# taz.de -- Suizide in Hamburger Gefängnissen: Höchstes Risiko bei Haftbeginn
       
       > 20 Suizide gab es in den vergangenen zehn Jahren in Hamburger
       > Gefängnissen. Die Justizbehörde will nun mehr Personal einstellen. Reicht
       > das?
       
 (IMG) Bild: Hier häufen sich Suizide besonders: Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis in Hamburg
       
       HAMBURG taz | In Hamburger Gefängnissen haben sich zwischen 2013 und 2022
       20 Menschen das Leben genommen. Das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat
       sich die Fälle in einer größeren Studie genauer angesehen, um eine Reihe
       von Maßnahmen vorzuschlagen, damit Suizide in Haft verhindert werden
       können. Die Studie war von der Justizbehörde in Auftrag gegeben worden, am
       vergangenen Donnerstag diskutierte der Justizausschuss der Hamburgischen
       Bürgerschaft die Ergebnisse.
       
       Bei der Vorstellung der Studie betonte die grüne Justizsenatorin Anna
       Gallina, dass die Zahl der [1][Suizide in Haft] in den vergangenen Jahren
       zurückgegangen ist. Das zeigten Vergleiche mit früheren Auswertungen. Denn
       bereits 2012 beauftragte die Justizbehörde das UKE mit einer Studie – zu
       dem Zeitpunkt hatten sich die Suizidfälle gehäuft. Das Ergebnis seinerzeit:
       Zwischen 1996 und 2012 gab es insgesamt 41 Suizide. Damals wie heute lauten
       Vorschläge des UKE: Mehr Freizeitangebote, mehr psychiatrische Versorgung.
       
       Sowohl Justizsenatorin Gallina als auch der Großteil des Ausschusses
       äußerte sich am Donnerstag positiv zur neuen Studie. Einzelne Abgeordnete
       mahnten aber auch dazu, an einzelnen „Stellschrauben“ zu drehen und über
       weitere Verbesserungen nachzudenken.
       
       Wo diese liegen könnten, wurde bei der Vorstellung der Studie schnell
       deutlich: Insbesondere in den ersten drei Monaten der Haft sei das Risiko
       für einen Suizid am größten. Demnach haben sich elf Gefangene in diesem
       Zeitraum das Leben genommen.
       
       Außerdem traten die meisten Fälle in Untersuchungshaft auf: 13 Fälle
       geschahen in der U-Haft am Holstenglacis. 2022 waren das drei von vier
       Fällen, wie aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der
       Linken-Bürgerschaftsabgeordneten Cansu Özdemir hervorgeht.
       
       ## Kaum Möbel in den Räumen
       
       Ein weiterer Aspekt, der aus der Studie hervorgeht: Bei 80 Prozent der
       Suizidfälle lag eine psychische Erkrankung vor – etwa eine Sucht, Psychose,
       Depression oder eine Persönlichkeitsstörung. Bei 20 Prozent war hingegen
       keine Diagnose bekannt.
       
       Linken-Politikerin Özdemir kritisierte bei der Sitzung, dass viele
       Betroffene aber häufig ihre Suizidabsichten oder Depressionen nicht nach
       außen tragen würden, aus Angst in die Beobachtungsräume zu kommen. Die
       Räume sind bislang so ausgestattet, dass es kaum Möbel gibt – stattdessen
       eine 24-Stunden-[2][Videoüberwachung] der Häftlinge. Senatorin Gallina
       zufolge sollen die Räume aber nun umgestaltet und sichere Möbel eingesetzt
       werden.
       
       Gegenüber der taz sagt Özdemir, die sich eine noch tiefergehende Studie
       gewünscht hätte: „Eine ansprechendere Gestaltung der Beobachtungsräume ist
       notwendig, aber absolut nicht hinreichend.“ Die Räume würden in erster
       Linie der Sicherung dienen, nicht der psychologischen Unterstützung bei
       Suizidgedanken. „Ein bisschen Farbe an den Wänden kann diese defizitäre
       psychologische Versorgung weder ersetzen noch kaschieren“, sagt die
       Linken-Abgeordnete.
       
       Bisher richten sich die Hamburger Justizvollzugsanstalten (JVA) nach einem
       einheitlichen Suizidpräventionsprogramm – es orientiert sich an der
       Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention. So gibt es seit 2012 ein sogenanntes
       Suizidscreening für alle neuen Gefangenen. Dabei handelt es sich um eine
       erste medizinische Aufnahmeuntersuchung.
       
