# taz.de -- Sorge vor Engpässen im Winter: Milliarden für volle Gasspeicher
       
       > Wirtschaftsminister Habeck will Unternehmen Geld geben, wenn sie ihren
       > Gasverbrauch reduzieren. Auch das Füllen der Speicher soll gefördert
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Einer der größten Gasverbraucher der Republik: das Chemiewerk der BASF in Ludwigshafen
       
       BERLIN taz | Die Zahlen lassen keinen Zweifel zu: Russland setzt
       Erdgaslieferungen jetzt als politische Waffe ein. In Greifswald an der
       vorpommerschen Ostseeküste, wo die Nord-Stream-1-Pipeline endet, ist die
       Gasmenge, die täglich aus Russland ankommt, in den letzten Tagen um 60
       Prozent gesunken. Dass das kaum an einer defekten Verdichterstation liegen
       dürfte, wie der russische Staatskonzern Gazprom behauptet, zeigt ein Blick
       auf die zweite Pipeline mit russischem Gas, die im bayerischen Waidhaus
       ankommt: Dort sind die importierten Gasmengen in der letzten Woche sogar um
       70 Prozent eingebrochen. Und durch die dritte Pipeline, die von Russland
       durch Weißrussland und Polen nach Deutschland führt, fließt schon seit
       Mitte März praktisch kein Gas mehr.
       
       Der Bundesregierung bereitet diese Entwicklung große Sorge. „Die Situation
       ist ernst“, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Sonntag.
       Denn dass die Lieferungen jetzt schon im Sommer sinken, gefährdet die
       Strategie, mit der sich Deutschland auf den nächsten Winter vorbereitet:
       Damit ein russischer Lieferstopp dann nicht zu kalten Wohnungen und einem
       massiven Wirtschaftseinbruch führt, müssen die Gasspeicher in Deutschland
       über den Sommer möglichst komplett gefüllt werden.
       
       Denn wenn die Speicher voll sind, lässt sich damit ein Viertel des
       Jahresverbrauchs Deutschlands decken; zusammen mit den Lieferungen, die
       Deutschland aus Norwegen und den Niederlanden sowie künftig auch über
       Flüssigerdgas-Importe aus anderen Ländern erhält, gäbe es damit auch im
       nächsten Winter genug Gas.
       
       Die Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, dass sich die Speicher trotz der
       verminderten russischen Lieferungen derzeit weiter füllen. „Noch können die
       ausfallenden Mengen ersetzt werden“, berichtet Habeck. Aber das könnte sich
       in der nächsten Zeit ändern, denn auch in anderen europäischen Ländern
       kommt weniger russisches Gas an, sodass die Nachfrage nach den alternativen
       Quellen weiter steigen dürfte. Für Habeck ist darum klar: „Der Gasverbrauch
       muss weiter sinken.“
       
       ## Kosten auf den Gaspreis aufgeschlagen
       
       Um das zu erreichen, hat die Bundesregierung jetzt ein Auktionsmodell
       angekündigt. Dabei sollen Industriebetriebe eine Vergütung erhalten, wenn
       sie ihren Gasverbrauch reduzieren und damit auf Gasmengen verzichten, die
       sie sich vertraglich bereits gesichert haben. Ermittelt werden soll die
       Höhe der Vergütung in einem auktionsähnlichen Verfahren, teilte das
       Wirtschaftsministerium mit.
       
       Die Kosten sollen von den Gasnetzbetreibern über eine Umlage auf den
       Gaspreis aufgeschlagen werden. Die Details des Verfahrens und die Kosten,
       die damit verbunden sind, stehen noch nicht fest, teilte das Ministerium
       mit. Auch die Bundesnetzagentur, die für die Umsetzung zuständig ist,
       äußerte sich am Sonntag dazu auf Anfrage nicht.
       
       Anders als für die Industrie ist für private Verbraucher*innen bisher
       kein zusätzlicher finanzieller Anreiz vorgesehen, wenn sie ihren Verbrauch
       reduzieren. Hier belässt es die Regierung bei einer [1][Info-Kampagne zum
       Energiesparen] und vertraut darauf, dass der Verbrauch durch die
       gestiegenen Kosten sinkt.
       
       Denn zeitgleich zum Rückgang der Gasimporte aus Russland ist der Preis für
       Erdgas wieder deutlich gestiegen: Der Börsenpreis für eine Megawattstunde
       vereineinhalbfachte sich innerhalb weniger Tage von 80 auf 120 Euro. Das
       ist zwar noch deutlich weniger als kurz nach Kriegsbeginn, als der Preis
       kurzzeitig auf über 200 Euro gestiegen war – aber ein Vielfaches des Werts
       vom vergangenen Frühjahr, der bei unter 25 Euro lag.
       
       Durch die aktuell hohen Preise ist es für die deutschen Gasfirmen riskant,
       Gas einzuspeichern, weil unklar ist, zu welchem Preis sie es im Winter
       wieder verkaufen können. Falls sie die vom Staat vorgegebenen
       Speicherfüllstände von 80 Prozent bis zum 1. Oktober und 90 Prozent bis zum
       1. November nicht erfüllen, kann die Trading Hub Europe, eine gemeinsame
       Tochtergesellschaft von elf deutschen Ferngasnetzbetreibern, einspringen
       und die Speicher füllen. Dafür wird die Bundesregierung dem Unternehmen
       durch die staatliche KfW-Bank in Kürze zusätzliche Kredite zur Verfügung
       stellen, teilte das Ministerium mit; nach Angaben aus Regierungskreisen
       geht es dabei um eine Summe von 15 Milliarden Euro.
       
       Als weitere Maßnahme zum Gassparen verweist Habeck auf Pläne, die
       Stromproduktion in Gaskraftwerken zu verringern. [2][Ein entsprechendes
       Gesetz wurde im Mai in den Bundestag eingebracht.] Wenn es im Juli in Kraft
       tritt, soll es unverzüglich angewandt werden. „Das bedeutet, so ehrlich
       muss man sein, dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke“, erklärte
       Habeck. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um
       den Gasverbrauch zu senken.“
       
       Dass diese Maßnahme viel bringt, wird von Experten aber bezweifelt. Denn
       auf Kraftwerke entfielen im letzten Jahr nur 12 Prozent des deutschen
       Gasverbrauchs, und dieser Wert dürfte allein durch die gestiegenen Preise
       weiter sinken. „Bei den aktuellen Erdgaspreisen macht die Verstromung
       ökonomisch keinen Spaß“, erklärte Felix Mathes vom Öko-Institut. Eingesetzt
       würden Gaskraftwerke derzeit vor allem dort, wo auch Wärme gebraucht werde
       oder kurzfristige Flexibilität gefragt sei. Kohlekraftwerke können beides
       kaum bieten. Sehr viel entscheidender für den Rückgang des Gasverbrauchs
       sind darum die Industrie, auf die 2021 rund 37 Prozent des Erdgasverbrauchs
       entfiel, und die Privathaushalte, die 31 Prozent des Gases verbrauchen.
       
       19 Jun 2022
       
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