# taz.de -- Neues Album von Sleater-Kinney: Feminismus fürs 21. Jahrhundert
       
       > Das US-Postpunk-Trio veröffentlicht mit „No Cities to Love“ ein
       > hymnisches neues Album – das die Riot Grrrl-Bewegung wieder zünden lässt.
       
 (IMG) Bild: Stadionkompatibel sind Sleater-Kinney also auch: Janet Weiss, Corin Tucker und Carrie Brownstein.
       
       „When she talks, I hear the revolution / In her kiss, I taste the
       revolution“ – Bikini Kill waren es, die mit ihrem Song [1][“Rebel Girl“]
       1991 die Riot-Grrrl-Bewegung ein Stück weit geprägt haben. Ende der
       Achtziger war diese Szene an der nordwestlichen Pazifikküste der USA
       entstanden. Enttäuscht vom fast ausschließlich männlich dominierten Punk,
       aber fasziniert von seiner Musik und Do-it-yourself-Idee, taten es ihnen
       die Künstlerinnen gleich, eigneten sich die Produktionsprozesse selbst an,
       revolutionierten die Entstehung von Musik und hinterfragten die
       Gesellschaft, in der sie entsteht.
       
       Mit Sleater-Kinney ist nun eine Band wiedervereint, deren Mitglieder neben
       Bikini Kill zu den Protagonistinnen der Riot Grrrl-Bewegung gehörten. Fast
       20 Jahre nach ihrem selbstbetitelten Debüt auf dem Szene-Label Kill Rock
       Stars erscheint am Freitag ihr neues Album mit dem Titel „No Cities to
       Love“.
       
       Es mag paradox erscheinen, aber die Sleater-Kinney-Sängerin und
       -Gitarristin Carrie Brownstein ist inzwischen mit ihrer satirischen
       Fernsehsendung „Portlandia“ in den USA bekannter als mit ihrer Musik.
       Schlagzeugerin Janet Weiss gilt als eine der besten in den USA. Die zweite
       singende Gitarristin Corin Tucker hat neben ihrer Familie und mehreren
       Bands zwei Soloalben herausgebracht. Seit 2012 arbeiten die drei
       Musikerinnen wieder zusammen.
       
       Spätestens nach den ersten Proben war klar: Sie können diese Band nicht
       einfach nebenbei machen. Sleater-Kinney, benannt nach einer
       Highway-Ausfahrt zwischen Seattle und Portland, zeichne eine Art
       Eigenenergie aus, erklärt Janet Weiss. Dass sie ihre Beziehungen zu der
       Band und zueinander erst einmal neu verhandeln mussten, wird auf ihrem
       neuen Album deutlich, zum Beispiel in der Vorabsingle [2][“Bury Our
       Friends“], in denen sie alte Idole wieder ausgraben und davon singen, in
       Codes zu tanzen.
       
       Ein erster Schritt war, herauszufinden, wie viel sie noch „für diese Band
       fühlten, um im Keller zu schwitzen und unsere Band neu zu erfinden“, meint
       Corin Tucker. Kennengelernt hat sich die Band im Umfeld des liberalen
       Evergreen State College in der 30.000-Einwohner-Stadt Olympia im
       US-Bundesstaat Washington. Mit Bands aus den benachbarten Städten Portland,
       Oregon, und Seattle teilt sie sich die Homebase mit dem Indie-Label Sub
       Pop, das dort etwas etablierte, was erst als Seattle-Sound und später als
       Grunge bekannt werden sollte. Ihre Kollegin Kathleen Hanna (Bikini Kill)
       lieferte mit der Parole „Kurt smells like teen spirit“ erst die Inspiration
       für einen der erfolgreichsten Musiktitel der neunziger Jahre. Auf der
       anderen Seite des Landes, in Washington D.C., gab es gleichzeitig eine
       veritable Punkszene.
       
       ## „Revolution, girl-style, now!“
       
       Riot Grrrl hat viel mit der ausgeprägten Fanzine-Kultur in diesen beiden
       Ballungsräumen zu tun. Viele junge Frauen schrieben in den
       selbstverwalteten und -aufgelegten Medien über Musik und darüber hinaus. So
       war der spätere Name der Bewegung, die die Frauen erst in gemeinsamen
       Treffen, dann in den verschiedenen Bands vereinte, anfangs der Name eines
       angry grrrl zines. Während Hardcore-Punk in den USA eine sehr männlich
       dominierte Szene war, forderte Riot Grrrl: „Revolution, girl-style, now!“
       
       Damit machte die Bewegung Feminismus einer neuen, jüngeren Gruppe von
       Frauen zugänglich. Feministische Themen, die vorher stark wissenschaftlich
       diskutiert wurden, bezogen sich jetzt auf die Lebensräume einer jungen,
       kreativen Szene – auf Literatur, Kunst und Musik. Riot Grrrl habe damit
       Feminismus für das 21. Jahrhundert umgeschrieben, sagt Corin Tucker. Die
       Bands, die damals entstanden – Bikini Kill, Sleater-Kinney, Bratmobile,
       Heavens to Betsy, Excuse 17, Skinned Teeth – thematisierten häusliche
       Gewalt, Sexualität, Selbstbestimmung, patriarchale Strukturen oder
       Vergewaltigung, verpackt in kraftvolle Musik, bei der es nicht um virtuoses
       Können, sondern um hierarchiefreie Kreativität ging.
       
