# taz.de -- Polizeieinsatz in Tempelhof: „Palästina-Kongress“ aufgelöst
       
       > Die Polizei beendete den Kongress bereits wenige Stunden nach dessen
       > Beginn in Berlin-Tempelhof. Einer der Redner habe politisches
       > Betätigungsverbot.
       
 (IMG) Bild: Die Polizei setzt am gesamten Wochenende bei dem Kongress 2.500 Beamt*innen ein
       
       Aktualisiert am 12. April 2024 um 21:39 Uhr 
       
       BERLIN taz | Die VeranstalterInnen des am Freitag von der Polizei beendeten
       Palästinakongresses haben das Vorgehen in einer Stellungnahme gegenüber der
       Presse scharf kritisiert und rechtliche Schritte angekündigt. Der
       Vorsitzende des Vereins „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in
       Nahost“, Wieland Hoban, sagte am Freitagabend, der „deutsche Staat“ habe
       „einen sehr zweifelhaften Vorwand gefunden, um die Veranstaltung zu
       unterbrechen“, nachdem es ihm nicht gelungen sei, sie von Anfang an zu
       verbieten.
       
       Hoban sprach von „antidemokratischen und autoritären Tendenzen“, die Tag
       für Tag zunähmen, „aber die Welt schaut zu“. „Wenn man einen Kongress wegen
       Dingen cancelt, die dort vielleicht gesagt werden könnten“, so Hoban über
       die nachträglich von der Berliner Polizei gegebene Begründung, „dann
       befinden wir uns auf dystopischem Terrain.“ Das gebe dem Staat beliebige
       Autorität zum Handeln. Die Polizei hatte erklärt, Grund des Abbruchs sei
       die per Video übertragene Rede eines Mannes gewesen, für den in Deutschland
       ein politisches Betätigungsverbot gelte.
       
       Der frühere griechische Finanzminister und linke Palästina-Aktivist Yanis
       Varoufakis, der als Teilnehmer des Kongresses nach Berlin gekommen war,
       [1][veröffentlichte am Abend in den sozialen Medien die Rede, die er halten
       wollte]. „Machen Sie sich selbst ein Bild davon, wohin sich die deutsche
       Gesellschaft entwickelt, wenn die Polizei solche Aussagen verbietet“,
       schrieb er dazu.
       
       Erst am Vormittag hatten die Veranstalter*innen den Ort des
       Palästinakongresses bekannt gegeben – ein Bürogebäude in Tempelhof,
       ausgerechnet in der Germaniastraße. Dort war am Freitagnachmittag das Chaos
       perfekt: Mehrere Polizeihundertschaften aus Berlin und NRW schirmten den
       Veranstaltungsort und die Straße ab. Bereitschaftspolizei befand sich auch
       im Saal. Insgesamt waren an dem Tag 900 Polizist*innen eingesetzt.
       
       ## Polizei lässt Teilnehmer*innen nicht rein
       
       Angeblich ließen die Brandschutzbestimmungen nur eine Anzahl von 250
       Menschen zu; etwa 250 weitere Teilnehmer*innen wurden deshalb nicht in
       den Saal gelassen und versammelten sich aufgebracht vor dem Gebäude. Einige
       hielten Palästinafahnen hoch, Aktivist*innen bauten eine improvisierte
       Soundanlage auf und intonierten Parolen wie „Freiheit für Palästina“ oder:
       „Meinungfreiheit – hahaha!“. Sie hielten es für Schikane, dass sie nicht in
       den Saal gelassen wurden. Pro-israelische Gegenproteste gab es diesmal
       nicht.
       
       Der angekündigte Livestream begann um Stunden verspätet. Die ersten
       Redner*innen feierten es als Erfolg, dass der Kongress überhaupt
       stattfinden könne trotz aller „State Repressions“. Den [2][Vortrag von
       Salman Abu Sitta, während dessen Übertragung die Polizei den Strom
       abgestellte], hatten die Veranstalter*innen als zuvor aufgenommene
       Videobotschaft eingespielt. Im Vorfeld hatte der
       [3][Antisemitismusbeauftragte des Bundes ein Einreiseverbot für Abu Sitta]
       gefordert. Eingeleitet hatte der Redner seinen Videobotschaft mit den
       Worten, dass das, was in Gaza derzeit passiere, „mit nichts in der
       Menschheitsgeschichte vergleichbar“ sei.
       
       Am Nachmittag wurde ebenfalls bekannt, dass einer der Hauptredner*innen,
       Ghassan Abu Sittah, am Flughafen BER die Einreise verweigert wurde. Der in
       London lebende Abu Sittah ist Arzt und verbrachte den Angaben zufolge im
       Oktober und November 43 Tage im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt, während
       dieses bombardiert wurde. Ein Grund für die Einreiseverweigerung wurde
       nicht genannt.
       
       Die spontane Kundgebung vor dem Gebäude wurde von der Polizei nur bis 16
       Uhr genehmigt. Anschließend betraten Polizist*innen den
       Veranstaltungssaal und brachen die Konferenz und den Livestream ab. Auch
       hierfür wurden laut VeranstalterInnen zunächst keine Gründe genannt.
       
