# taz.de -- Werkschau zu Joe Strummer: Immer westwärts, Klampfer-Joe!
       
       > Tolle Ausgrabungen, selten Gehörtes: Joe Strummer, der große
       > Internationalist des Pop. Das ist in der Kompilation „Joe Strummer 001“
       > neu zu entdecken.
       
 (IMG) Bild: Joe Strummer (Mitte) mit Paul Simonon zur Linken und Mick Jones zur Rechten bei The Clash, 1982
       
       Bevor John Graham Mellor sich von 1976 an langsam, aber sicher dem Punkrock
       zuwandte, um unter dem Alias Joe Strummer („Klampfer“) mit The Clash
       Musikgeschichte zu schreiben, trug er den Künstlernamen „Woody“. Nach Woody
       Guthrie. Unter diesem Namen fing der britische Gitarrist und Sänger zwei
       Jahre zuvor an, mit seiner Band, The 101ers, Rockabilly- und
       Rhythm-and-Blues-Songs zu spielen.
       
       Der Bezug zu dem Hobo und Proto-Protestsänger Woody Guthrie passte wie die
       Faust aufs Auge – denn auch Strummer war zu Clash-Zeiten ein
       Klassenkämpfer, setzte sich für Unterprivilegierte und Outlaws ein; nicht
       zuletzt deshalb, weil er die Härten des Lebens – als Internatskind,
       Hausbesetzer, Artschool-Drop-out, Großstadtstreuner – selbst von früh auf
       kannte.
       
       Aber auch musikalisch passte die Referenz zu Guthrie. Denn
       US-amerikanischer Bluegrass, Rock ’n’ Roll und Country haben den 2002 im
       Alter von 50 Jahren gestorbenen Musiker mehr geprägt, als man gemeinhin
       annimmt. Sein Blick richtete sich westwärts, in diesem Fall kann man fast
       sagen in doppeltem Sinne: Der berühmte Londoner Westway mit seinen
       Galerien, Clubs und Kneipen war bedeutend für ihn, genauso die Musik
       jenseits des Atlantiks.
       
       Über die erste Tour mit The Clash durch die USA (1979) sagte er einmal:
       „Wenn man seit seiner Kindheit amerikanische Musik liebt, dann ist es
       fantastisch, dort hinzugehen, mit einem Bus quer durchs Land zu fahren und
       Orte zu sehen, von denen man bisher nur in Songs gehört hat.“
       
       ## Ausschussware? Nix da
       
       Die kürzlich erschienene Werkschau „Joe Strummer 001“ bildet erstmals die
       gesamte stilistische Palette ab, die er als Songwriter draufhatte.
       Überwiegend widmet sie sich seiner späten Karriere, seinen Aufnahmen nach
       dem Ende von The Clash im Jahr 1986. Rare Stücke und zwölf bislang
       unveröffentlichte Werke aus dem Nachlass sind darunter – und diese
       Archivstücke sind alles andere als Ausschussware. Kuratiert wurde das Album
       von Strummers’ Witwe Lucinda Mellor und Robert Gordon McHarg III, einem
       kanadischen Künstler und Clash-Weggefährten.
       
       Einerseits kann man darauf eben den zutiefst Americana-affizierten Strummer
       (wieder-)entdecken. Stücke wie „Tennessee Rain“ (1987) oder „2 Bullets“
       (gemeinsam mit US-Sängerin Pearl Harbour und samt extensivem
       Pedal-Steel-Gitarreneinsatz) klingen wie ein musikalischer Roadtrip durch
       die Südstaaten.
       
       [1][„Crying On 23rd“] (1985), das Strummer mit der Londoner Band The
       Soothsayers aufnahm, erinnert dagegen an Bob Dylan zu seinen
       Bluesrock-Hochzeiten – die letzteren beiden Stücke sind Outtakes der
       Aufnahmen für den Soundtrack von „Sid & Nancy“.
       
