# taz.de -- Pro-Palästina-Demos in Jordanien: Massenhaft in Haft ​
       
       > Jordanien hat im Zusammenhang mit Palästina-Demos Hunderte Menschen
       > festgenommen. Auch andere arabische Länder unterdrücken Proteste.
       
 (IMG) Bild: Nach propalästinensische Protesten in Amman landeten Hunderte Menschen innerhalb von wenigen Tagen in Haft
       
       AMMAN taz | Es waren Tweets über propalästinensische Proteste, die Chair
       al-Dschabri hinter Gitter brachten. Eine Kritik am Vorgehen der Polizei,
       die Tränengas auf die Protestierenden schoss, sagt er. Eine Gefahr für den
       sozialen Frieden und eine Beleidigung der Institutionen, fand offenbar die
       jordanische Justiz.
       
       Al-Dschabri ist ein jordanischer Journalist, er arbeitet für die türkische
       Nachrichtenwebseite [1][Arabic Post]. Schauplatz der Kontroverse ist die
       jordanische Hauptstadt Amman, in der seit Beginn des Gaza-Kriegs jede Woche
       Menschen auf die Straße gehen. Sie protestieren gegen den Krieg, gegen
       Israel und all diejenigen, die es unterstützen.
       
       Ende März eskalierte die Lage. Gruppen von Demonstrierenden marschierten in
       Richtung der schwer bewachten israelischen Botschaft, die Polizei setzte
       Tränengas und Schlagstöcke ein. Hunderte Menschen landeten innerhalb von
       wenigen Tagen in Haft.
       
       Als al-Dschabri vom Protest nach Hause kam und seine Tweets in die Welt
       setzte, ahnte er nichts. Erst zwei Tage später zitierte ihn die Polizei
       aufs Revier. Er wurde festgenommen und von der Cybercrime-Einheit verhört,
       erzählt er der taz. Dann wurde er zur Staatsanwaltschaft gebracht und auf
       Grundlage eines [2][neuen, umstrittenen Cybercrime-Gesetzes] angeklagt.
       Fünf Tage lang blieb er in einer überfüllten Zelle des Marka-Gefängnisses,
       bevor er am 30. März auf Kaution freikam.
       
       Momentan wartet der 34-Jährige auf sein Verfahren. Die Kurznachrichten sind
       zwar nicht mehr online, doch die Klage bleibt. „Die Haftzustände waren
       unmenschlich, ich wurde zusammen mit Verbrechern, Mördern und Dieben
       eingesperrt“, erinnert er sich. „Aber wir sind keine Verbrecher und auch
       keine Verräter unserer Heimatländer.“
       
       Machtmissbrauch durch Verwaltungshaft 
       
       Al-Dschabri ist einer von etwa 1.500 Menschen, die in Jordanien laut
       Amnesty International seit Oktober in Verbindung mit den Protesten
       festgenommen wurden. 500 sollen allein seit März in Haft gelandet sein.
       Mehrere sind wieder freigekommen, andere bleiben in Haft.
       
       So wie Atija Abu Salem, syrischer Geflüchteter und Medien-Student, der nach
       Angaben seines Anwalts am 9. April unterwegs war, um einen
       propalästinensischen Protest nahe der israelischen Botschaft zu filmen.
       Sicherheitskräfte nahmen ihn und seinen Kommilitonen fest. Jetzt droht ihm
       die Abschiebung nach Syrien. Dabei sei noch keine offizielle Anklage
       erhoben worden, unterstreicht sein Anwalt.
       
       Eine entsprechende Anfrage an die jordanischen Behörden blieb
       unbeantwortet, Amnesty International bestätigt jedoch in jüngsten Berichten
       die Schilderungen der zwei Fälle. Ende März hatte die jordanische Polizei
       in einer öffentlichen Mitteilung geschrieben, die Sicherheitskräfte hätten
       bei den Protesten „äußerste Zurückhaltung“ gezeigt, seien aber wegen
       Angriffen und Rechtsverletzungen verschiedener Art gezwungen worden,
       Menschen zu verhaften. Sie postete ebenfalls Videos von brennendem Müll in
       den Gassen des palästinensischen Flüchtlingslagers Baqa’a in Nord-Amman.
       
