# taz.de -- Parlamentswahl in Israel: Für oder gegen Netanjahu
       
       > Am 1. November wählt Israel ein neues Parlament. Bislang verläuft der
       > Wahlkampf ziemlich inhaltsleer, Friedensverhandlungen sind gar kein
       > Thema.
       
 (IMG) Bild: Ein Anhänger hält ein Plakat von Benjamin Netanjahu bei einer Wahlkampfveranstaltung in die Höhe
       
       TEL AVIV taz | Am kommenden Dienstag ziehen die Israelis wieder an die
       Wahlurnen – zum fünften Mal innerhalb von dreieinhalb Jahren. Und wie in
       den vergangenen Wahlen geht es vorrangig um eine Frage: für oder gegen
       [1][Benjamin, „Bibi“ Netanjahu]?
       
       Bereits Ende Juni war [2][das extrem breite Regierungsbündnis zerbrochen].
       An ihm waren rechte Parteien, die den Siedlungsbau in den besetzten
       Gebieten besonders vorantreiben wollen, genauso beteiligt wie linke
       Parteien und – zum ersten Mal in der Geschichte Israels – auch eine
       arabische Partei, die islamisch-konservative Partei Ra’am. Das Bündnis
       hatte sich ein Jahr zuvor aus einem gemeinsamen Interesse gebildet: eine
       Regierung unter Netanjahu zu verhindern.
       
       Waren die inhaltlichen Differenzen der Koalition groß, wurde sie trotz
       aller Herausforderungen von vielen als ein Regierungsbündnis gesehen, das
       nach den Netanjahu-Jahren für die Bürgerinnen Israels handelte und einen
       versöhnlichen und einigenden Ton anschlug.
       
       Die aktuellen Wahlumfragen führt nun Benjamin Netanjahu mit seinem rechten
       Likud und seinem rechtsreligiösen Bündnis an – allerdings fehlt ihm nach
       den Umfragen jeweils ein Sitz für die Mehrheit. Ihm gegenüber steht ein
       ideologisch stark divergierendes Bündnis, das allein durch ein Ziel
       zusammengehalten wird: Netanjahu nicht an die Macht zurückkommen zu lassen.
       
       ## Unterstützung der Rechtsaußen-Liste Religiöser Zionismus
       
       Ohnehin ist der Wahlkampf wenig von Inhalten geprägt.
       [3][Friedensverhandlungen] aber stellen eine absolute Leerstelle dar. Von
       Netanjahu, der mit seinem Gerichtsprozess in drei großen Korruptionsfällen
       mit dem Rücken zur Wand steht, wird im Fall eines Wahlsiegs erwartet, die
       Aushöhlung der Justiz verstärkt voranzutreiben, um einer Haftstrafe zu
       entgehen. Über die palästinensische Frage spricht er nur indirekt, etwa
       indem er verspricht, sich der Sicherheit des israelischen Staates zu
       verschreiben und den Nationalstolz zu stärken.
       
       Mit diesen Zielen kann Netanjahu auf Unterstützung der Rechtsaußen-Liste
       Religiöser Zionismus zählen, die derzeit als drittstärkste Partei in den
       Umfragen rangiert. Einer der Köpfe der Liste, Itamar Ben Gvir, verspricht,
       ein Emigrationsministerium einzurichten, um diejenigen auszubürgern, die
       sich „unloyal“ dem Staat gegenüber verhalten. Damit meint er in erster
       Linie palästinensische Israelis, die mit Terrorismus in Verbindung gebracht
       werden. In ihrem Wahlprogramm ist von einer Besiedlung aller Hügel in den
       besetzten palästinensischen Gebieten die Rede, von einer Verdrängung der
       Palästinensischen Autonomiebehörde und von der Einschränkung der
       Unabhängigkeit der Gerichte. Ebenfalls Teil des Netanjahu-Blocks sind die
       beiden ultraorthodoxen Listen, Shas und United Torah Judaism, die sich
       fast ausschließlich der Stärkung religiöser Strukturen in Israel widmen.
       
