# taz.de -- UK-Aktivist über den „Windrush Day“: „Strukturellen Rassismus erkennen“
       
       > Der Gedenktag erinnert an den Beginn der schwarzen Migration nach
       > Großbritannien. Initiator Patrick Vernon über die aktuelle Debatte und
       > US-Vorbilder.
       
 (IMG) Bild: Black-Lives-Matter-Protest in London: Hier geht es auch um Migrant*innen aus der Karibik
       
       taz: Herr Vernon, am Montag ist Großbritanniens „Windrush Day“ zur
       Erinnerung an die Landung der ersten karibischen Arbeitsmigranten in
       England 1948 auf dem Schiff „Windrush“. Der von der Regierung eingerichtete
       Gedenktag geht auf Ihre Kampagne für Gerechtigkeit für die
       Windrush-Migranten zurück, die unrechtmäßig um ihr Aufenthaltsrecht
       gebracht und teilweise nach Jahrzehnten plötzlich diskriminiert und
       deportiert wurden. Was machen Sie jetzt an diesem Tag? 
       
       Patrick Vernon: Windrush ist ein Tag, um die Migration zu feiern. Mit mir
       sind viele Ansprachen und Interviews geplant, darunter im Londoner Stadtrat
       mit Bürgermeister Sadiq Khan. Dabei werde ich auf drei Dinge zu sprechen
       kommen.
       
       Einmal die Petition, die ich erst am Freitag gemeinsam mit Betroffenen bei
       10 Downing Street einreichte, welche die Implementierung der 30
       Empfehlungen aus der [1][Untersuchung zum Windrush-Skandal] fordert.
       Zweitens fordere ich eine unabhängige Untersuchung zur Situation ethnischer
       Minderheiten während der Coronapandemie. Ich habe meinen eigenen Schwager
       verloren und habe eine Stiftung gegründet, die Familien von Verstorbenen
       etwa bei Bestattungskosten helfen soll. Wussten Sie, dass während der
       Pandemie mehr Schwarze für den Bruch der Abstandsregeln bestraft wurden als
       Weiße? Lauter solche Dinge.
       
       Drittens geht es mir um die Bergung des Ankers der „Empire Windrush“ zu
       Errichtung eines Denkmals. Hierzu habe ich ein Crowdfunding gestartet, denn
       das Schiff liegt vor Nordafrikas Küste auf Grund. Der Anker ist nicht nur
       Symbol der Menschen aus den ehemaligen karibischen Kolonialstaaten, deren
       Einwanderung nach dem Krieg mit diesem Schiff begann, sondern auch
       symbolisch für den Triumph über den Faschismus, weil die „Windrush“ einst
       ein deutsches Schiff war, das sogar jüdische Norweger*innen nach Auschwitz
       transportierte.
       
       Premierminister Boris Johnson hat eine Untersuchung der Diskriminierung
       schwarzer und ethnischer Minderheiten in Großbritannien angekündigt. Was
       halten Sie davon?
       
       Es gibt schon viele Empfehlungen, nicht nur die zur Bewältigung des
       Windrush-Skandals, sondern auch eine Untersuchung des Abgeordneten David
       Lammy zur Diskriminierung im Justizsystem und anderes.
       
       Statt all diese Empfehlungen umzusetzen, lässt er eine neue Untersuchung
       machen, die von einer Mitarbeiterin seines Stabes geführt werden soll, die
       nicht an strukturellen Rassismus glaubt. Das hat sie offen so gesagt. Ich
       halte es für Verzögerungstaktik, auch wenn es richtig ist, dass Johnson die
       Erfahrungen aus der Pandemie mit integrieren möchte. Außerdem ist sie nicht
       unabhängig.
       
       Welchen Zusammenhang sehen Sie mit den aktuellen
       Black-Lives-Matter-Protesten? 
       
       Ich glaube, mehr und mehr Menschen erkennen jetzt die Existenz des
       strukturellen Rassismus an. Als Black Lives Matter 2013 zum ersten Mal
       aufkam, war es noch nicht so weit. Doch seitdem erlebten wir den
       Windrush-Skandal und das Grenfell-Inferno. Beim Windrush-Skandal
       unterstützten auch durchschnittliche weiße Briten die Opfer. Deswegen gab
       es so viele Entschuldigungen vonseiten der Regierung.
       
       Bei den [2][Black-Lives-Matter-Protesten] geht es jetzt auch nicht nur um
       die Beiträge von Einwanderer*innen, sondern um tiefergreifende und
       systematische 400 Jahre lange Diskriminierung, die viele Menschen auch
       heute täglich wahrnehmen. Ich sehe den Einfluss auch kulturell, fast als
       bräuchten wir das Vorbild aus den USA, um selber zu protestieren. 1987
       starb in Wolverhampton ein völlig unschuldiger schwarzer Mann, Clinton
       McCurbin, dessen letzte Worte, als drei Polizeibeamte seinen Körper
       kontrollierten, „ich kann nicht atmen“ waren. Das Aufsehen hielt sich in
       Grenzen.
       
       Ist ein Ende der Diskriminierung in Sicht? 
       
       Schwer zu sagen. Manchmal ändern sich Dinge für Jahrzehnte nicht und dann
       plötzlich über Nacht. Was den Einwanderer*innen aus der Karibik hilft,
       ist, dass sie von der Mehrheit der Briten als positiv angesehen werden. Es
       wird über ihre Leistungen im Gesundheitssystem und öffentlichen Dienst
       gesprochen, und sie haben ein langweiliges Land mit ihren Speisen und ihrer
       Musik aufleben lassen. Diesen Wert sahen viele Briten beispielsweise nicht
       bei neuen Einwanderer*innen, etwa aus Osteuropa.
       
       22 Jun 2020
       
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