# taz.de -- Offener Brief an Frank Castorf: Schluss mit der Arschlochhaftigkeit
       
       > Nach Castorfs sexistischen Aussagen hat Simone Dede Ayivi den offenen
       > Brief an ihn unterzeichnet. Sie findet diese bezeichnend für
       > Theaterstrukturen.
       
 (IMG) Bild: Der ehemalige Intendant der Volksbühne: für manche ein Genie, für andere ein Sexist
       
       Der ehemalige [1][Volksbühnenintendant und alternde Star-Regisseur Frank
       Castorf] ist der Meinung, dass Frauen nicht Regieführen können. Zumindest
       nicht so gut wie Männer. So sagt er es jedenfalls in einem [2][Interview
       mit Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung.] Und Fußballspielen
       können sie auch nicht. Da sieht er einen klaren Qualitätsunterschied und
       deshalb interessiert ihn Frauenfußball auch nicht.
       
       Dass Castorf sich nicht für Frauenfußball interessiert, kann dem Fußball
       egal sein – denn der Fußball interessiert sich auch nicht für Castorf. Im
       Theater ist das jedoch etwas Anderes. Da war er jahrzehntelang ein
       wichtiger Entscheidungsträger und seine Stimme wird weiterhin gehört.
       Deshalb bleiben seine sexistischen Äußerungen auch nicht ohne Antwort,
       obwohl man sich wünscht, sein verkrustetes Weltbild und diese langweilige
       Provokation einfach ignorieren zu können.
       
       [3][Ein offener Brief] der Dramaturgin Felizitas Stilleke, der am Mittwoch
       auf welt.de veröffentlicht wurde, findet über 600 Unterzeichner*innen. Kein
       Wunder, denn hier geht es um mehr, als dass ein Mann in einer Zeitung etwas
       Sexistisches gesagt hat. Was er sagt, ist bezeichnend für die Strukturen,
       in denen Theater entsteht und wem dort eine Plattform geboten wird.
       Unabhängig davon, wie groß der Mist auch ist, den er spricht.
       
       Das sind festgefahrene Machtstrukturen und ein Genie-Bild, das vorwiegend
       Männern erlaubt, auf Proben zu schreien und zu demütigen. So entsteht
       Kunst, die ohnehin nur für einen erlauchten Kennerkreis gedacht ist, der
       sich immer wieder um sich selbst dreht. Dieses Theater ist nicht inklusiv,
       nicht queer, nicht vielfältig. In diesem Theater hat die Kunst von Frauen,
       Schwarzen Menschen, People of Color und anderen Marginalisierten keinen
       Platz.
       
       Dort werden vorwiegend tote Dichter und Denker immer wieder neu
       interpretiert. Neu – aber immer motiviert durch die Liebe zum Alten und wer
       das kritisiert, hat es einfach nicht verstanden – so die übliche arrogante
       Abwehr von Castorf und Konsorten. Diese Arroganz können sich die Herren
       auch leisten: Keine der offen ausgesprochenen Diskriminierungen hat jemals
       berufliche Konsequenzen nach sich gezogen.
       
       ## Es sind nicht alle Castorfs
       
       Momentan sind die Machtverhältnisse noch so verteilt, dass viel mehr
       diejenigen um ihre Aufträge fürchten müssen, die sich diesem Muster
       entgegenstellen. Die Kritik wird lächerlich gemacht: als unkünstlerisch und
       lustfeindlich abgetan.
       
       Auf das veränderte Bewusstsein nach #MeToo angesprochen, unterstellt
       Castorf Fantasie und Erotik würden nun als anrüchig betrachtet und fragt
       sich, ob wir demnächst die Aktmalerei verbieten wollten. Über den
       Unterschied zwischen Erotik und Frauenverachtung könnte er sich schnell
       informieren, aber das interessiert ihn wohl genauso wenig, wie
       Frauenfußball.
       
       Bei all der Aufregung um Castorfs Äußerungen sollten wir nicht vergessen,
       dass seit vielen Jahren ein großer Teil der Theaterschaffenden ganz andere
       Töne anschlägt. Besonders jüngere Kolleg*innen rütteln an den bestehenden
       Verhältnissen, um mit der Theatertradtition der genialen
       Arschlochhaftigkeit zu brechen. Initiativen wie Bühnenwatch, das Bündnis
       kritischer Kulturpraktiker*innen oder die Initiative für Solidarität am
       Theater, machen schon lange auf Diskriminierung und Ausschlüsse im
       Kulturbetrieb aufmerksam. Auch schlechte Arbeitsbedingungen und
       Machtmissbrauch werden zunehmend thematisiert. Solidarische Arbeitsweisen
       werden entwickelt und neue Ästhetiken entworfen.
       
       Jetzt haben wir die Wahl: Leuten wie Castorf zuzuhören oder zu genießen,
       dass da eine breite laute Bewegung ist, die trotz aller Hindernisse mit
       Freude und Leidenschaft das Theater öffnet. Zum Wohle von Künstler*innen
       und Publikum. Was hier gerade passiert ist wirklich interessant.
       Interessanter als so manches Männerfußballspiel und jedes Interview mit
       Frank Castorf.
       
       5 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5417004/
 (DIR) [2] http://www.sueddeutsche.de/kultur/frank-castorf-im-interview-es-ist-so-wie-mit-einer-liebe-die-vorbei-ist-1.4033924?reduced=true
 (DIR) [3] https://www.welt.de/kultur/theater/article178746588/Offener-Brief-Eine-Antwort-auf-sexistische-Aeusserungen-von-Frank-Castorf.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Dede Ayivi
       
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