# taz.de -- Prozess in der Türkei: Erol Önderoğlu erneut angeklagt
       
       > Ein türkischer Vertreter von „Reporter ohne Grenzen“ steht vor Gericht.
       > Grund dafür ist eine Solidaritätsaktion für eine prokurdische Zeitung.
       
 (IMG) Bild: Erol Önderoğlu im Januar 2019 bei einer Kundgebung in Istanbul
       
       Erol Önderoğlu, der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen, wurde in
       einem der längsten Verfahren gegen JournalistInnen und
       MenschenrechtsaktivistInnen, das in der Türkei je stattgefunden hat, am
       Mittwochmorgen [1][erneut angeklagt]. In einem ersten drei Jahre dauernden
       Verfahren von November 2016 bis Juli 2019 wurde er freigesprochen. Nach
       einer Berufung durch die Staatsanwaltschaft wurde der Freispruch kassiert
       und Önderoğlu gestern, mehr als drei Jahre nach seinem Freispruch, erneut
       angeklagt.
       
       In dem Prozess geht es um eine Solidaritätsaktion für die damalige
       prokurdische Tageszeitung Özgür Gündem. Da die Zeitung schließen sollte,
       stellten sich im Mai 2016 einen Monat lang prominente JournalistInnen,
       AutorInnen und MenschenrechtsaktivistInnen, jeweils einen Tag als
       „ChefredakteurInnen“ zur Verfügung. Im Juni 2016 wurden daraufhin der
       größte Teil der 31 TeilnehmerInnen an der Aktion vorübergehend
       festgenommen. So auch Erol Önderoğlu, der zehn Tage in U-Haft festgehalten
       wurde und dann wieder freikam. Andere, wie die Schriftstellerin Aslı
       Erdoğan und der Publizist Ahmet Nesin, saßen noch länger in Haft, wurden
       aber schließlich, nicht zuletzt auf internationalen öffentlichen Druck,
       doch freigelassen.
       
       Von allen 31 damals angeklagten Personen, stehen jetzt nur noch Önderoğlu,
       die ehemalige Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung Şebnem Korur Fincancı
       und der Publizist Ahmet Nesin vor Gericht. Alle anderen wurden entweder
       freigesprochen oder haben ihre Strafe abgesessen.
       
       Auch die Zeitung Özgür Gündem gibt es seit dem Herbst 2016 nicht mehr.
       Önderoğlu sagte kurz vor Beginn des Prozesses, dass Präsident [2][Recep
       Tayyip Erdoğan] damals persönlich dafür gesorgt hätte, dass der Freispruch
       für die jetzt noch Angeklagten widerrufen wurde. Entsprechend sei auch
       nicht mit einem erneuten Freispruch zu rechnen. Er hoffe, dass nun alles
       endlich bald beendet werde, selbst wenn er für einige Monate ins Gefängnis
       muss.
       
       Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch gestern nicht. Weil die beiden anderen
       Angeklagten nicht erschienen und die Verteidiger außerdem einen
       Befangenheitsantrag gegen einen der Richter stellten, weil dieser vor
       einigen Jahren für die AKP als Parlamentsabgeordneter kandidiert hatte,
       wurde der Prozess vertagt. Weiter gehen soll es erst im Februar kommenden
       Jahres.
       
       19 Oct 2022
       
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