# taz.de -- Taliban übernehmen Afghanistan: Die letzten Tage von Kabul
       
       > Auf die Machtübernahme der Taliban folgen Chaos und Angst: Plünderungen,
       > Selbstzensur, Angriffe auf Frauen.
       
 (IMG) Bild: Die neuen Machthaber, die Taliban, präsentieren sich am Sonntag im Palast des Präsidenten
       
       BERLIN taz | Die geordnete Machtübergabe an die Taliban ist gescheitert.
       Der Plan der USA und der Regierung in Kabul, eine Übergangsregierung unter
       ihrem Einschluss zu bilden, [1][brach zusammen], bevor er zu Ende
       diskutiert werden konnte. Auch eine zweiwöchige Feuerpause, um die Übergabe
       geordnet zu managen, kam nicht zustande. Stattdessen übernahmen die Taliban
       ungehindert die alleinige Macht. Bereits am Abend saß der Chef ihrer
       Militärkommission, also der Quasiverteidigungsminister, Kari Salahuddin, im
       Kabuler Präsidentenpalast.
       
       Am Montag erklärten sie den Krieg für beendet, da sie nun das gesamte Land
       kontrollierten. Das stimmt nicht ganz. Die kleine Provinz Pandschir
       nördlich von Kabul, als Anti-Taliban-Hochburg bekannt, ist wohl noch nicht
       besetzt.
       
       Talibansprecher Muhammad Naim teilte gestern mit, die Bewegung würde mit
       der Regierungsbildung beginnen. Man wolle „kein isoliertes Land“ regieren –
       ein Gesprächsangebot an die Weltgemeinschaft. Talibanvizechef Mullah
       Baradar sprach von einer „offenen, inklusiven islamischen Regierung“, ein
       Zeichen, dass auch Nichttaliban einbezogen werden sollen. Das könnte auch
       die Erklärung dafür sein, dass die erwartete Ausrufung eines islamischen
       Emirats noch nicht erfolgte.
       
       Der Machtübernahme der Taliban leistete Vorschub, dass der bisherige
       Präsident Aschraf Ghani am Sonntagnachmittag das Land verlassen hatte.
       Unklar blieb, ob das eine Vorbedingung der Taliban für eine Übergangslösung
       war oder der USA, die ihn schon lang nicht mehr unterstützten, oder eine
       [2][überstürzte Flucht]. Mit seinen zwei engsten Vertrauten – dem
       nationalen Sicherheitsberater, Hamdullah Moheb, und seinem engsten
       Mitarbeiter, Fasl Fasli, ließ er sich zunächst nach Tadschikistan fliegen
       und von dort aus nach unbestätigten Berichten nach Oman. Ghani besitzt die
       US-Staatsbürgerschaft, Moheb ist afghanisch-britischer und Fasli
       afghanisch-schwedischer Staatsbürger.
       
       ## Warlords und Regierungsmitglieder flüchten ins Ausland
       
       Aus den sozialen Medien schlagen Ghani nun Anschuldigungen entgegen, er sei
       mit großen Geldbeträgen ausgereist. Dazu kommen Wut über sein Scheitern
       nach Jahren großsprecherischer Pläne und Häme. Noch kürzlich hatte Ghani
       erklärt, er würde lieber im Amt sterben als fliehen.
       
       Nach Ghanis Flucht entstand ein Dreierrat, der für sich in Anspruch nahm,
       mit den Taliban weiter über deren Machtübernahme zu verhandeln – offenbar
       auch in der Hoffnung, dabei selbst weiter eine politische Rolle spielen zu
       können. Dazu gehören der frühere Präsident Hamid Karsai, der berüchtigte
       Mudschaheddinführer Gulbuddin Hekmatjar und Ghanis interner Hauptrivale
       Abdullah, zuletzt Vorsitzender des für Verhandlungen mit den Taliban
       zuständigen Rats für Nationale Versöhnung. Die Taliban haben bisher kein
       Zeichen ausgesandt, dass sie diesen Rat ernst nehmen. Währenddessen haben
       sich führende Warlords und Regierungsmitglieder ins Ausland gerettet.
       
       ## Keine Kämpfe in Kabul
       
       Nach Ghanis Abreise lösten sich die letzten Regierungsstrukturen auf.
       Darunter war die Polizei, die bis zum Abend aus dem Stadtbild Kabuls
       verschwand. Daraufhin kam es zu ersten Plünderungen und Überfällen auf
       Passanten. Viele Teile Kabuls wurden über das vergangene Jahr zunehmend von
       kriminellen Netzwerken geplagt, die teilweise von hohen Politikern
       protegiert wurden. Sie versorgten sich offenbar mit Waffen der sich
       auflösenden Polizei, oder Polizisten schlossen sich ihnen an. Das nahmen
       die Taliban zum Anlass, entgegen früheren Zusagen nach Kabul einzurücken.
       Bereits am Sonntagabend hatten sie alle Polizeikommandanturen in Kabul
       übernommen, einen ehemaligen Parlamentsabgeordneten als Polizeichef und
       einen Gouverneur aus den eigenen Reihen eingesetzt. Ab 21 Uhr galt eine
       nächtliche Ausgangssperre.
       
       Gekämpft wurde in Kabul nicht, wie das Internationale Rote Kreuz gestern
       bestätigte. Kontakte der taz in Kabul berichteten aus den Stadtteilen
       Kart-i-Nau im Südosten und Chuschhal Mena im Wesen, dass einige Geschäfte
       wie Bäckereien geöffnet, aber Banken noch geschlossen seien, die aber
       wieder Geld von der Zentralbank erhalten sollen. Autos würden zwar
       kontrolliert, aber nicht durchsucht. Dies gelte auch für weibliches
       Personal. Es wurde auch berichtet, Taliban suchten nach gepanzerten
       Fahrzeugen und solchen von Armee und Polizei, offenbar um sie zu
       beschlagnahmen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich
       vereinzelt um Kriminelle handelt, die sich als Taliban ausgeben und die
       Angst der Bevölkerung ausnutzen.
       
       ## Angst vor den Taliban
       
       Internet- und Stromversorgung liefen normal, damit auch weiter unabhängige
       afghanische Onlinemedien. Der unabhängige Sender Tolo in Kabul sei nach
       Waffen durchsucht worden; die Taliban hätten sie eingezogen, aber
       zugesichert, den Sender zu schützen. Das berichtete Tolo über Twitter.
       Einige TV- und Radiosender hätten ihr Programm „gemäßigt“ und
       „islamisiert“, hieß es in sozialen Medien.
       
       Eine Talibandelegation suchte den Gesundheitsminister Wahid Madschruh auf
       und ersuchte ihn, „wie bisher“ weiterzuarbeiten. In Kundus sollen
       Behördenmitarbeiterinnen von der Arbeit nach Hause geschickt worden sein,
       in Kabul Studentinnen. Es könne aber auch vorauseilender Gehorsam der
       Universitätsverwaltung sein. Ebenfalls auf sozialen Medien hieß es, die
       Furcht vor den Taliban „vergifte“ bereits den öffentlichen Raum. Frauen und
       Mädchen würden von Passanten beschimpft, dass die Taliban „wegen euch“
       gekommen seien und sie jetzt „disziplinieren“ würden.
       
       16 Aug 2021
       
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