# taz.de -- Regierungsbildung in Israel: Israels rechts-religiöses Kabinett
       
       > Ein ultraorthodoxer Neuling, ein korrupter Politikstar, ein Vertreter
       > radikaler Siedler: Premier Netanjahu hat seine Regierung gebildet. Hier
       > die Übersicht.
       
 (IMG) Bild: Yitzhak Goldknopf
       
       Yitzhak Goldknopf 
       
       Der neue Minister für Bauen und Wohnen Yitzhak Goldknopf ist wohl der
       politisch Unerfahrenste in Netanjahus Kabinett. 72-jährig betrat er im
       Oktober 2022 erstmalig die politische Bühne, nachdem er kurzerhand zum Chef
       der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Thora-Judentum gemacht wurde.
       Möglich war dies durch seine guten Verbindungen zum Rabbi Yaakov Aryeh
       Alter, der über die Geschicke der Partei entscheidet.
       
       Eine bekannte Person in der ultraorthodoxen Welt ist Goldknopf allerdings
       schon lange. Der in Jerusalem geborene religiöse Hardliner hat
       jahrzehntelang Kampagnen gegen Unternehmen geführt – wie gegen die
       Fluggesellschaft El Al –, die am Schabbat aktiv sind. Nach religiösem
       jüdischem Gesetz ist Arbeit am Schabbat verboten. Der Vater von zehn
       Kindern managte auch eines der großen ultraorthodoxen Kindergarten- und
       Schulunternehmen und erwarb sich hier den Ruf eines schlechten
       Arbeitgebers.
       
       Die Koalitionsvereinbarung zwischen seiner Partei und Netanjahu hält eine
       ganze Reihe von folgenreichen Schritten bereit. Einer davon: das sogenannte
       „Diskriminierungsgesetz“. Sollte es in Kraft treten, könnten private
       Unternehmen aufgrund ihrer religiösen Überzeugung bestimmten Menschen (z.B.
       LGBTQI) ihre Dienstleistungen verweigern. Außerdem soll in den
       Grundgesetzen festgeschrieben werden, dass diejenigen, die in einer Yeshiva
       die Thora studieren, vom Militärdienst befreit werden. Das ist zwar ohnehin
       Praxis, [1][ein solches Gesetz aber dürfte einen weiteren Keil zwischen
       Ultraorthodoxe und Säkulare treiben].
       
       ## Aryeh Deri
       
       Aryeh Deri wurde lange als das „politische Wunderkind“ Israels bezeichnet –
       und zwar von Säkularen wie Ultraorthodoxen in allen politischen Lagern.
       
       1988 wurde der in Marokko geborene Politprofi mit nur 29 Jahren bereits
       Innenminister. Einige Jahre zuvor hatte er die ultraorthodoxe Partei Shas
       gegründet, die vor allem misrachische, also aus arabischen Staaten
       stammende Jüdinnen und Juden repräsentiert. Angetreten war der neunfache
       Familienvater, der in Jerusalem lebt, mit der Idee, eine Brücke zwischen
       Religiösen und Säkularen zu bauen. Und sich dabei nicht – wie viele
       Ultraorthodoxe – zu isolieren, gleichzeitig aber auch nicht die Linie der
       religiösen Zionisten zu bedienen, die sich vor allem um die Expansion des
       Staates Israel kümmern.
       
       Doch dann kam der Fall des Politprofis. Er wurde verurteilt, als
       Innenminister Bestechungsgelder akzeptiert zu haben, zwischen 2000 und 2002
       saß er für 22 Monate im Knast. Er kehrte zurück in die Politik und wurde
       erneut wegen Steuerhinterziehung schuldig gesprochen. Am vergangenen Montag
       erließ das neue israelische Parlament ein Gesetz, das ihm erlaubt, trotz
       Verurteilung Minister zu werden. Für die ersten zwei Jahre wird er zwei
       Ministerposten übernehmen: den des Innen- und des Gesundheitsministers.
       
       Danach soll er – in einem Rotationssystem mit Bezalel Smotrich –
       ausgerechnet Finanzminister werden. Mit Netanjahu hat er einen Geldregen
       für die ultraorthodoxe Gesellschaft aushandeln können.
       
       Bezalel Smotrich 
       
       Er ist weniger Haudegen als sein in den letzten Wochen auch international
       bekannt gewordener rechtsextremer politischer Partner Ben Gvir von der
       Partei Jüdische Stärke. Doch die Ziele des gesitteter auftretenden Chefs
       der Partei Religiöser Zionismus, Bezalel Smotrich, sind vergleichbar.
       
       Der als Sohn eines Rabbis in einer Siedlung im Westjordanland geborene
       Smotrich, mittlerweile 42 alt, wurde 2005 vom Innengeheimdienst wegen
       Verdachts auf terroristische Aktivitäten festgenommen und saß für drei
       Wochen im Gefängnis, verurteilt wurde er nicht. Smotrich ist Mitbegründer
       der rechten Organisation „Regavim“, die vermeintlich illegalen Häuserbau
       durch Palästinenser*innen und Beduinen im Westjordanland und im
       südlichen Israel dokumentiert und dagegen protestiert.
       
       Vor etwas mehr als zehn Jahren ist er zum ersten Mal in der politischen
       Arena aufgetaucht, 2015 wurde er Abgeordneter in der Knesset. In dieser
       Funktion wurde er auch durch Äußerungen bekannt, in denen er zu
       palästinensisch-israelischen Knessetabgeordneten sagte: „Ihr seid
       fälschlicherweise hier, es war ein Fehler, dass Ben Gurion den Job nicht
       durchgezogen hat und euch 1948 rausgeschmissen hat.“
       
       Er wird die ersten zwei Jahre den Posten des Finanzministers übernehmen,
       danach den des Innenministers. Als Finanzminister, so kündigte er an, wird
       er den freien Markt stärken und Gewerkschaften schwächen. [2][Gleichzeitig
       aber werden Subventionen für Siedlungen und für religiöse und
       rechtsgerichtete Organisationen fließen.]
       
       29 Dec 2022
       
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