# taz.de -- Kritik an NS-Gedenken in Ravensbrück: Überlebende zweiter Klasse
       
       > Bei der Gedenkfeier wurden ZeitzeugInnen mit Essensmarken abgefertig, es
       > fehlte an koscherem Essen. Die Prominenz speiste dagegen standesgemäß.
       
 (IMG) Bild: Viele Überlebende mussten mit Rollstühlen anreisen, die Essensversorgung war schlecht.
       
       Nach außen sah alles nach angemessenem Gedenken aus: Kränze wurden an einem
       Mahnmal niedergelegt, das Kaddisch-Gebet gesungen, Rosen auf dem Massengrab
       gepflanzt. Am vergangenen Sonntag gedachten im brandenburgischen
       Fürstenberg Politiker, darunter Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar
       Woidke (SPD), VertreterInnen von Häftlingsvereinigungen und überlebende
       ZeitzeugInnen der Befreiung des KZ Ravensbrück vor 70 Jahren.
       
       Nun aber erklären einige freiwillige HelferInnen, dass es an
       Fingerspitzengefühl und Pietät bei der Betreuung der ZeitzeugInnen
       erheblich gemangelt habe. Insgesamt waren 89 Überlebende aus Israel,
       Italien, Südafrika und anderen Ländern zur Stätte des ehemaligen Frauen-KZ,
       in dem 28.000 Menschen ermordet wurden oder starben, angereist.
       
       Hannah Rainer und Jakob Wischniowski, zwei der ehrenamtlichen BetreuerInnen
       der Überlebenden, kritisieren vor allem die Situation während des
       gemeinsamen Essens: Hier PolitikerInnen und RepräsentantInnen, die an
       wohlgeschmückten Tischen bedient wurden und die mit Porzellangeschirr aßen
       - dort die Lager-Überlebenden, die mit Papp- und Plastikgeschirr abgespeist
       wurden. Die ZeitzeugenInnen hätten aufgrund eines organisatorischen Chaos‘
       lange auf ihr Essen warten müssen, für das sie überdies Wertmarken bekommen
       hätten.
       
       „Wir haben den Eindruck gewonnen, dass nicht die Überlebenden und ihr Wohl
       im Zentrum der Veranstaltung standen, sondern repräsentative Interessen“,
       so Rainer und Wischniowski. Weiter erklärten sie, dass es zwischenzeitlich
       kein koscheres Essen gegeben habe. Ein jüdischer Ehrenamtlicher - er trug
       eine Kippa - sei abgewiesen worden, als er die Leiterin der Gedenkstätte
       darauf hinweisen wollte, dass die Essenssituation beschämend sei. Diese
       teilte auf Anfrage mit, sie sei zu aggressiv angegangen worden.
       
       ## Überlebende als „Deko“
       
       Horst Seferenz, Pressesprecher der Stiftung Brandenburgischer
       Gedenkstätten, wies die weiteren Vorwürfe weitestgehend zurück: an den
       „VIP-Tischen“, wie die Ehrenamtlichen sie nennen, hätten schließlich auch
       drei RepräsentantInnen der Zeitzeugen gesessen - etwa Annette Chalut,
       Präsidentin der Häftlingsvereinigung Internationales Ravensbrück Komitee.
       
       „Diese Essensmarken gab es, aber ich sehe darin kein Problem“, sagt
       Seferenz weiter, „auch in der Vergangenheit haben wir das so gehandhabt und
       es wurde nicht beanstandet.“ Es habe sie auch nur gegeben, damit man
       zwischen jenen unterscheiden könne, die kostenlos essen - die ZeitzeugInnen
       - und anderen Besuchern. „Und bei Essen dieser Größenordnung ist es üblich,
       dass man Pappgeschirr verwendet.“ Im Übrigen habe es für alle das gleiche
       Essen gegeben - koschere Gerichte seien sehr wohl im Angebot gewesen. Von
       einigen israelischen Besuchern ist die Gedenkstätte auch für die
       Organisation und Betreuung gelobt worden.
       
       Weitere HelferInnen kritisierten hingegen gegenüber der taz, dass die
       Überlebenden als „Deko“ oder Beiwerk behandelt worden seien und dass man
       auf das hohe Alter - die meisten sind um die 90 Jahre alt - zu wenig
       Rücksicht genommen habe. Für ein weiteres gemeinsames Essen hätten sie
       demnach eine eineinhalbstündige Busfahrt in Kauf nehmen müssen, inklusive
       langer Wartezeiten. Hannah Reiner weist darauf hin, dass sie aus
       Sachsenhausen - hier fand am gleichen Tag eine Gedenkveranstaltung statt -
       ähnliche Rückmeldungen bekommen hätten. Als „absolut peinlich“ hätte auch
       dort eine Ehrenamtliche die Essenssituation erlebt.
       
       24 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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