischen
       Sound zu sprechen, obwohl zugleich alles doch so melodisch satt und
       freundlich offen ist. Dass alle mit ihrem eigenen Können und Begehren Platz
       finden, ohne dass es Chaos wird, kann diese Gesellschaft schließlich gar
       nicht oft genug zu hören kriegen.
       
       11 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Greiner
       
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