# taz.de -- Olympische Spiele 2021 in Tokio: Leere Versprechen
       
       > Im Sommer sollen die um ein Jahr verschobenen Olympischen Spiele von
       > Tokio starten. Doch in Japan herrschen Ungewissheit und Unglaube.
       
 (IMG) Bild: An die Versprechen rund um die bunten Ringe glauben immer weniger Menschen
       
       Ob man die Spiele nicht lieber ein zweites Mal verschieben sollte?
       Schließlich befindet sich Japan [1][seit Wochen in seiner dritten
       Infektionswelle der Pandemie], derzeit ist über Tokio und andere Metropolen
       ein Lockdown verhängt. Anfang des Jahres wurde hier auch noch eine neue
       Coronavirusmutation entdeckt. Und diverse olympische Qualifikationsturniere
       konnten bisher nicht ausgetragen werden. Aber Yoshiro Mori, Chef des
       Tokioter Organisationskomitees, sagte Mitte Januar: „Eine weitere
       Verschiebung ist absolut unmöglich.“
       
       Schließlich seien für die bisherige Verschiebung um ein Jahr viele Experten
       aus anderen Organisationen abgezogen worden, die beizeiten wieder zu ihren
       Verbänden und Ministerien zurückmüssten. Und dann sind da die Kosten. Ein
       zweites Mal alle Spielstätten und Messezentren sichern? Die
       Immobilienkäufer, die nach den Spielen in die aus dem Olympischen Dorf
       entstehenden Wohnungen ziehen wollen, erneut vertrösten? Die Sponsoren, die
       einen Großteil des Budgets aufbringen, weiter hinhalten? All das gehe
       nicht.
       
       Eine derart deutliche Ansage sollte allen Beteiligten Planungssicherheit
       geben. Nur zweifelt mittlerweile die ganze Welt daran, dass es das
       internationalste Sportfest der Welt inmitten einer Pandemie wirklich wird
       geben können. [2][Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo] wollen
       80 Prozent der Menschen in Japan kein Olympia in diesem Jahr, wegen
       Pandemie und gestiegenen Kosten. Die Organisatoren wollen davon nichts
       wissen.
       
       Auf Anfrage interpretieren sie [3][die große Skepsis] folgendermaßen: „Die
       Situation rund um Covid-19 verändert sich jeden Moment. […] Wir erwarten,
       dass die Maßnahmen der Regierung die Situation verbessern werden.“ Das
       Problem nur: Auch die Maßnahmen der Regierung sind höchst unpopulär. Eine
       Umfrage der Tageszeitung Mainichi Shimbun ergab letzte Woche, dass 71
       Prozent die Politik der Regierung für unentschlossen und verspätet hält.
       
       ## Situation erinnert an jene vor einem Jahr
       
       Der Anfang Januar verhängte, teilweise Lockdown hätte früher und strikter
       ausgerufen werden müssen, so die überwiegende Meinung. Doch Premierminister
       Yoshihide Suga subventionierte noch bis Ende Dezember gezielt den
       Inlandstourismus, um auch in der Pandemie Gastronomie und Hotellerie zu
       unterstützen. Wäre nicht gerade eine Pandemie, so schätzen viele
       Beobachter, stünde Suga unmittelbar vor dem Aus.
       
       So befindet sich Japan dieser Tage in einer Situation, die an allen Ecken
       und Enden an jene von vor einem Jahr erinnert. Auch damals zögerte die
       Regierung mit deutlichen Maßnahmen gegen das Coronavirus. „Der Wunsch, die
       Olympischen Spiele nicht zu gefährden, hat eine schnelle und entschlossene
       Reaktion in der Krisenpolitik verhindert“, sagt Koichi Nakano,
       Politikprofessor an der renommierten Sophia Universität in Tokio.
       
       ## Das Gesicht ist schon verloren
       
       „Das Gleiche zeigt sich jetzt wieder. Die Organisatoren wollen die Spiele
       nicht absagen, für sie wäre es ein Gesichtsverlust.“ Je nach dem, wie genau
       man hinsieht, ist das Gesicht schon verloren. Immer wieder haben die
       Organisatoren und die Regierung etwas mit aller Entschlossenheit verkündet,
       was sie später klammheimlich relativieren oder zurücknehmen mussten. Mit
       der Verschiebung verstummten dann auch die wiederholten Beteuerungen, dass
       „Tokyo 2020“ die Steuerzahler kein Geld kosten würde.
       
       Vor Kurzem erklärte Premierminister Suga zudem eine Impfkampagne als
       „zentral“ für die Durchführung sicherer Spiele. Nur zeigte sich, dass nicht
       nur die japanische Bevölkerung, sondern wohl auch einige Athleten keine
       Impfung wollen.
       
       ## „Die meisten glauben nicht mehr daran“
       
       Die großen Statements und kleinlauten Relativierungen haben dazu geführt,
       dass mittlerweile kaum noch jemand in Japan sonderlich [4][viel auf die
       Versprechen der Organisatoren setzt]. „Die meisten Menschen glauben nicht
       mehr dran“, beurteilt Koichi Nakano. Sofern eine weitere Verschiebung
       ausgeschlossen ist, könnten Spiele ohne Zuschauer neue Infektionscluster
       unterbinden.
       
       Im November antworteten die Organisatoren auf eine Anfrage: „Tokyo 2020
       erwägt nicht, die Spiele ohne Zuschauer abzuhalten“. Mitte Januar reagierte
       man vorsichtiger: „Wir möchten die Spiele nicht ohne Zuschauer
       veranstalten.“ Unterdessen hat Cheforganisator Yoshiro Mori verkündet: In
       den nächsten Wochen stehen „sehr schwierige Entscheidungen“ an.
       
       21 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/immer-mehr-japaner-sind-gegen-die-olympischen-spiele-286757/
 (DIR) [3] /IOC-Chef-in-Japan/!5725526
 (DIR) [4] /Olympia-2021-in-Tokio/!5730174
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Lill
       
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