       Auch „Blues On The River“ (1984), ein frühes Demo, strotzt vor Americaness:
       „White clear rum and blues on the river and run/ Loveless in the darkness,
       flooding through the rain and run/ Signaling with my red cigarette/ Won’t
       somebody please connect?“, singt Strummer mit seiner mal leicht heiseren,
       mal belegt klingenden, dann wieder nasalen Stimme. Nur seine Gitarre und
       eine Drum Machine braucht er für das Stück.
       
       ## „Viva la Quince Brigada“
       
       Aber auch der Internationalist, der musikalische Weltenbummler Strummer,
       den man bereits von The Clash kannte, hat seinen Auftritt. Dem spanischen
       Bürgerkrieg hatte er sich mit seiner Band ja schon gewidmet („Spanish
       Bombs“), hier ist seine Version des Widerstandslieds „Viva la Quince
       Brigada“ („15th Brigade“, 1989) zu hören – ein Song zu Ehren der
       Internationalen Brigaden, die gegen Franco kämpften.
       
       So, wie er es interpretiert mit Banjo, Lyra, Perkussion, klingt deutlich
       der arabische Einfluss auf den Song an. Es gibt viele Versionen dieses
       Schlachtgesangs (etwa von Pete Seeger) – so frisch wie hier klang es
       selten.
       
       Die Weltreise der Sounds setzt sich fort in [2][„Afro-Cuban Be-Bop“], das
       mit seinen swingenden Conga-Rhythmen daran erinnert, dass Strummer als
       Musiker über den Rhythmus kam – ein Grund, warum schon The Clash Dub,
       Reggae, Ska und Funk in ihren Sound integrierten. Und auch nach deren
       Auflösung spielten diese Stile für den Strummer-Sound weiterhin eine Rolle:
       mit den Mescaleros, die er 1999 ins Leben rief und mit denen er bis zu
       seinem Tod spielte, schrieb er diesen Global-Pop-Entwurf fort. Aus dieser
       Phase finden sich hier sechs Stücke – „Coma Girl“ zum Beispiel ist eines
       seiner stärksten überhaupt, eine Bonnie-und-Clyde-mäßige Liebeserklärung an
       Outsider-Gangs: „Coma Girl and the excitement gang/ Mona Lisa on the
       motorcycle gang/ Coma Girl was beating with the Oil Drum gang“, heißt es
       darin.
       
       Das Motorrad als Synonym für Freiheit, Vagabundentum, Rastlosigkeit spielt
       auch in „The Cool Impossible“ (1993) eine Rolle – das jazzige Stück ist
       eine der großen Entdeckungen des Albums. Ein Song, der von Sehnsucht,
       Aufbruch und Aufruhr handelt und bei dem einem zwischendurch die Augen
       feucht werden: „Because you’re sick about hearing about it all/ surrender
       your motorcycles /piss against the walls“, singt Strummer, der rüde,
       romantische Rebell.
       
       Und, apropos Augen feucht werden: Das gemeinsam mit Johnny Cash gesungene
       Bob-Marley-Cover [3][„Redemption Song“] fehlt zum Glück ebenfalls nicht.
       2002 eingespielt, klingt es heute wie ein Farewell zweier Pop-Giganten, die
       beide kurze Zeit später starben. Wobei Strummers Tod am 22. Dezember 2002
       nach einem Herzinfarkt im Gegensatz zu Johnny Cashs Ableben völlig
       überraschend kam.
       
       Für Fans ist „Strummer001“ ohnehin ein Must-have, aber auch jenen, die sein
       Solowerk nicht so gut kennen oder es als bloßes Clash-Addendum abtun, sei
       die 32-Song-Kompilation – die es, klar, auch in einer Deluxe-Variante mit
       Buch gibt – nahegelegt. Seinen Weg von den 101ers über The Clash bis zu
       verschiedensten Solo-Geschichten findet man nirgends so komprimiert wie
       hier.
       
       Die Sammlung bringt auch die Erkenntnis, dass Strummer – kein Wunder
       angesichts seines frühen Todes – als Solomusiker ein Unvollendeter
       geblieben ist. Der große Klampfer Joe Strummer, er hatte noch jede Menge
       Musik in sich.
       
       13 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=uzUOVBNGBUc
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=lQhGRJq_ECw
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=ulZP8RUqpF4
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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