# taz.de -- Theatertreffen in Berlin: Verliebt ins Scheitern
       
       > Toll, wie wir mal wieder versagt haben: Das Berliner Theatertreffen
       > startet fulminant mit Untergangsfantasien von Elfriede Jelinek und einem
       > "Kirschgarten".
       
 (IMG) Bild: Schadenfreude empfindet der Zuschauer bei der Trilogie "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz" von Elfriede Jelinek.
       
       Die nächste Katastrophe ist uns sicher, das nächste Stück von Elfriede
       Jelinek auch. Krise am Weltmarkt, "Deep Water Horizon", Fukushima: Das
       menschengemachte Unglück hat immer noch eine Steigerung für uns bereit. So
       fügt die Gegenwart den Dramen von Jelinek stets noch eine Pointe hinzu; was
       sie an einem Fall beobachtet, wiederholt und steigert sich gerade schon
       beim nächsten. Die Trilogie "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz" endet mit einer
       Episode aus Köln, dem Einsturz des Stadtarchivs und einem fulminanten
       Reigen des Verantwortung-von-sich-Schiebens unter Baufirmen,
       Stadtverwaltung und Politik.
       
       Mit diesem Stück in der Inszenierung von Karin Beier eröffnete das
       Schauspiel Köln das Theatertreffen in Berlin. Und zeigte zwei Tage später
       eine gut 100 Jahre ältere Variante des Verliebtseins ins Scheitern, einen
       "Kirschgarten" der Regisseurin Karin Henkel. Wieder zieht eine Gesellschaft
       sehenden Auges in ihren eigenen Untergang, begleitet von Zirkusmusik und
       allerlei Kunststückchen.
       
       Schadenfreude ist nicht gerade edel, aber mit Schadenfreude folgt man doch
       dem, was Elfriede Jelinek über den Menschen erzählt, der sich mit
       Schaffensdrang und Fortschrittsglauben zum Beherrscher der Natur
       aufschwingt. Es ist vorhersehbar, wie da wieder einer untergeht, scheitert
       an der eigenen Überheblichkeit und der Selbstbetrug ihm um die Ohren
       fliegt. Nicht auf Erkenntnis setzt die Autorin, nicht auf den Glauben, mit
       Kritik und Vernunft noch irgendwas ausrichten zu können - und das
       illustriert der dritte und beste Teil der Inszenierung kongenial: Ständig
       werden warnende Stimmen, die Ansage des Wassers, das kommen wird und die
       Erde wegschwemmt, ausgeschaltet, versenkt, in den Müll geschmissen. Aber
       wie das Wasser suchen sich die Stimmen ständig einen neuen Weg und sickern
       aus Telefonen, Laptops und Radios.
       
       Drei Baustellen und ihren Opfern gilt der Text, angefangen von einem
       Wasserkraftwerk in den Kapruner Alpen, dessen Bau mit Zwangsarbeitern in
       der Nazizeit begonnen wurde. Am Anfang stehen euphorische Reden über die
       Verherrlichung der Tat, die ganz von der Ideologie der Nazizeit und dem
       Futurismus geprägt sind, um dann mit gruseliger Unmerklichkeit in den
       Technokratensound der Gegenwart hineinzusickern. Es gehören Klagen des
       ausgebeuteten Arbeiters dazu, in denen die Bilder von Zwangsarbeitern und
       von Arbeitsmigranten, die arbeiten wollen und nicht dürfen,
       ineinanderrasseln und sich verkanten. All das schichtet sich in ungetümen
       Sätzen übereinander, bis sich die widersprüchlichsten Assoziationen an die
       Begriffe heften wie ein unsortierter Sack voller Altlasten.
       
       Diesen Ballast konsumierbar zu proportionieren, ist die Arbeit der
       Inszenierung. Karin Beier nutzt dafür ähnliche musikalisch und rhythmisch
       strukturierende Mittel wie vor ihr Nicolas Stemann. Doch bis der Zynismus
       zu tänzeln beginnt, wenn linke und rechte Rhetorik zu Worthülsen zerfallen
       und Kalauer den falschen Schein der Versprechungen durchstoßen, ist das
       manchmal ein langer Weg.
       
       ## Kenntnis und Kritik
       
       Im letzten Teil aber findet die Inszenierung zu ihrem besten Tempo. Der
       Schadenfreude tritt das Mitleid entgegen, Mitleid mit der Erde: Sie, die
       verhöhnt wird, der Gewalt angedroht wird in den Reden der Lochgräber und
       Schlitzwandbauer, der Wasser- und Wahrheitsverdränger, sie wird in Gestalt
       der Schauspielerin Kathrin Wehlisch gejagt, ins Wasser gestürzt und in die
       Enge getrieben von Schreibtischtätern und Bauhelmbewehrten. Die Emotionen,
       mit denen man sie begleitet, durchbrechen die wohlfeilen Posen von Kenntnis
       und Kritik. Was Kabarett war und Genuss am bösen Blick auf eine böse Welt,
       wird wieder Theater und Schmerz ohne Trost.
       
       Für Köln lag eine besondere Pointe in dieser Arbeit der Intendantin Karin
       Beier, dass nämlich die Stadtväter, die sich so blamiert hatten mit
       Uneingeständnis von Schuld im Fall des Stadtarchivs, auch ihre Gegner
       gewesen waren, als sie um den Erhalt des Theaters (statt eines Neubaus)
       kämpfte. Beier wird die Stadt verlassen, um das Deutsche Theater in Hamburg
       zu leiten, für das Kölner Theaterpublikum eine herbe Enttäuschung. Dass
       freilich ihr Theater auch sehr konsumentengerecht war und vom Zuschauer
       nicht zu viel verlangte, zeigen die beiden Kölner Gastspiele in Berlin
       auch.
       
       Denn Karin Henkels federleichter Inszenierung von Tschechow kann man schon
       vorwerfen, am Ende etwas zu nett zu allen ihren Figuren gewesen zu sein. Am
       Anfang drehen sich alle wie auf einer Spieluhr auf einer Drehscheibe in der
       Bühnenmitte. Sie sind fast alle gut darin, sich selbst etwas vorzumachen,
       aber auch nicht schlecht darin, sich dafür selber anzuklagen. Ihr Wunsch,
       sich noch ein bisschen zu verwöhnen, noch ein wenig dieses Gefühl und jene
       Erinnerung auszukosten, ist uns genauso vertraut wie ihr Hang zum
       Bekenntnis, mal wieder großartig versagt zu haben. Niemand reißt sie aus
       ihrer Nabelschau; und wer es doch versucht, wie Lopachin, ein beinahe
       hilfsreicher Geschäftsmann, wird als Tollpatsch ins Unterhaltungsprogramm
       der Familie abgeschoben. So geht es am Ende immer auf Kosten des Lebens,
       das Spiel, das sich hier so zierlich zelebriert.
       
       10 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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