       Allerdings wird die bislang kaum durch psychologisches Fachpersonal
       durchgeführt, sondern durch Mitarbeitende der JVA. Anhand eines Fragebogens
       sollen gefährdete Personen bestimmt werden und dann dementsprechend
       Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Der Bogen wurde ebenfalls vom UKE
       umgesetzt und entwickelt, ist bislang aber nicht in allen Hamburger JVA
       einheitlich. In der neuen Studie wird empfohlen, überall den gleichen
       Fragebogen einzusetzen.
       
       Für Özdemir reichen solche kleineren Anpassungen nicht aus. Die Studie habe
       deutlich gemacht, dass ein humaner Strafvollzug und eine gute
       psychologisch-psychiatrische Versorgung entscheidende Faktoren in der
       Suizidprävention seien. „Einzelne Renovierungen und ein neuer Fragebogen
       zum Suizidscreening sind da nur Tropfen auf den heißen Stein“, kritisiert
       sie gegenüber der taz.
       
       In der Tat ging es in der Ausschusssitzung auch um die psychologische
       Betreuung der Häftlinge. Özdemir redete von einem [3][Personalmangel in den
       Haftanstalten]. Die Senatorin sprach von Plänen, das Personal aufzustocken.
       Konkrete Zahlen nannte sie nicht, nur das Anfang 2024 damit zu rechnen sei.
       Wie notwendig es ist, zeigen aber aktuelle Zahlen: In den regulären
       Anstalten in Hamburg betrug das Verhältnis von Psychotherapeut*innen
       und Gefangenen im Jahr 2022 schwankend zwischen 1 zu 144 und 1 zu 172.
       
       „Außerdem wollen wir das Management der Freizeitaktivitäten verbessern“,
       erklärte Gallina. So sollen lange Wartelisten vermieden werden. Immerhin:
       Seit November 2022 sind alle Hafträume der U-Haft mit Fernsehen und Radio
       ausgestattet und es wurde die Haftraumtelefonie eingeführt, über die auch
       die [4][Telefonseelsorge] angerufen werden kann.
       
       Für Özdemir liegt der Ball nun beim Senat. So sagt sie der taz: „Auch wenn
       die Studie hinter den Erwartungen zurückbleibt, gibt sie eine Reihe von
       Handlungsempfehlungen, an deren Umsetzung sich der Senat wird messen lassen
       müssen.“ Wie Senatorin Gallina bei der Sitzung erklärte, seien bereits
       einige der Maßnahmen in der Umsetzung.
       
       31 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Informationen-ueber-Gefaengnis-Suizide/!5563242
 (DIR) [2] /Ueberwachungskameras-in-Gefaengnissen/!5856202
 (DIR) [3] /Mutter-in-U-Haft/!5941907
 (DIR) [4] https://www.telefonseelsorge.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emily Kietsch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Suizid
 (DIR) Justizvollzug
 (DIR) Untersuchungshaft
 (DIR) Gefängnis
 (DIR) Suizid
 (DIR) Haftbedingungen
 (DIR) Gefängnis
 (DIR) Suizidversuch
 (DIR) Suizid
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zu wenig Hilfsangebote: Mehr Geld für Suizidprävention
       
       Jährlich sterben in Deutschland 9.000 Menschen durch Suizid. Etliche
       Hilfsangebote sind allerdings enorm unterfinanziert.
       
 (DIR) Justizvollzug in Deutschland: Mehr Suizide in Gefängnissen
       
       Die Zahl der Selbsttötungen in Haft hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt.
       Die Linke fordert eine bessere psychosoziale Versorgung der Häftlinge.
       
 (DIR) Bedingungen in deutschen Haftanstalten: Mehr Suizide in Gefängnissen
       
       Im letzten Jahr haben sich deutlich mehr Häftlinge suizidiert. Warum, ist
       unklar. Die Linke fordert bessere psychosoziale Betreuung.
       
 (DIR) Informationen über Gefängnis-Suizide: Schweigsame Behörde
       
       Die Hamburger Justizbehörde gibt keine Pressemitteilung mehr heraus, wenn
       sich ein Gefangener das Leben genommen hat. Das sorgt für Kritik.
       
 (DIR) Selbstmord in Untersuchungshaft: Suizid vor laufender Kamera
       
       Ein 26-Jähriger tötete sich in U-Haft offenbar mit einer Schnur – obwohl er
       sich in einer Suizid-Präventionszelle befand. Die WärterInnen schauten
       gerade nicht hin