# taz.de -- Niedergang der Linken im Osten: Die linke Krise
       
       > Die niederschmetternden Wahlergebnisse der Linken im Osten bedrohen auch
       > ihre bundesweite Existenz. Wie soll es weitergehen?
       
 (IMG) Bild: Mit einem Wahlerfolg in Thüringen wäre die Linke zumindest stabilisiert
       
       DRESDEN/ERFURT taz | Verena Meiwald wird in den nächsten Tagen die Plakate
       abnehmen und ihr Büro im Sächsischen Landtag ausräumen. Und sich nach einem
       neuen Job umschauen. Der Landessportbund hat Interesse signalisiert.
       „Irgendwas wird sich schon finden“, sagt sie am Telefon.
       
       Meiwald, 53 Jahre alt, saß zehn Jahre für die sächsische Linke im Dresdner
       Landtag. Seit Sonntag ist die einstige sportpolitische Sprecherin raus. Ihr
       Listenplatz 19 galt eigentlich als sicher: Die Umfragen sagten der Linken
       Ergebnisse um die 15 Prozent voraus. Doch am Sonntag wählten nur knapp über
       10 Prozent der WählerInnen Meiwalds Partei.
       
       Sie sei immer noch durch den Wind, erzählt Meiwald am Mittwoch. [1][Das
       Wahlergebnis] traf sie unvorbereitet. „Das ist jetzt nicht euer Ernst!“,
       habe sie gedacht, als die ersten Prognosen kamen. In Brandenburg, wo
       ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wurde, das gleiche Debakel. 133.000
       Zweitstimmen hat die Partei in beiden Ländern im Vergleich zu 2014
       verloren. In den Landtagen ist sie jetzt nahezu halbiert.
       
       Bei der Wahlparty der Linken in Dresden ist am späten Sonntagabend nur noch
       Frustsaufen angesagt. „Schreibst du mal ’ne Pressemitteilung. Ich kann das
       nicht mehr“, sagt ein Genosse zum anderen. Am Montag steht immer noch keine
       Pressemitteilung im Netz. Wie soll man in Worte fassen, was viele
       GenossInnen nicht begreifen?
       
       ## Spurensuche
       
       Die ostdeutsche Linke, die in den 90ern als PDS im Osten zur Volkspartei
       aufstieg, ist zurück auf dem Stand von 1990.
       
       Man sucht nach Gründen: Der Wahlkampf sei geprägt gewesen von der
       [2][Auseinandersetzung zwischen AfD und CDU]. Leute, die eigentlich Linke
       wählen wollten, seien zur CDU gegangen, um zu verhindern, dass die AfD
       stärkste Kraft wird. Als Erklärung reicht das kaum aus. Die Linke hat an
       alle Parteien verloren – an AfD und CDU, aber auch an Grüne und SPD. Sogar
       an die FDP.
       
       Die Wählerinnen im Osten waren immer eine Bank für die Partei, die vor 12
       Jahren aus der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) im Westen und
       der PDS im Osten hervorging. In der Parteizentrale in Berlin gilt die
       Faustformel: Um 7 bis 8 Prozent bei Bundestagswahlen zu erreichen, muss die
       Linke im Osten etwa 20 Prozent einfahren. Doch nach dieser Formel käme die
       Partei derzeit nicht einmal über die 5-Prozent-Hürde.
       
       Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg besiegeln nicht nur das Ende der
       einstigen Ostpartei. Sie stürzen die Linke auch als Gesamtpartei in eine
       existenzielle Krise.
       
       ## Sterbende Genossen
       
       Der Niedergang im Osten zeichnete sich seit Längerem ab. Als sich der
       Bundestag 2017 konstituierte, hatte die Fraktion erstmals deutlich mehr
       Abgeordnete aus den alten als aus den neuen Ländern. Die taz fuhr damals
       nach Dippoldiswalde, in das Büro von Meiwalds Kreisverband.
       
       Damals schilderten die Mitarbeiter, wie es ist, wenn die Zahl der
       Mitglieder, die sich ins Jenseits verabschieden, schneller steigt als die
       Zahl der Neueintritte: dass man kaum noch jemanden finde, der als
       Abgeordnete für den Kreistag kandidiert; dass die Beitragseinnahmen sinken
       und man daher Mitgliedern zu runden Geburtstagen nur noch Glückwunschkarten
       statt Blumen schicke. Heute, nur zwei Jahre später, wird das
       Dippoldiswalder Büro wohl über kurz oder lang geschlossen.
       