       Dass der [4][umstrittene Palästina-Kongress], den israelkritische Gruppen
       unter dem Motto „Wir klagen an“ für dieses Wochenende organisiert hatten,
       in Tempelhof stattfinden würde, teilten die Veranstalter*innen am
       Freitagvormittag auf einer Pressekonferenz in einem Büro in Wedding mit.
       Draußen vor dem Interbüro in der Genter Straße stand bereits viel Polizei.
       Etwa 20 Demonstrant*innen demonstrierten friedlich mit Israelfahnen
       gegen den Kongress. Eine Frau hielt ein Schild „Antizionism = Antisemitism“
       in die Höhe.
       
       ## Gegenseitiges Misstrauen
       
       Nicht alle Pressevertreter*innen passten in den kleinen Raum, die
       Stimmung war angespannt und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Wieland
       Hoban, Vorsitzender des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in
       Nahost“ und Karin de Rigo von der kleinen linken Partei MERA25 leiteten die
       Pressekonferenz. „Zeiten des Friedens gibt es für Palästinenser*innen
       nicht“, begann de Rigo.
       
       Der Kongress unter dem Motto „Wir klagen an“ sei eine Anklage gegen den
       „Genozid“ und die deutsche Mitschuld daran. Hoban verwies darauf, dass der
       Internationale Gerichtshof den Vorwurf des Völkermords gegen Israel für
       „plausibel“ halte und der UN-Menschenrechtsrat einen Stopp der
       Waffenlieferungen gefordert hat. Dennoch habe Deutschland seit 2003 über
       4.000 Exportlizenzen für Rüstungsgüter nach Israel erteilt. „Diese
       Unterstützung muss sofort unterbrochen werden“, so Hoban.
       
       In teils drastischen Worten prangerten Hoban und de Rigo das Vorgehen
       Israels in den palästinensischen Gebieten sowie die deutsche Unterstützung
       Israels an. Auf dem Kongress wolle man Ideen und Perspektiven austauschen
       und Strategien entwickeln. Hoban beklagte die Repression im Vorfeld des
       Kongresses, diese sei eine „klare politische Bedrohung der freien
       Meinungsäußerung“. Versammlungs- und Organisationsfreiheit würden
       eingeschränkt, „um die Forderung nach einem Waffenstillstand zu
       verhindern“.
       
       ## Angebliche „Hasskampagne“ gegen den Kongress
       
       Zudem beklagte er eine „Hasskampagne“ gegen den Kongress. Diese sei
       „unglaublich und nicht würdig für ein demokratisches Land“. Aber man werde
       „nicht zulassen, dass die Stimmen gegen einen laufenden Völkermord zum
       Schweigen gebracht werden“. Man werde sich „über alle Strategien des
       friedlichen Widerstands unterhalten“, ergänzte de Rigo. Der Kongress wird
       von zahlreichen BDS-nahen Organisationen sowie kommunistischen Gruppen
       unterstützt.
       
       Gegen den Kongress hat sich ein „Bündnis gegen antisemitischen Terror“
       gegründet, dem neben dem Zentralrat der Juden auch Politiker*innen
       fast aller im Parlament vertretenen Parteien angehören. Sie befürchten,
       dass es auf der Konferenz zu „Terrorverherrlichung“ und „Forderungen nach
       der Vernichtung Israels“ kommen könnte. Davon war auf der Pressekonferenz
       jedoch nichts zu hören.
       
       Allerdings vermieden es die Veranstalter*innen auch auf Nachfrage,
       sich klar von der Hamas zu distanzieren: „Wir kooperieren mit keinen
       verbotenen Organisationen. Wir lehnen das Töten von Zivilisten ab“, so
       Hoban. Priorität sei, dass alle Menschen im von Israel kontrollierten
       Gebiet frei und gleichberechtigt leben könnten. Auf die Frage nach dem
       Existenzrecht Israels antwortete Hoban, dass er eher die Existenz der
       Palästinenser bedroht sehe.
       
       Die Polizei setzt am gesamten Wochenende bei dem Kongress in einem
       Bürokomplex in der Germaniastraße 2.500 Beamt*innen ein und hat gegen
       die Veranstaltung zahlreiche Auflagen erlassen. Ähnlich wie schon bei
       propalästinensischen Demonstrationen sind Aufrufe zur Gewalt,
       Terrorverherrlichung, antisemitische Sprüche, die Leugnung des
       Existenzrechts Israels oder Aufrufe zur Vernichtung Israels untersagt.
       Innensenatorin Spranger sagte der Polizei schon im Vorfeld volle
       Unterstützung bei ihrem Handeln zu.
       
       12 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/yanisvaroufakis/status/1778823877646278790?fbclid=IwAR1JhGz-idWrDW5kUiNnXajwwO2YtZwCdwv7Q9XVzIHmwuBmWlyDJYISKqU_aem_AZ6cMDUeDMrXNzWKbgHa7Rs5QvWPA-ymHXSjb6SjLyHidJ7np2Y1YSWLb8KNyWoCYBYpSbu2-tpKq__jJAiDKS5_
 (DIR) [2] /Palaestina-Kongress-in-Berlin/!5997635
 (DIR) [3] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6003981
 (DIR) [4] /Palaestina-Kongress-in-Berlin/!5997635
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Darius Ossami
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       ## TAGS
       
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       sie mit Statements und einer Demo gegen das Verbot des Kongresses
       protestiert.
       
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