# taz.de -- Sachbuch „Kampf um Gaia“: Mit dem Zeigefinger auf die Welt
       
       > Her mit dem „Parlament der Dinge“! Bruno Latour entflicht die ethischen,
       > politischen und wissenschaftlichen Aspekte des Naturbegriffs.
       
 (IMG) Bild: Teil des rhizomatischen Gestrüpps eines Klimadiskurses
       
       Der Endkampf der Menschheit ist das Klima. Aufgeklärte Westler haben das
       vielleicht verstanden. Oder? Haben sie verstanden, dass die Apokalypse
       bereits begonnen hat? Nicht ganz, glaubt Bruno Latour. Deswegen hilft er
       nach, mit seinem neuen Buch „Kampf um Gaia“. Das klingt manchmal appellhaft
       und ist aufgrund der Motivfülle nicht immer leicht nachzuvollziehen. Das
       war Latour aber nie und von einfachen Lösungen hören wir derzeit nur allzu
       oft.
       
       Der französische Wissenschaftsanthropologe und empirische Philosoph wühlt
       sich in „Kampf um Gaia“ durch das rhizomatische Gestrüpp eines
       Klimadiskurses, der durchsetzt ist von Mythologie, Religion, Politik und
       Pseudokontroversen. Ein wichtiges Motiv sind für Latour die Taktiken der
       Klimaskeptiker. Sie stellen die Erkenntnisse von Klimaforschern infrage,
       die „einen Konsens über den menschlichen Ursprung der Klimaveränderungen zu
       stiften begannen“, schreibt er. Damit halten sie eine Debatte am Laufen,
       die keine sein müsste.
       
       Frank Luntz, US-Amerikanischer Rhetoriker und Politikberater kultivierte
       während der Bush-Regierung den Begriff „Klimawandel“, der suggeriert, dass
       sich das Klima als eigenmächtig-natürliches Ding auch ohne den Einfluss des
       Menschen verändert. Es klingt harmloser als globale Erwärmung. Latour
       deutet damit auf die Macht der Sprache und zeigt, dass wir
       Republikaner-Lingo nutzen, selbst wenn wir gegen industrielle Ölförderung
       sind. In „Kampf um Gaia“ leiht sich Latour beim englischen Biophysiker
       James Lovelock die mythologische Figur Gaia – eine griechische Ur-Göttin,
       die die Erde verkörpert.
       
       Doch diese will Latour nicht religiös oder mythologisch gelesen wissen,
       sondern als geologisch verortbare Entität, als „eine kleine, kaum einige
       Kilometer breite Membran“, In Anlehnung an Lovelock meint Latour die
       Biosphäre, also nicht weniger als jenen Bereich der planetarischen
       Atmosphäre, in dem Leben möglich ist.
       
       ## Das „alte Klimaregime“
       
       Die Biosphäre reicht bis zu 60 Kilometer in die Erdatmosphäre und 5
       Kilometer ins Erdreich. Hier beträgt der Weltenergiebedarf täglich 17
       Terrawatt – das entspricht ungefähr dem Energieaufwand eines Tsunamis. Wer
       behauptet, das verändere diese Sphäre nicht, kann auch, wie jüngst Donald
       Trump, das Pariser Klimaabkommen kündigen. Und wer noch in einem, wie
       Latour es nennt, „alten Klimaregime“ lebt, glaubt auch, dass die Erde
       beherrschbar sei.
       
       Wir bekommen in diesem Buch alles ab, was Latour auf der Pfanne hat: Sein
       Langzeitprojekt einer Anthropologie der Modernen, sein Eintreten für die
       Wirkungsmacht nichtmenschlicher Akteure in der Gesellschaft, die er in der
       Akteur-Netzwerk-Theorie kultivierte und letztlich auch seine Forderung
       eines „Parlaments der Dinge“. „Kampf um Gaia“ ist in acht Texte gegliedert,
       die auf Vorträgen basieren, die Latour im Rahmen der Gifford Lectures 2013
       an der University of Edinburgh hielt. Am Ende lernen wir, wie sich der
       Forschungsdirektor der französischen Eliteuniversität Sciences Po ein
       solches „Parlament der Dinge“ (Suhrkamp, 2009), und damit eine neue Form
       der Politik vorstellt.
       
       2015 simulierten Studierende im Theater zu Nanterre Verhandlungen über eine
       Erdverfassung. Dort trafen sich Vertreter „verbleibender Erdölbestände“,
       von „Böden“ und Staaten. Als Menschen die Natur repräsentierten, lösten sie
       sich von der Vorstellung, sie hätten auf die Umwelt keine Wirkung, so die
       Botschaft.
       
       „Kampf um Gaia“ ist nicht einfach zu lesen, manchmal vage, manchmal
       unkonkret, trotzdem wichtig. Das Buch ist ein Metakommentar auf
       Wissenschaftsdiskurse, eine Exegese der Mythen, die uns die Sicht auf die
       Realität verstellen. Pointierte Verdichtung streut Latour der Form halber
       ein, den Rest der Zeit richtet er den Zeigefinger auf die Komplexität der
       Welt.
       
       27 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Ebeling
       
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