# taz.de -- Räumung der Mainzer Straße 1990: Krieg der Steine
       
       > Vor 25 Jahren wurden 13 besetzte Häuser in der Mainzer Straße geräumt. In
       > Erinnerung bleiben drei Tage Eskalation. Aber was ist mit dem Leben
       > davor?
       
 (IMG) Bild: Polizisten vor Ruinen: Räumung der Mainzer Straße 1990.
       
       In Erwägung, daß da Häuser stehen / Während ihr uns ohne Bleibe laßt /
       Haben wir beschlossen, jetzt hier einzuziehen / Weil es uns in unsern
       Löchern nicht mehr paßt. In schön geschnörkelten weißen Buchstaben steht
       das Zitat aus Bertolt Brechts „Resolution der Kommunarden“ auf der Haustür
       der Mainzer Straße 8. Davor steht dieser Bulle, okay, dieser Polizist und
       rammt in die Tür eine Axt.
       
       Dieses Foto ist eins der symbolischen Bilder, die sich von der Räumung der
       besetzten Häuser in der Mainzer Straße am 14. November 1990 ins Berliner
       Gedächtnis eingebrannt haben. Im Archiv der taz findet sich das Bild nicht.
       Nur ein ähnliches: der Spruch, die Tür, zwei Polizisten in Kampfmontur,
       aber statt einer Axt benutzen sie Brechstangen, um die verbarrikadierte Tür
       aufzuhebeln. So ist das mit der Erinnerung. Sie ist selten ganz exakt.
       
       In Erinnerung geblieben sind die Bilder einer unglaublichen Eskalation über
       drei Tage. Die Räumung dreier besetzter Häuser weit ab in Lichtenberg und
       Prenzlauer Berg am Montag, den 12. November, später die Solidemo der
       Besetzer aus der Mainzer Straße, die kurz die große Frankfurter Allee
       blockieren, was zu einer Straßenschlacht bis in die Nacht führt, an deren
       Ende sich die Polizei zurückziehen muss. Der Abend des 13., an dem die
       einen Barrikaden bauten, aus Kühlschränken, Stahlseilen, Schutt und
       mithilfe eines Baggers, der zugleich metertiefe Gräben aushob, während
       direkt daneben im fahlen Licht der Laternen Besetzer, Freunde, Anwohner,
       Bürgerbewegte, Lokalpolitiker über Auswege diskutierten. Mehr Gewalt zur
       Gegenwehr? Oder weniger?
       
       Der Morgen des 14., als mehrere Tausend Polizisten eigens aus
       Westdeutschland über die alte Transitstrecke angereist kamen, um ein paar
       Hundert Besetzer aus einem guten Dutzend Häuser in Ostberlin zu räumen, das
       erst seit sechs Wochen zum gerade wiedervereinigten Deutschland gehörte.
       Wasserwerfer, Tränengas, Räumpanzer hier, Zwillen, Steine, Molotowcocktails
       dort. 253 verletze Beamte, 468 Festnahmen. „Das war Bürgerkrieg“, sagte
       Jahre später der damalige Polizeipräsident Georg Schertz.
       
       Der Abend des 14., als 10.000 wütende Demonstranten nach Friedrichshain
       zogen, als der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) über die
       „tötungsbereiten Besetzer“ klagte. Der Tag danach, als die Grünen, die
       damals noch Alternative Liste hießen, aus Protest gegen die Räumung die
       rot-grüne Koalition verließen. All dies sind Erinnerungen an die letzte
       Schlacht, die nicht „wir“, sondern „die“ gewonnen haben.
       
       Aber wo bleibt das davor? Das Leben in einer kleinen Seitenstraße, in der
       eine ganze Häuserreihe besetzt war, in der es ein Frauen- und ein
       Tuntenhaus gab, Kneipen, Cafés, Infoladen, Volksküche, Antiquariat, jede
       Menge Streit und Diskussion und die Suche nach einem anderen Leben in einem
       Freiraum? Man findet es in sehr krisseligen Bildern auf YouTube in dem Film
       „Kollektiv Mainzer Straße – Sag niemals nie“.
       
       „Es ist schwierig, aber wichtig, zu erinnern“, heißt es in einem darin
       vorgelesenen Abschiedsbrief eines Tuntenhausbewohners. „Ich möchte mich
       erinnern, an die Art, in der wir gesprochen und zugehört haben. Denn diese
       Art kann uns als Werkzeug dienen, die kleinen Kunstwerke zu bauen, in denen
       wir leben und aus denen wir die Kämpfe fortführen können.“
       
       14 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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