# taz.de -- Proteste in Kamerun: Anglophone Region im Aufruhr
       
       > Der alte Präsident Paul Biya hat das Land nicht mehr im Griff. Ein
       > Schulboykott gibt der anglophonen Aufstandsbewegung Auftrieb.
       
 (IMG) Bild: Freilassung gefangener Aufständischer in Yaoundé, 1. September
       
       ABUJA taz | Vor Schulen brennen Reifen, an Straßenkreuzungen stehen
       Sicherheitskräfte, Märkte sind von Montag bis Mittwoch geschlossen. Im
       Westen Kameruns herrscht erneut große Anspannung.
       
       „Wir leben in permanenter Angst“, gesteht Vanessa Takafor, eine 52-jährige
       Lehrerin. „Ich trete um 7.30 Uhr meinen Dienst an und gehe um 15.30 Uhr
       nach Hause. Aber es kommen keine Schüler.“
       
       Seit einem Jahr sind die anglophonen Westprovinzen Kameruns im Aufstand
       gegen die französischsprachige Zentralregierung. Unter der Parole
       „Operation Geisterstadt“ wurden monatelang Schulen, Gerichte und Märkte
       bestreikt, Präsident Paul Biya reagierte mit Repression.
       
       Nun gibt es einen Schulboykott, von den Eltern getragen. Das beginnende
       neue Schuljahr verzeichnet eine Einschreibungsquote von rund 10 Prozent,
       Schulen und Universitäten bleiben leer.
       
       Die Wiederaufnahme eines geregelten Schulbetriebs nach der Sommerpause war
       dem 84-jährigen Präsidenten Biya, seit 38 Jahren im Amt, ein großes
       Anliegen gewesen. Anfang August ließ Bildungsminister Jean-Ernest Masséna
       Ngallé Bibehé 61 Privatschulen schließen, die während des halbjährigen
       Streiks als klandestine Lehrstätten für den Nachwuchs des anglophonen
       Untergrundes galten.
       
       In den folgenden zwei Wochen brannten mindestens ein halbes Dutzend
       Schulen. Biya verstärkte daraufhin die Militärpräsenz in der Unruheregion.
       Tausende Militärauszubildende seien in Kumba, der zweitgrößten Stadt der
       Region, in der Technischen Oberschule (GTHS) und in der Hochschule für
       Wissenschaft und Kunst untergebracht, berichtet eine Lokalzeitung:
       Unterstützung für die 959 Soldaten im Westen Kameruns, die Ende August um
       400 Gendarmen verstärkt wurden.
       
       Lehrerin Takafor berichtet, dass Sicherheitskräfte Kinder auf der Straße
       aufgreifen, sie zu ihren Eltern begleiten und diese verhören. Sie weiß von
       Schüssen, zwei Eltern seien getötet worden. In sozialen Netzwerken
       schwirren wilde Gerüchte, es ist die Rede von Genozid, von Bewaffnung und
       Widerstand.
       
       Präsident Biya betont Dialogbereitschaft, konkrete Handlungen bleiben indes
       aus. Den vorerst letzten Versuch unternahm die Regierung, als Ende August
       und Anfang September 42 Menschen mit gebeugtem Kopf und ernster Miene das
       Militärtribunal in Kameruns Hauptstadt Yaoundé verließen. Wenige Tag vor
       dem Beginn des neuen Schuljahrs hatte Biya per Erlass die
       Terrorismusvorwürfe gegen sie fallengelassen.
       
       Unter den Freigelassenen befindet sich mit Fontem Neba und Nkongho Agbor
       Balla die Führung des Cameroon Anglophone Civil Society Consortiums
       (CACSC), ein gewaltfreies Bündnis, das sich zu Beginn der Streiks im
       letzten Herbst gegründet hatte.
       
       Doch Biyas Befriedungsversuch lief ins Leere. „Der Boykott geht weiter“, so
       die Freigelassenen, „bis es Dialog gibt und alle Gefangenen freigelassen
       sind.“ Am vergangenen Montag gab es in der Stadt Kumbo zwei Tote bei
       Auseinandersetzungen mit der Gendarmerie, darunter ein 16-jähriger Schüler.
       
       Aus der uralten Forderung nach Selbstbestimmung hatte CACSC die Forderung
       nach einer Rückkehr zum Föderalismus gemacht. Dennoch grassiert der Termin
       1. Oktober als Termin für die Ausrufung der Unabhängigkeit von „Ambaland“,
       benannt nach der Bucht von Amba, wo Westkamerun an den Atlantik stößt.
       
       „Wir hoffen alle, dass die Unabhängigkeit kommt“, sagt die Lehrerin Vanessa
       Takafor. Das sei die einzige Lösung. „Vielleicht“, fügt sie leise hinzu,
       „besuche ich aber Ende September lieber meine Kinder im Ausland.“
       
       10 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Stäritz
       
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