       Seit Montag sucht die Linke fieberhaft nach einem Weg aus der Krise. Im
       Osten denken nicht wenige, dass die Ursachen dafür auch in der Vereinigung
       von WASG und PDS liegen. Diese sei auf Kosten des Ostens gegangen.
       
       So sieht es auch die Brandenburger Linke-Vorsitzende Anja Mayer.
       Unterschiede seien damals zu wenig anerkannt worden, sagt sie. Mayer wuchs
       in Rothenburg ob der Tauber auf und lebt seit 2015 in Potsdam. Viele halten
       sie für eine Urbrandenburgerin, vielleicht weil sie als Arbeiterkind so
       bodenständig tickt. „Wir haben viel Zeit für Debatten aufgewandt, die
       nichts mehr mit den Leuten zu tun hatten“, sagt Mayer. Wie lange habe man
       sich etwa über die Frage gestritten, ob es im Programm nun „Freiheit und
       Sozialismus“ oder „Freiheit durch Sozialismus“ heißen müsse.
       
       ## Betreuungslandkreise so groß wie das Saarland
       
       Der Rentnerin, die von 850 Euro leben muss, ist es wahrscheinlich völlig
       schnuppe, dass sich „Freiheit und Sozialismus“ durchsetzte. Die fragte
       Mayer im Wahlkampf eher, warum die Linke in Brandenburg noch immer nicht
       die Renten erhöht habe, obwohl sie doch seit zehn Jahren regiere. „Dass das
       auf Bundesebene geregelt werde, lassen die Menschen als Antwort nicht
       gelten.“
       
       In Brandenburg hat die Linke 7 von 17 Mandaten verloren. Das heißt: 7 von
       17 Landkreisen sind nunmehr „Betreuungswahlkreise.“ Da die Partei aus
       diesen keine Vertreter mehr in den Landtag entsenden kann, übernimmt ein
       Abgeordneter aus einem Nachbarlandkreis den verwaisten Kreis. Das trifft
       etwa auf den Landkreis Oder-Spree zu, ein Gebiet, annähernd so groß wie das
       Saarland.
       
       Ist es da eine Option, sich verstärkt auf die Städte zu konzentrieren, wo
       die Mitgliederzahlen immerhin nicht sinken? „Nein“, meint Mayer. Sie sei
       nicht bereit eine einzige Region aufzugeben.
       
       Doch die Frage, welcher Zielgruppe sich die Linke künftig zuwendet, stellt
       sich schon. Sahra Wagenknecht, die scheidende Fraktionsvorsitzende, äußerte
       am Wahlabend die Überzeugung, dass die Linke zu sehr als Teil des
       grünliberalen Establishments wahrgenommen werde. Man müsse sich mehr um die
       Unzufriedenen kümmern, den Umgang mit AfD-Wählern, von denen früher ja
       viele mal links gewählt hätten, überdenken.
       
       ## Fluchen über Wagenknecht
       
       AfD-Wähler zurückholen? „Die Leute wissen schon, wen sie wählen“, sagt
       Mayer. „Der Zug als Protestpartei ist abgefahren“, meint auch Verena
       Meiwald aus Sachsen. Wagenknechts Vorschlag erntet Kopfschütteln. Oder
       unterdrückte Flüche. Ist sie nicht gerade mit ihrer [3][Sammlungsbewegung
       „Aufstehen“ krachend gescheitert]? Und hat nicht der Streit über die
       Ausrichtung der Partei, der zwischen Wagenknecht und Parteichefin Kipping
       als öffentlicher Machtkampf ausgefochten wurde, die Partei gelähmt und zu
       den schlechten Ergebnissen beigetragen?
       
