# taz.de -- Papstfilm von Nanni Moretti: Im Club der milden Greise
       
       > Der italienische Filmemacher und Schauspieler Nanni Moretti schaut sich
       > in seiner ironisch-melancholischen Komödie "Habemus Papam" im Vatikan um.
       > Mit eleganter Beiläufigkeit.
       
 (IMG) Bild: Anamnese im Vatikan: der Psychoanalytiker (Nanni Moretti), der zaudernde Papst (Michel Piccoli) und neugierige Kardinäle.
       
       Kardinäle der katholischen Kirche ziehen in einer endlosen Prozession an
       der Kamera vorüber. Ihre roten Prachtornate lassen die Hundertschaft grauer
       Charakterköpfe gleich erscheinen, mit stoischer Intensität beten sie ihre
       Litanei, wandeln eine lange Treppe hinunter und immer tiefer hinein ins
       Innere des gewaltigen Vatikangemäuers.
       
       Über dem sturen Gleichmaß der Bildkadrage das aufgeregte Geplapper von
       Reportern auf dem Platz vor der St.-Peter-Kathedrale. Die Wahl des neuen
       Papstes steht bevor, jede kleine Rauchsäule aus einem unscheinbaren Kamin
       über dem Palast wird hysterisch kommentiert. Der sprichwörtliche weiße
       Rauch zeigt an, dass die internationale Kardinalversammlung die Wahl
       getroffen hat.
       
       Nanni Morettis Film "Habemus Papam" hebt mit eleganter Beiläufigkeit die
       skurrile Geheimniskrämerei und das feudale Gebaren heraus, mit dem die
       katholische Kirche ihr magisches Ritual zelebriert, um den irdischen
       Stellvertreter des Allerhöchsten aus ihrem inneren Zirkel heraus zu küren.
       
       ## Erdrückender Farbenrausch
       
       Dasselbe Pathos, das auch Adelshochzeiten zum medialen Glanzereignis
       stilisiert, liegt auch über dieser Inszenierung - es sei denn, man nimmt
       sie mit der forschenden Neugier in den Blick, die sich der italienische
       Regisseur und Drehbuchautor Nanni Moretti in seiner ironisch
       melancholischen Papst-Komödie erlaubt. Unter dem erdrückenden Farbenrausch
       der Fresken der Sixtinischen Kapelle (die Szenenbildnerin Paola Bizzari
       ließ sie als gigantische Prospekte in der Potsdamer Werkstatt Big Image
       kopieren, weil das Drehen am Originalschauplatz nicht gestattet war) wirken
       die Kardinäle klein und zögerlich.
       
       Murmelnd beten sie dafür, dass der Kelch des Amtes an ihnen vorübergehen
       möge. Erst im Zweiten Wahlgang gilt die Aufmerksamkeit der zweiten Reihe:
       die Wahl fällt auf Kardinal Melville (Michel Piccoli), den
       Überraschungskandidaten, den die Kamera in diesem Augenblick zum ersten Mal
       entdeckt. Die katholische Kirche hat einen freundlich verlegenen "Papa"
       gefunden, einen Außenseiter, dazu ausersehen, dem Club der milde kindlichen
       Greise Verantwortung abzunehmen.
       
       "Habemus Papam" lehnt sich nicht an die gängigen Versatzstücke der
       Vatikankritik an, Glaubens-Dogmatismus, Inquisitionsgeschichte und
       ideologischer Machtanspruch interessieren den Film nicht, auch nicht die
       Kritik oder Karikatur des aktuellen Papstes. Nanni Morettis Angelpunkt ist
       die Kehrseite der Macht: die Krise des Einzelnen, der einen Riesentanker
       steuern, einen Konzern oder eine Regierung lenken, vor allem aber die
       diffusen Erwartungen einer anonymen Menschenmasse mit magischer Präsenz
       erfüllen soll.
       
       ## Depressiver Papst
       
       Der liebenswürdige alte Mann, der eine große Rolle übernehmen soll, wird
       sich im selben Moment, in dem ihn die Kurienkardinäle protokollgemäß zur
       Huldigung auf den Balkon bitten, seiner Überforderung bewusst und bricht
       mit einem geseufzten Schrei aus dem Ritual aus.
       
       Michel Piccoli, der 85-jährige Hauptdarsteller von "Habemus Papam" nimmt
       einen mit berührend minimalistischem Spiel auf die Reise zu sich selbst
       mit. Kardinal Melville, der sich keinen Namen für seine Rolle als Papst
       überlegen mag, entzieht sich den Abläufen, lässt die Kurie warten und
       flieht in tarnender bürgerlicher Kleidung in die Stadt und ihren Alltag.
       
       Wie in vielen seiner Filme gelingt es Nanni Moretti auch in "Habemus
       Papam", einen anziehende Zwischensphäre der Komik und Verzweiflung zu
       umkreisen - nicht zuletzt, weil er sich auch hier als Darsteller einbringt.
       Moretti gibt einen Psychoanalytiker, der von den Kardinälen gerufen wird,
       um die Depression des Papstes zu heilen. Das kann nur scheitern, weil die
       Sprachen der Kardinäle und des agnostischen Seelenklempners zu verschieden
       sind.
       
       Den Schlüssel zur Selbstheilung des zweifelnden Papstes findet sich in der
       Begegnung mit dem Theater. Eine Schauspieltruppe, die Tschechows "Drei
       Schwestern" spielt, vor allem ein Schauspieler, der seine Rolle zwanghaft
       übererfüllt, indem er jede Regieanweisung mitspricht, inspirieren den
       Suchenden zu seiner eigenen Entscheidung über sein Papst-Amt. "Habemus
       Papam" gelingt es wunderbar einfühlsam, die Depression mit einem
       persönlichen Happy End aufzuheben.
       
       6 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Lenssen
       
       ## TAGS
       
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 (DIR) Taz-Redakteur bei Radio Vatikan: Laudetur Jesus Christus
       
       Vom Besuch eines Schreibers, der erst zum Kommunisten und dann zum
       Politikum wurde, bei Radio Vatikan, der Stimme der katholischen Kirche in
       der Welt.