# taz.de -- Opposition in Russland: Spazieren gehen verboten!
       
       > Für Samstag haben Anhänger*innen von Alexei Nawalny zu Protesten
       > aufgerufen. Der Staat nimmt einige Kritiker*innen schon mal vorab
       > fest.
       
 (IMG) Bild: „Für Nawalny“ – ein Unterstützer in Chimki bei Moskau am 18. Januar
       
       MOSKAU taz | „Liebe Eltern, wir alle kennen die kindliche Neugier, die
       harmlosen Streiche der Kleinen, ihr Herumposen. Doch die Hände skrupelloser
       Erwachsener können ein Kind in illegale Handlungen hineinziehen und es in
       eine bedauerliche Situation bringen“, schreibt das russische
       Aufklärungsministerium – eigentlich Bildungsministerium – in seiner
       Mitteilung am Freitag. Landesweit werden die Eltern gebeten, doch bitte
       wachsam zu sein und ihre Kinder vor „Spaziergängen“ zu schützen.
       
       Die „Spaziergänge“, zu denen das Team um den inhaftierten Kreml-Kritiker
       Alexei Nawalny für diesen Samstag in mehr als 60 russischen Städten
       aufgerufen hat, stuft der Staat als „Massenunruhen“ ein, die „Maßnahmen
       durch die Staatsanwaltschaft“ erforderten.
       
       Die Organisator*innen unternahmen gar nicht erst den Versuch, die
       Protestaktionen bei den Behörden anzumelden. Antiregierungsdemonstrationen
       werden in der Regel ohnehin nicht genehmigt. Wegen der Coronapandemie sind
       jegliche Massenansammlungen zudem verboten.
       
       „Wenn wir Nawalny nicht retten, holen sie jeden“, sagen sich die
       Nawalny-Leute und riskieren harte Strafen. Der Kreml reagiert nervös und
       gibt sich dabei gelassen: „Es gibt keinen Protest als solchen. Es gibt
       lediglich Provokateure, die zum Protest aufrufen“, sagte Kreml-Sprecher
       Dmitri Peskow am Freitag.
       
       ## Längst tot
       
       Der Machtapparat sieht in Nawalny einen nationalen Verräter und spricht ihm
       jeglichen Platz in der Politik ab. Eine gewöhnliche Politik mit Parteien,
       Wahlen, Diskussionen ist längst tot in Russland. Nawalny macht
       ungewöhnliche Politik und greift die Führung, die eine Scheinwelt als real
       darstellt, vehement an. [1][Das bedroht das System]. Also handelt der Kreml
       nach dem Grundsatz: unterdrücken und leugnen.
       
       Bereits im Vorfeld nahm die Polizei die bekanntesten Anhänger*innen des
       Oppositionspolitikers fest. Kira Jarmysch, die Pressesprecherin Nawalnys,
       wurde am Freitag zu neun Tagen Arrest verurteilt, der Anwalt von Nawalnys
       Antikorruptionsstiftung, Wladlen Los – er hat einen belarussischen Pass –
       wurde aufgefordert, Russland bis zum 25. Januar zu verlassen.
       
       Bis 2023 dürfe er Russland nicht mehr betreten. Auch Ljubow Sobol, die
       Produzentin von Nawalnys YouTube-Kanal, wurde zeitweise festgehalten. Weil
       sie ein kleines Kind hat, ließ man sie schließlich frei. Die Beamt*innen
       harrten vor den Wohnungen von Nawalnys Mitarbeiter*innen und
       Anhänger*innen im ganzen Land aus, sie ließen ihnen den Strom
       abschalten, holten sie aus Zügen heraus. Das Ziel: die Proteste ersticken.
       
       Der 44-jährige Nawalny wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland an der
       Passkontrolle abgeführt und einen Tag darauf [2][direkt auf einer
       Polizeiwache zu 30 Tagen Arrest verurteilt]. Wegen nicht erfüllter
       Bewährungsauflagen drohen ihm dreieinhalb Jahre Strafkolonie.
       
       ## Nawalny-Porträts in Schulen
       
       Musiker*innen, Abgeordnete, Schauspieler*innen, Schriftsteller*innen,
       Moderator*innen und Regisseur*innen setzen sich für den Gefangenen
       ein. Jugendliche hängen Nawalnys Porträts in Schulen auf, Student*innen
       nehmen Theaterstücke über die russische Willkür-Justiz auf und laden die
       Videos in sozialen Netzwerken hoch.
       
       Die russische Sängerin Monetotschka, die selbst einst wegen ihrer Lieder
       mit der Justiz in Konflikt geraten war, dichtete eine sowjetische Schnulze
       um und sagt: „Es geht hier nicht um Politik, es geht um die
       Zivilgesellschaft und um Gerechtigkeit“.
       
       Millionenfach verbreiten sich die Appelle unter dem Hashtag
       #swobodunawalnomu (Freiheit für Nawalny). Russlands Aufsichtsbehörde
       Roskomnadsor forderte soziale Medien auf, solche Aufrufe zu sperren. Kämen
       sie dem nicht nach, drohten Strafen von umgerechnet bis zu 44.000 Euro.
       
       Organisator*innen könnten wegen Verführung der Jugend belangt werden,
       Eltern wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Und so rät das
       Aufklärungsministerium: „Spielen Sie mit Ihren Kindern an diesem Samstag
       Brettspiele! Kochen Sie etwas gemeinsam! Verbringen Sie Zeit zusammen!“
       
       23 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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