# taz.de -- Schulen in der vierten Coronawelle: Bloß kein neuer Lockdown
       
       > Die vierte Coronawelle trifft vor allem Kinder und Jugendliche – und
       > damit die Schulen. Wie die Länder jetzt über den Winter kommen wollen.
       
 (IMG) Bild: Alles im grünen Bereich? Eine CO2-Ampel soll die Schüler:innen in Naumburg an das Lüften erinnern
       
       BERLIN taz | Wenn am Donnerstag Bund und Länder in der wiederbelebten
       Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) darüber beraten, mit welchen
       Instrumenten sich die vierte Welle brechen lässt, werden sie über 3G-Regeln
       am Arbeitsplatz, die Homeoffice-Pflicht und Kontaktbeschränkungen für
       Ungeimpfte diskutieren.
       
       Worüber der designierte Ampelkanzler Olaf Scholz (SPD) und die 16
       Ministerpräsident:innen nicht sprechen werden: über strengere
       Maßnahmen an Kitas und Schulen. Im Gegenteil: [1][Im Gesetzentwurf der
       Ampelparteien] sind Schulschließungen nicht mehr vorgesehen.
       
       Den Ländern dürfte das recht sein. Dass die Schulen unabhängig von der
       7-Tage-Inzidenz offen bleiben, darauf haben sich die
       Bildungsminister:innen schon vor Schuljahresbeginn festgelegt. Daran
       ändert auch die vierte Coronawelle nichts – selbst dort, wo die Inzidenz
       neue Rekordwerte erreicht wie in Sachsen. „Wechsel- oder Distanzunterricht
       ist derzeit nicht vorgesehen“, sagt eine Sprecherin aus dem sächsischen
       Kultusministerium.
       
       Die Kenia-Landesregierung unter CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer
       sucht derzeit nach Wegen, [2][den Inzidenzwert von über 750 zu drücken] –
       Maßnahmen für die Schulen spielen bei den Überlegungen aber keine Rolle.
       Den Passus, dass Schulen bei einer hohen Krankenhausauslastung automatisch
       auf Wechselunterricht umstellen müssen, hat die Landesregierung gerade erst
       aus der Coronaschutzverordnung gestrichen. Nur die nach den Herbstferien
       erhöhte Testfrequenz von zwei auf drei Schnelltests die Woche soll zunächst
       weiter gelten. Das beschloss das Kabinett am Dienstag.
       
       ## Impfappelle an Erwachsene
       
       Auch andere Länder reagieren auf die hohen Inzidenzwerte. In Bayern,
       Thüringen oder Berlin beispielsweise müssen seit vergangener Woche wieder
       alle Schüler:innen Maske im Unterricht tragen, in Brandenburg ab dieser
       Woche. Teilweise haben die Ministerien die Testfrequenz erhöht. Worüber
       sich die Kultusminister:innen einig sind: Der Präsenzunterricht hat
       auch in der vierten Welle Priorität – und die Schulen sollen nicht wie
       vergangenes Schuljahr die mangelnde Disziplin der Gesellschaft ausbaden
       müssen.
       
       „Kinder haben sich während der Pandemie immer wieder solidarisch gezeigt
       und mussten Schul- und Kitaschließungen ertragen“, begründet Sachsens
       Kultusminister Christian Piwarz (CDU) die Entscheidung, die Schulen weiter
       offen zu halten. „Jetzt ist es an der Zeit, dass die Erwachsenen
       Solidarität zeigen und die verschärften Regeln im öffentlichen Leben
       verantwortungsbewusst einhalten, damit Kinder Schulen und Kitas
       uneingeschränkt besuchen können.“
       
       Es ist das Argument, das auch Piwarz' Amtskolleg:innen seit Wochen
       anführen. „Es darf keinen weiteren Bildungslockdown geben“, sagt
       Niedersachsens SPD-Bildungsminister Grant Hendrik Tonne der taz. Zwar soll
       nach einem Bericht des Spiegel kommende Woche EU-weit der Corona-Impfstoff
       für Kinder unter 12 Jahren zugelassen werden. Doch bislang hält sich die
       Ständige Impfkommission (Stiko) mit einer Empfehlung zurück – wie schon bei
       dem Impfstoff für 12- bis 17-Jährige.
       