       Außerdem brachte Riot Grrrl nicht nur sprachlich Revolution und Frau-,
       beziehungsweise Mädchensein zusammen. Die Bewegung habe auch tabuisierte
       Bilder zurückgewonnen, sagt Allison Wolfe von der Band Bratmobile, und
       möglich gemacht, dass Lippenstift und Röcke heute mit Feminismus und Punk
       zusammengehen.
       
       Gleichzeitig gab es die – berechtigte – Kritik an der Bewegung, Riot Grrrl
       sei hauptsächlich ein erlauchter Kreis aus weißen Mittelklassemädchen
       gewesen – was heute als zu enge Schublade gilt. Bereits nach den ersten
       Jahren waren viele Riot Grrrls enttäuscht über das Image, das Medien ihnen
       verpassten, und darüber, dass ihre politisch radikalen Ideen bereits Mitte
       der Neunziger unter anderem von der britischen Chartsband Spice Girls zu
       einer „girl power“-Attitüde umgedeutet wurden. Viele Riot-Grrrl-Bands
       lösten sich spätestens Anfang der nuller Jahre wieder auf. So auch
       Sleater-Kinney, die 2006 eine Pause auf unbestimmte Zeit verkündeten.
       
       Mit der Veröffentlichung des sieben Alben umfassenden Box-Sets im Oktober
       begann ein neues Kapitel der Band, mit einer mehr als vorbildlichen
       Werbestrategie, die immer neue Informationen zufütterte. Erst die
       Ankündigung einer Tour, die sie im Frühling auch nach Europa führen wird,
       dann das neue Album. Die erste Single „Bury Our Friends“ ist eigentlich der
       zuletzt fertig gestellte Song des neuen Albums. Das markante Gitarrenriff
       entstand erst spät und sollte unbedingt seinen Weg auf das Album finden.
       Erst als die Band den bereits fertigen Song umgeschrieben hatten, sei bei
       der Band ein Knoten geplatzt.
       
       ## Ein hymnischer Song
       
       Energetisch ist dieser Riff, wie viele auf dem Album. Der wechselnde Gesang
       und die Gitarren von Brownstein und Tucker versprechen Ohrwürmer, während
       Janet Weiss den Dialog zwischen ihnen am Schlagzeug anheizt. Die Band
       erzeugt einen Sound, dessen Bestandteile miteinander kommunizieren. „Bury
       Our Friends“ sei ein hymnischer Song, meint die Band. Das Stück macht somit
       die klarsten Ansagen für die Reunion der Band, ihre Message und das neue
       Album – „hymnisch“ ist letztendlich das Adjektiv, das das ganze Album am
       besten trifft. „We speak in circles / We dance in code / Exhume our idols
       and bury our friends / We’re wild and weary but we won’t give in“, singen
       Tucker und Brownstein im gleichen Dialog, den ihre Gitarren führen.
       
       Dabei wird Wort für Wort kommuniziert, Bedeutung für Bedeutung betont und
       neu geschaffen: Sleater-Kinneys „Wir“ ist ein besonderes Kollektiv. Der
       titelgebende Song „No Cities to Love“ macht aber auch deutlich, dass sie
       mehr im Blick haben: „We win / We loose / Only together / We do break the
       rules“.
       
       Sleater-Kinney haben auch Referenzpunkte außerhalb ihrer Band. Regeln
       sollen gebrochen werden, sei es in verfahrenen städtischen Strukturen, im
       Privaten oder die kapitalistische Weltordnung betreffend. Das liefert
       Songtexte, in denen die richtigen Schlüsselwörter fallen. Auch wenn
       Sleater-Kinney ihr Riot- Grrrl-Sein als Teil ihrer Geschichte begreifen,
       selber bei der nun zum Majorlabel Warner gehörenden Wiege des Grunge, dem
       Label Sub Pop, unter Vertrag sind, arbeiten sie immer noch an der
       Revolution, girl-style selbstverständlich.
       
       16 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.youtube.com/watch?v=mZxxhxjgnC0
 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch?v=4D0d_c5Qz0Q
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diviam Hoffmann
       
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