       ## Anti-Netanjahu-Block: keine Koalition mit Netanjahu
       
       Im Anti-Netanjahu-Block, in dem alle eine Regierungskoalition mit Netanjahu
       ausschließen, gehen die Positionen in Sachen Palästinenser*innen weit
       auseinander. Den Anti-Netanjahu-Block führt der jetzige Ministerpräsident
       Yair Lapid mit seiner zentristischen Zukunftspartei an, die als
       zweitstärkste Partei aus dem Rennen gehen könnte. Lapid hatte im September
       vor der UN-Vollversammlung einen Akzent gesetzt und sich für einen
       palästinensischen Staat ausgesprochen. Die meisten Israelis, denen eine
       Einigung mit den Palästinenser*innen am Herzen liegt, halten dies
       angesichts seiner einschränkenden Bedingungen jedoch für ein
       Lippenbekenntnis, zumal von Friedensverhandlungen im Falle eines Wahlsieges
       keine Rede ist. Unter seiner Ministerpräsidentschaft führt das israelische
       Militär seit einigen Monaten verstärkt Razzien im Westjordanland durch –
       mit dem erklärten Ziel, den „Terror einzudämmen“. Dabei sind seit Anfang
       des Jahres über 100 Palästinenser*innen getötet worden. Die
       Integration der arabischen Bürger*innen in Israel in den Arbeitsmarkt
       will die Zukunftspartei stärken.
       
       Auch Avigdor Lieberman, der Anführer der rechten Partei Israel Unser Haus,
       der jahrelang mit antiarabischer Propaganda aufgefallen ist, spricht sich
       für einen palästinensischen Staat aus, um Kontakt zwischen jüdischen
       Israelis und Palästinenser*innen zu minimieren. In seinen
       Vorstellungen sollten auch die mehrheitlich arabischen Städte Israels zu
       einem palästinensischen Staat zählen, deren Bewohner*innen die
       israelische Staatsbürgerschaft verlieren würden.
       
       Das Mitte-rechts-Parteienbündnis mit Benny Gantz und Gideon Sa’ar schweigt
       in Sachen Siedlungsbau. Befürworter*innen einer verstärkten Besiedlung
       der palästinensischen Gebiete sitzen hier gemeinsam mit anderen, die eine
       Trennung von den Palästinenser*innen befürworten, um einen
       binationalen Staat zu verhindern.
       
       Die linke Partei Meretz hat mit ihrer neuen Vorsitzenden Zehava Golan etwas
       Aufwind in die Debatte um einen palästinensischen Staat gebracht und
       verspricht außerdem, sich für Religionsfreiheit und die Rechte von
       Minderheiten innerhalb von Israel einzusetzen. Auch die Mitte-links-Partei
       Avoda steht – mit weniger Verve – nach wie vor hinter einer
       Zweistaatenlösung. Allerdings kämpfen beide Parteien derzeit um
       existenzielle Stimmen, um den Sprung ins Parlament zu schaffen.
       
       Außerhalb der zwei Blöcke Netanjahu versus Lapid stehen die mehrheitlich
       arabischen Parteien. Die beiden Parteien Chadasch und Ta’al, die bei diesen
       Wahlen gemeinsam antreten, haben sich in der Vergangenheit immer wieder für
       eine Zweistaatenlösung auf der Basis der Grenzen vor dem Sechstagekrieg
       1967 ausgesprochen und als Einzige die Forderung nach dem Recht auf
       Rückkehr für vertriebene Palästinenser*innen geäußert. Ihnen ist
       außerdem daran gelegen, Israel von einem „jüdischen Staat“ in einen „Staat
       für alle Bürger*innen“ zu transformieren. Die konservativ islamische Partei
       Raam konzentriert sich in erster Linie auf die innerisraelische
       palästinensische Gesellschaft und deren Rechte.
       
       29 Oct 2022
       
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