       „Ich bitte die Stiko, zügig die Daten für diese Alterskohorte zu prüfen,
       damit es möglichst bald zu einer Entscheidung über eine mögliche Empfehlung
       kommen kann“, so Tonne. „Das wäre wichtig, um einen weiteren Schutzschild
       für die Kinder bereit zu haben.“ Die Ministerien befürchten, dass [3][die
       Stiko-Zurückhaltung] viele davon abhält, sich impfen zu lassen. Aktuell ist
       nicht mal jede:r zweite Jugendliche über zwölf geimpft. Das wissen auch
       die Bildungsminister:innen. Im Wochenrhythmus fordern sie deshalb
       Erwachsene auf, endlich die Impfangebote anzunehmen.
       
       ## Hohe Impfquote, niedrige Inzidenz
       
       Die Frage ist: Reicht die Solidarität der Erwachsenen, um Schulschließungen
       zu vermeiden? Die Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) zeigen:
       Bundesländer mit niedrigen Impfquoten haben eine deutlich höhere Inzidenz.
       In Sachsen, das mit einer Impfquote von nicht mal 58 Prozent bundesweites
       Schlusslicht ist, sind aktuell nach Angaben der Sächsischen Landesregierung
       83 Schulen ganz oder teilweise geschlossen. In Bremen, wo die Impfquote mit
       79 Prozent am höchsten liegt, keine einzige, wie der Bremer Senat auf
       Anfrage mitteilt.
       
       Dazu kommt: Die vierte Welle trifft vor allem Kinder und Jugendliche. Bei
       den 5- bis 9-Jährigen liegt die 7-Tage-Inzidenz laut RKI bundesweit bei
       345, bei den 10- bis 14-Jährigen bei bei 411, bei den 15- bis 19-Jährigen
       bei 302. In manchen Kreisen liegt die „Kinderinzidenz“ bereits bei einem
       Wert von über 2.000.
       
       Wegen der steigenden Inzidenzwerte unter Schüler:innen haben die Länder
       zuletzt die [4][Quarantäne-Regeln gelockert]. Anders hätten sie das
       Versprechen nach einem geregelten Schulalltag kaum aufrechterhalten können.
       In den Ministerien erinnert man sich nur zu gut an den vergangenen Herbst,
       als die „Tagesschau“ Horrornachrichten zu Hunderttausenden Schüler:innen
       in Quarantäne verbreitete. Den Vorwurf eines „schleichenden Lockdowns“
       wollen sich die Politiker:innen nicht noch einmal anhören lassen.
       
       Aktuell werden deshalb in der Regel allenfalls noch die Sitznachbarn von
       positiv Getesteten nach Hause geschickt, nach fünf oder sieben Tagen können
       sie sich „freitesten“. In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder
       Sachsen-Anhalt werden sogar oft nur die infizierten Schüler:innen in
       Quarantäne gesteckt. Häufig sind die Gesundheitsämter gar nicht mehr zur
       Kontaktrückverfolgung an Schulen in der Lage.
       
       ## Lehrerverband warnt vor Kontrollverlust
       
       Heinz-Peter Meidinger sieht darin „Anzeichen eines Kontrollverlustes“.
       Überhaupt ist der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes wenig
       optimistisch. „Das Problem ist, dass die Politik ihre Entscheidungen
       inzwischen nicht mehr auf Basis der Wissenschaft fällt“, sagt Meidinger der
       taz. Bestes Beispiel: die Maskenpflicht. Wie es sein könne, das einige
       Länder aktuell keine Maskenpflicht im Unterricht hätten, kann er absolut
       nicht nachvollziehen.
       
       Mehrere Bundesländer haben sie in den vergangenen Wochen abgeschafft und
       bislang nicht wieder eingeführt, darunter Nordrhein-Westfalen,
       Baden-Württemberg, Bremen, Schleswig-Holstein und das Saarland. „Wir
       brauchen aber die Maske, um die Schulen offen zu halten“, fordert
       Meidinger. Von der Bund-Länder-Runde am Donnerstag wünscht er sich „eine
       klare Orientierung, welche Schutzmaßnahmen über den Winter nötig sind“. Vor
       einem Jahr habe wenigstens noch die 7-Tage-Inzidenz eine Rolle bei den
       Entscheidungen der Ministerien gespielt. „Jetzt macht jedes Bundesland, was
       es will.“
       
       Tatsächlich unterscheiden sich die Coronaregeln an Schulen aktuell wie auch
       in der Vergangenheit sehr. So erlauben manche Bundesländer wie Brandenburg,
       dass sich die Schulkinder zu Hause testen lassen. Andere wie
       Nordrhein-Westfalen oder Bayern haben angefangen, an den Grundschulen die
       zuverlässigeren PCR-Tests zu verwenden. Vor allem bei der Frage, nach
       welchen Regeln die Maßnahmen an Schulen verschärft werden, gibt es
       unterschiedliche Vorstellungen. In Baden-Württemberg etwa ist die
       Bettenauslastung in Krankenhäusern maßgeblich, ob Schüler:innen im
       Unterricht Maske tragen müssen oder nicht – in Bremen ist entscheidend, ob
       in der Klasse ein Coronafall auftritt.
       
