# taz.de -- Kolumne Besser: Mach’s gut, taz!
       
       > Die taz ist das, was ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daraus machen.
       > Für mich war die taz ein großer Spielplatz mit allem, was dazugehört.
       
 (IMG) Bild: taz-Kolumnist Deniz Yücel auf dem Dach seiner Zeitung.
       
       Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass ich bei der Main-Spitze, dem
       Rüsselsheimer Lokalteil der Mainzer Allgemeinen, ein Praktikum in einer
       Redaktion absolvierte. Als ich dem betreuenden Redakteur F. meinen ersten
       Artikel vorlegte – es ging um die Lesung einer Kinderbuchautorin –, wollte
       er wissen, warum ich Journalist werden wolle. „Ich will die Leute
       informieren“, antwortete ich, „ich will über Missstände aufklären, die Welt
       verändern“ – was man mit 16 halt so sagt, wenn man 16 ist und glauben darf,
       die Lösung für die großen Fragen der Menschheit gefunden zu haben.
       
       F. antwortete: „90 Prozent aller Journalisten sind Journalisten geworden,
       weil sie es toll finden, ihren Namen in der Zeitung zu lesen. Das ist in
       Ordnung, man sollte sich nur dessen bewusst sein. Darum beginnst du jeden
       Text damit, indem du deinen Namen aufschreibst.“
       
       Gleich nach den W-Fragen war dies meine zweite Lektion in Sachen
       Journalismus. Ich war so verblüfft, dass ich vergaß nachzufragen, was mit
       den übrigen zehn Prozent los ist. Heute hätte ich eine Vermutung. Und ich
       wüsste, dass es verschiedene Formen der journalistischen Eitelkeit gibt.
       Aber lassen wir das, denn zu dieser Minderheit gehöre ich ohnehin nicht.
       
       F. hatte mich dazu aufgefordert, über das eigene Tun nachzudenken. Aber er
       war kein Zyniker und hatte nichts dagegen, das Schreiben in den Dienst des
       Guten, Schönen und Wahren zu stellen. Das ist nämlich das Wunderbare an
       diesem Beruf: Weil man dabei helfen kann, die Dinge zu ordnen und zu
       verstehen. Weil man immer wieder in fremde Welten eintauchen und seine
       Leser dorthin mitführen kann. Weil man Dinge formulieren kann, über die
       andere Menschen sagen: „Sie haben meine Gedanken auf den Punkt gebracht.“
       Oder gar: „Sie haben Worte für meine Gefühle gefunden.“ Nicht, weil man mit
       einem Artikel die Welt verändern könnte – das passiert nur in höchst
       seltenen Fällen. Aber dazu beizutragen, dass sich die Leserinnen und Leser
       hinterher etwas schlauer fühlen, ist schon viel wert. Und ihnen durch einen
       Text oder eine Zeile ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern nicht weniger. Noch
       ein Privileg genießt man als Journalist: Man kann, wie es Stefan Ripplinger
       einmal formulierte, nach Herzenslust scheiße finden und besser wissen.
       
       „Eine Tonleiter umfasst sieben Töne. Die Frage, welcher der Töne ,besserʻ
       sei: Do, Re oder Mi, ist eine unsinnige Frage. Der Musikant muss aber
       wissen, wann und auf welche Taste er zu schlagen hat.“ Dieses in einem
       anderen Zusammenhang gesagte Wort von Trotzki habe ich stets für eine gute
       Maxime beim Schreiben und Blattmachen gehalten.
       
       ## Texte aus dem Handgemenge
       
       Doch was wir Journalisten produzieren, ist keine Kunst, auch keine
       Philosophie. Es sind Gebrauchstexte mit begrenzter Haltbarkeit, verfasst
       aus dem Handgemenge. „Ärger dich nicht zu sehr über einen schlechten Text
       und bilde dir nicht zu viel auf einen guten ein – in die Zeitung von heute
       wird morgen Fisch eingewickelt“, lautet ein weiterer Satz in meinem
       Goldenen Notizbuch. Er stammt von Maik Söhler, meinem zweiten Ausbilder bei
       der Jungle World, der längst ebenfalls in der taz arbeitet. Wer eine
       Geschichte als Erster entdecken oder einen Gedanken als Erster formulieren
       will, geht ein Risiko ein. Und wer etwas riskiert, kann auf die Fresse
       fliegen.
       
       Es geht nicht ohne Handwerk. Aber so manches journalistische Leitbild ist
       Illusion, wenn nicht gar Ideologie: Distanz, Objektivität, das ganze
       Lehrbuchzeug – all das gibt es, aber nur in Maßen. „Es ist in Ordnung, beim
       Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein“,
       hätte F. vielleicht gesagt. Fragen kann ich ihn nicht mehr, weshalb ich
       hier seinen Namen nicht nenne.
       
       So gibt es einige wenige Texte, von denen ich wünschte, ich hätte sie
       geschrieben. Und es gibt einige Texte und Formulierungen, die ich besser
       nicht geschrieben hätte. Die Irrtümer und Fehler waren jedenfalls meine,
       nicht die der taz. Als Autor aber bin ich in der taz an keine
       unüberwindbaren Grenzen des Erlaubten gestoßen. Die taz ist das, was ihre
       Redakteure und Autoren aus ihr machen – keine schlechte Grundlage, um eine
       gute Zeitung zu machen.
       
       ## Händchenhalten und Hundescheiße
       
       Eine gute Zeitung aber macht man mit Neugier, mit Leidenschaft und mit
       Lust. Ich jedenfalls hatte hier sehr viel mehr Spaß, ob beim Schreiben oder
       beim Blattmachen, mit meinem Freund und Kollegen Jan Feddersen, bei
       allerlei Sonderprojekten, bei der Betreuung der Panter-Workshops oder bei
       der Leseshow [1][„Hate Poetry“], die ich mit meiner taz-Kollegin Doris
       Akrap und den Kollegen Ebru Taşdemir, Yassin Musharbash und Mely Kiyak vor
       über drei Jahren im taz-Café ins Leben rief.
       
       Die taz war für mich irgendwann ein großer Spielplatz mit allem, was
       dazugehört: Abenteuer und Raufereien, Händchenhalten und Hundescheiße. Mit
       dem Unterschied freilich, dass es um die Dinge ging, von denen wir
       glaubten, dass sie Sie ebenfalls interessieren.
       
       Dies ist nun mein letzter Text für die taz. Meine taz.
       
       Ich gehe in Demut vor einer Zeitung, die in ihren besten Momenten eine der
       besten der Welt sein kann. Ich gehe in Dankbarkeit für eine aufregende
       Zeit, in freundschaftlicher Verbundenheit zu vielen Kolleginnen und
       Kollegen, und mit Respekt für die verstorbenen taz-Autoren Christian Semler
       und Klaus-Peter Klingelschmitt, dessen Kolumnenplatz zu übernehmen ich die
       Ehre hatte.
       
       Um es in Anlehnung an den heutigen Spiegel-Online-Redakteur Stefan Kuzmany
       zu sagen: Ich danke allen Leserinnen und Lesern, die es bedauern, dass ich
       die taz verlasse; allen, die sich darüber freuen, und allen, denen es egal
       ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Bleiben Sie der taz treu. Sie ist
       eine Gute.
       
       Besser: So.
       
       Und zu allerletzt der große Rainald Grebe mit seiner Version eines
       Klassikers.
       
       30 Mar 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://hatepoetry.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
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