       Zusätzlich ziehen sich weitere Konflikte durch die Partei: Entlang von
       Themen wie der Globalisierung, dem Klimawandel, der Zukunft der EU. In der
       Linken gibt es da die gleichen Bruchlinien, die auch durch die Gesellschaft
       gehen. Aber sie kann sich weder für eine Seite entscheiden, noch schafft
       sie es, beide miteinander zu versöhnen. Deshalb werden auch ihre Positionen
       dazu, wie man den Klimawandel bekämpfen, die EU gestalten oder Migration
       regeln soll, entweder gar nicht oder dissonant wahrgenommen.
       
       Mayer redet vom Gebrauchswert der Linken, der nicht klar erkennbar sei.
       Nicht in Brandenburg und Sachsen, nicht im Bund und nicht in Europa. Sie
       findet: Weder dürfe man die besseren Grünen noch die Alternative zur AfD
       für Enttäuschte werden. Die Linke müsse ein klar sozialpolitisches Profil
       zeigen.
       
       Aber was, wenn die Menschen Sozialpolitik zwar für ein wichtiges Thema,
       aber nicht für wahlentscheidend halten? Sogar die Linke-Wähler finden, so
       die Wahlumfragen von infratest, dass der Linken neue politische Ideen
       fehlen.
       
       ## Keine Tabus
       
       Am Montag nach den beiden Landtagswahlen traf sich der 44-köpfige
       Parteivorstand im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Es fielen mehrfach
       Begriffe wie „Strategiedebatte“ und „Neuaufstellung“. Nach Angaben von
       Teilnehmerinnen sollen die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und
       Bernd Riexinger klargemacht haben, dass es keine Tabus gebe, alles müsse
       auf den Tisch, auch die personelle Aufstellung. Aber bitte erst nach dem
       27. Oktober. Der Parteivorstand ging mit: Keine Personaldebatten bis zur
       Landtagswahl in Thüringen.
       
       In Thüringen kämpft Bodo Ramelow, einziger linker Ministerpräsident, um
       sein Amt. Seit fünf Jahren regiert hier die Linke zusammen mit SPD und
       Grünen.
       
       Beim Jahresempfang der Linke-Landtagsfraktion am Mittwochabend in Erfurt
       ist der Sommer zurück. Rund 420 Gäste sind gekommen, darunter der
       Vorsitzende des Bauernverbandes, der Rektor der Uni Jena, die
       MinisterInnen von SPD und Grünen. Was für ein Kontrast zu Dresden: Hier
       feiert eine selbstbewusste Fraktion, die mit sich selbst im Reinen ist.
       
       Fast. First Dog Attila leckt der Journalistin die Hände, doch sein Herrchen
       knurrt, als man nach möglicherweise negativen Auswirkungen der
       Landtagswahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg fragt: Er stehe hier als
       Ministerpräsident, blafft Ramelow, der immerhin mal Fusionsbeauftragter für
       die Vereinigung von WASG und PDS war: Wenn es um die Linke gehe, müsse man
       die Partei fragen. Ob er sich im Wahlkampf Besuch aus Berlin wünsche, etwa
       von Parteichefin Kipping? „Sie stört mich nicht“, bescheidet Ramelow. Sehr
       gnädig.
       
       ## Stabilisierung in Thüringen
       
       Die Thüringer Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sieht das
       Wahldebakel als Herausforderung. Sie sagt: „Die Wahlen zeigen uns, dass
       Bodo Ramelow der Wahlentscheider sein wird.“ Wer ihn wolle, müsse die Linke
       wählen. Die Thüringer Linke macht genau das, was in Sachsen und Brandenburg
       gelungen ist: den Ministerpräsidenten als Gegenpol zu einer halbstarken AfD
       aufstellen. Die Strategie könnte sogar aufgehen, denn Ramelow erfreut sich
       großer Zustimmung. Selbst im konservativen Spektrum.
       
       Mit einem Wahlerfolg in Thüringen wäre die Linke zumindest stabilisiert.
       Aber gerettet wäre sie damit noch lange nicht.
       
       Es ist nicht die erste schwere Krise für die Partei. 2002 flog die PDS aus
       dem Bundestag. Drei Jahre später wurde Hartz IV eingeführt, und Oskar
       Lafontaine kam. Auf eine solche Fügung können die heutigen Linken kaum
       hoffen. Wenn sie sich 2020 zum Parteitag treffen, werden sie wieder
       inbrünstig singen: „Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber
       tun.“ Stimmt.
       
       8 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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