       Umstritten ist vor allem die Maskenpflicht. Wo sie gekippt wurde, werfen
       Eltern und Lehrer:innenvertreter den Landesregierungen vor, die
       Gesundheit der Kinder fahrlässig zu gefährden. Kritik, auf die die
       Minister:innen dünnhäutig reagieren. So schimpfte Baden-Württembergs
       grüne Bildungsministerin Theresa Schopper vergangene Woche, Krankenhäuser
       seien überlastet, „weil die Ungeimpften nicht beim Doktor waren, verdammte
       Axt“. Kinder seien nicht das Hauptproblem in der Pandemie.
       
       ## Quarantänezahlen steigen
       
       Und Nordrhein-Westfalens Landtag erlebte Anfang November eine denkwürdige
       Aktuelle Stunde, in der Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) behauptete,
       auch ohne Maskenpflicht seien Schulen „Bremsscheiben“ des
       Infektionsgeschehens.
       
       Die Zahlen geben eher den Grünen und der SPD recht, die auf eine schnelle
       Wiedereinführung der Maskenpflicht drängen. Denn in vielen Bundesländern
       steigt der Anteil der Schüler:innen in Quarantäne sprunghaft an, trotz
       der laxeren Vorschriften. In Brandenburg sind das aktuell rund 11.000
       beziehungsweise 4 Prozent der Schüler:innen – doppelt so viele wie in
       der Vorwoche. Die GEW Brandenburg und der Landeselternbeirat baten am
       Wochenende die Kommunalpolitik um Hilfe. Diese sollte per
       Allgemeinverfügung die tägliche Testung in den Schulen anweisen, heißt es
       in einem offenen Brief.
       
       In Sachsen mussten nach den Herbstferien Anfang November sogar über 5
       Prozent der Schüler:innen zurück nach Hause geschickt werden – mehr als
       doppelt so viele wie noch vor den Ferien. Auch in Bayern oder
       Nordrhein-Westfalen sind die Quarantäne-Fälle über die Ferien nach oben
       geschnellt. Unter dem Hashtag #DurchseuchungStoppen fordern aufgebrachte
       Eltern die Politik zum Handeln auf.
       
       Auch das RKI warnt in einem aktuellen [5][epidemiologischen Bulletin]: „Je
       mehr Kinder infiziert werden, desto höher würde dann auch die Anzahl der
       schweren Krankheitsverläufe ausfallen.“ Davon betroffen wären vor allem
       Kinder mit Vorerkrankungen und solche aus sozial benachteiligten Familien.
       Außerdem bestehe auch bei Kindern und Jugendlichen das Risiko von Long
       Covid. RKI-Chef Lothar Wieler hat mehrfach gemahnt, sich nicht vorschnell
       von der Maskenpflicht zu verabschieden. Er empfiehlt, sie bis zum Frühjahr
       2022 nicht anzutasten.
       
       Dass sich Bund und Länder am Donnerstag auf bundesweit einheitliche Regeln
       zur Maskenpflicht an Schulen einigen, wäre eine Überraschung. Doch egal,
       was die MPK beschließt: Eine Verpflichtung der Länder, sich an die
       Beschlüsse zu halten, gibt es ohnehin nicht, auch nicht bei der vierten
       Welle.
       
       17 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /SPD-Gruene-und-FDP-zu-Corona-Massnahmen/!5815291
 (DIR) [2] /Bundesland-mit-hoechster-Inzidenz/!5815305
 (DIR) [3] /Stiko-Chef-zu-Debatte-um-Kinderimpfung/!5774779
 (DIR) [4] /Quarantaeneregelungen-fuer-Schulen/!5795501
 (DIR) [5] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/46/Tabelle.html;jsessionid=341F95E1EA734449F90CD52FEEA86EF5.internet071?nn=2371176
       
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