# taz.de -- Wagenknecht-Ansprache in Wettbergen: Sahra geht in Frieden
       
       > Große Politik in einer kleinen Kirche: Ein Neujahrsgottesdienst mit Sahra
       > Wagenknecht regt viele auf. Dabei erzählt sie nur, was sie immer sagt.
       
 (IMG) Bild: Trifft bei Vielen einen Nerv: Sahra Wagenknecht spricht beim Neujahrsgottesdienst in der Wettbergener Kirche
       
       HANNOVER taz | Die [1][Johannes-der-Täufer-Kirche in Wettbergen], einem
       Stadtteil am Rande Hannovers, stammt aus dem Jahr 1697 und ist hübsch aber
       eher schlicht. Keine, die sonst große Massen anzieht. Sie ist auch eher
       klein. Das war dann am Donnerstagabend doch ein Problem. Denn zum
       Neujahrsgottesdienst hatte man sich [2][einen Stargast eingeladen: Sahra
       Wagenknecht.]
       
       Die Folge: Viel Gekabbel um die rund 300 Sitzplätze in der Kirche und dem
       benachbartem Gemeindesaal, ein solider Shitstorm, großes Medieninteresse,
       ein genervter Kirchenkreis und 25 wütende Demonstranten auf dem Vorplatz,
       die Plakate hochhielten, auf denen zum Beispiel stand: „Putin-Propaganda –
       Pastor Harms lädt ein“.
       
       Nun ist Pastor Friedhelm Harms einer, der gern einmal durchblicken lässt,
       wie sehr er unter dem wachsenden Bedeutungsverlust seiner Kirche leidet.
       Aber diese Art von Aufmerksamkeit wurde ihm dann doch ein bisschen zu viel.
       
       Die Tradition, sich zu den Neujahrsgottesdiensten möglichst Prominente und
       öfter auch umstrittene Redner einzuladen, hat er von seinem Vorgänger
       geerbt. Gerd Schröder, Christian Wulff und Gergor Gysi waren schon hier,
       und auch der Sohn des von der RAF ermordeten Generalstaatsanwalts Siegfried
       Buback sowie der Nahost-Experte und Islamkritiker Ahmad Mansour.
       
       ## Bekanntes, garniert mit Bibelzitaten
       
       An Wagenknecht, sagt er, habe ihn vor allem ihre Position zum Krieg in der
       Ukraine interessiert. Als er sie im vergangenen Herbst einlud, war aber
       natürlich noch nicht absehbar, dass diese Neujahrsansprache kurz [3][nach
       der Gründung ihrer eigenen Partei] stattfinden würde.
       
       Was die bekennende Atheistin Wagenknecht dazu bewogen haben mag, die
       Einladung anzunehmen, bleibt unklar. „Etwas sehr Besonderes“ sei das, sagt
       sie in ihrer Rede. Die befasst sich mit zwei Aspekten: einerseits dem
       Russland-Ukraine-Krieg und andrerseits mit dem, was sie als wachsende
       gesellschaftliche Spaltung beschreibt.
       
       [4][Wagenknecht sagt dabei nichts, was man sie nicht schon hunderte Male in
       Talkshows und Reden hätte sagen hören], aber sie sagt es ein bisschen
       sanfter, milder, pastoraler und macht sich die Mühe, die Bibel, Margot
       Kässmann und den Papst zu zitieren, wo sie normalerweise Philosophen und
       politische Denker heranzieht.
       
       Sie plädiert also einmal mehr für sofortige Friedensverhandlungen mit
       Russland, beklagt den sich verengenden Meinungskorridor und dass die wahren
       sozialen Probleme im Land nicht adressiert würden, weil man sich lieber
       damit beschäftige, auf Bürgergeldempfängern herum zu hacken.
       
       ## Krieg, Frieden und der Meinungskorridor
       
       Dafür bekam sie schon beim Einzug in die Kirche Applaus und auch die kleine
       Fragerunde im Gemeindehaus im Anschluss an den Gottesdienst ist von großem
       Wohlwollen geprägt.
       
       Die einzigen kritischen Fragen beziehen sich darauf, ob der Parteiname
       nicht doch ein bisschen weniger egozentrisch hätte ausfallen können. Das
       habe ganz praktische Gründe, sagt Wagenknecht und der Name müsse ja auch
       nicht immer so bleiben.
       
       Es ist offensichtlich, dass auch viele Gemeindemitglieder von
       Friedensfragen umgetrieben werden, vom Unbehagen an den Waffenlieferungen,
       der Dauer, den Kosten und dem Eskalationspotential dieses Krieges.
       