       Doch Menschenrechtsvereine schlagen Alarm. „Was wir sehen und uns Sorgen
       macht, ist die Nutzung eines bekanntlich repressiven Cybercrime-Gesetzes,
       um Menschen zu überführen, die ihr Recht auf freie Meinung ausüben“, sagt
       Hiba Zayadin, Rechercheurin bei Human Rights Watch, „sowie der
       Machtmissbrauch durch Gouverneure und andere Funktionäre, die die
       Verwaltungshaft ausnutzen.“
       
       Dabei spielt Zayadin auf Fälle an, in denen Festgenommene von
       Richter*innen oder Staatsanwaltschaft freigelassen wurden – nur um kurze
       Zeit später auf Anordnung des Gouverneurs wieder verhaftet zu werden.
       
       Ähnlich drückt sich Amnesty International aus. Solche Fälle zeigten eine
       „flagrante Verletzung des Rechts auf faire Verfahren“, schreibt die
       Mitarbeiterin Reina Wehbi. Die jordanische Anwaltskammer hatte bereits im
       März eine Hotline eingerichtet, an die sich inhaftierte
       Demonstrant*innen wenden können, um sich kostenfrei verteidigen zu
       lassen.
       
       Festnahmen auch in anderen arabischen Ländern 
       
       Seit Beginn des Gaza-Kriegs [3][befindet sich Jordanien in einer
       komplizierten Lage], politisch wie geografisch. Eingebettet zwischen
       Israel, Syrien, dem Irak und Saudi-Arabien in einem ressourcenarmen, doch
       konfliktreichen Gebiet, ist das Land von Kooperationen mit Israel und dem
       Westen abhängig.
       
       Gleichzeitig hat ein erheblicher Teil seiner Bevölkerung palästinensische
       Vorfahren, Palästina ist hier ein besonders emotional aufgeladener Begriff.
       [4][Demonstrant*innen kritisieren die Abkommen mit Israel] – und damit
       auch mehr oder weniger offenkundig das Handeln der Regierung. Die Angst ist
       offenbar groß, dass die Protestwellen ausufern könnten.
       
       Doch das Königreich ist nicht das einzige arabische Land, das eine
       eventuelle Eskalation der Proteste in Atem hält. In Ägypten sind seit
       Oktober mehrere Dutzend Protestierende vorläufig in Haft gelandet, nachdem
       Parolen gegen die Regierung gefallen waren.
       
       In Marokko hat ein Gericht einen propalästinensischen Aktivisten kürzlich
       zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wegen eines Online-Posts, in dem er die
       politische Normalisierung zwischen seinem Land und Israel kritisierte.
       
       Saudi-Arabien hat [5][laut der US-Nachrichtenagentur Bloomberg] ebenfalls
       mehrere Menschen wegen israelkritischer Online-Posts verhaftet. Und im
       Golfstaat Bahrain haben Bereitschaftseinheiten der Polizei die Proteste
       bereits Ende Oktober aufgelöst.
       
       „Arabische Regierungen haben prinzipiell nichts dagegen, dass ihre
       Bevölkerungen gegen Israels Politik protestieren“, erläutert Nahost-Experte
       Joost Hiltermann. „Aber sie wollen die Proteste im Zaum halten, damit diese
       nicht anfangen, die autoritären Machthaber selbst zum Ziel zu machen.“ Die
       Menschen hätten schließlich zu Hause ebenso einiges, worüber sie sich
       beschweren könnten.
       
       8 May 2024
       
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 (DIR) [5] https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-05-01/saudi-arabia-steps-up-gaza-arrests-as-israel-ties-edge-closer?srnd=homepage-middle-east
       
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