       Deshalb hören sie es gern, wenn Wagenknecht zum wiederholten Mal behauptet,
       der Frieden wäre bei den Istanbul-Verhandlungen im Frühjahr 2022 praktisch
       schon zum Greifen nah gewesen, Russland zum Rückzug bereit, die Ukraine
       hätte lediglich ihre Neutralität erklären müssen.
       
       Es gäbe an dieser Stelle eine Menge einzuwenden: Es gab bedeutende
       Verhandlungsteilnehmer, die das ganz anders eingeschätzt haben, den
       ungeklärte Status von Donbas und Krim, das Ringen um Sicherheitsgarantien
       für die Ukraine auf westlicher Seite, den fortgesetzte Beschuss Mariupols,
       das Massaker von Butscha.
       
       ## Wagenknecht trifft einen Nerv
       
       Aber wer hat schon noch all diese Details parat, wer möchte sich überhaupt
       damit befassen mit diesem zähen Ringen und ewigen Vor und Zurück in den
       Verhandlungen. Im Gemeindesaal der Johannes-der-Täufer-Kirche
       offensichtlich niemand.
       
       Stattdessen bekommt Wagenknecht noch einmal die Frage: „Kann man mit Putin
       nicht reden?“, damit sie noch einmal wiederholen kann, was sie schon in
       ihrer Rede gesagt hat: Doch, klar, man muss es einfach nur mal tun. In
       ihren Augen ist es ja ausschließlich der Westen, der einseitig auf
       militärische Lösungen setzt und Diplomatie verweigert.
       
       Und zwar, weil man entweder das neue Waffenversuchsfeld nicht aufgeben
       möchte oder weil man sich von Wut- und Rachegefühlen und einer „abstrakten
       Moral“ leiten lässt. Sie plädiert dagegen nicht nur für mehr Diplomatie,
       sondern auch mehr Sachlichkeit. So einfach ist die Welt, wenn Dr. Sahra
       Wagenknecht sie erklärt.
       
       Nur eine junge Frau fragt kritisch nach, ob man das denn Diplomatie und
       okay nennen könne, wenn Russland die Ukraine erpresst, auf eine
       Nato-Mitgliedschaft zu verzichten. Aber auch das pariert die
       talkshow-gestählte Sahra Wagenknecht natürlich schnell. Sie wolle sich
       Russlands Ziele ja nicht zu eigen machen und natürlich sei der Krieg ein
       Verbrechen, aber man hätte die russischen Sicherheitsinteressen eben
       berücksichtigen müssen.
       
       ## Zum ersten Mal Minderheit
       
       Und es gibt ein weiteres Themenfeld, bei dem die Rednerin offensichtlich
       einen Nerv trifft. Das sind die Klagen über den enger werdenden
       Meinungskorridor, die Dinge, die man nicht mehr sagen dürfe, den
       unsäglichen Ton in vielen Auseinandersetzungen.
       
       Es wird oft darauf hingewiesen, was für ein Widerspruch das ist, wenn
       solche Klagen ausgerechnet von einer Person kommen, die in Talkshows und im
       Parlament sitzt, Marktplätze und Veranstaltungssäle (sogar von Kirchen)
       füllt und tausende Bücher verkauft.
       
       Aber dieser offensichtliche Widerspruch verfängt auch hier, bei diesem
       Publikum in Wettbergen, nicht so richtig. Möglicherweise, weil es
       eigentlich um etwas anderes geht. Möglicherweise geht es gar nicht darum,
       dass Dinge, die man sagt, tatsächlich üble Konsequenzen haben.
       
       Sondern eher darum, dass man zum ersten Mal im Leben die Erfahrung macht,
       eine Minderheitenmeinung zu vertreten und auf heftigen Widerspruch zu
       stoßen. „Frau Wagenknecht, Sie haben ja täglich mit Gegenwind zu tun. Woher
       nehmen Sie die Kraft?“, fragt ein älterer Herr. Aus dem großen Zuspruch,
       den sie ja auch täglich erfahre, antwortet Sahra Wagenknecht freundlich.
       
       Und dann ist die Sprechstunde auch fast schon zu Ende. Die Politikerin muss
       dringend zum Zug, schafft es kaum noch alle Selfie- und Signierwünsche zu
       bedienen. Draußen sind die wütenden Demonstranten längst verschwunden.
       Niemand buht mehr.
       
       19 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kirchengemeinde-wettbergen.de/
 (DIR) [2] /Sahra-Wagenknecht/!t5013304
 (DIR) [3] /Wagenknecht-Partei-gegruendet/!5982170
 (DIR) [4] /Parteigruenderin-Sahra-Wagenknecht/!5966535
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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