# taz.de -- Bücher über Bands der DDR: Strandgut der letzten dreißig Jahre
       
       > Einer stand auf der Bühne, der andere davor. André Herzberg und Alexander
       > Osang schreiben über Subversion und Verrat in der DDR.
       
 (IMG) Bild: Korrumpiert vom Drang nach Freiheit: André Herzberg, Sänger der Band Pankow, bei einem Konzert im Jahr 1987.
       
       Es kommt der Moment, da möchte Jakob Zimmermann sterben. Zimmermann, einst
       Star einer rebellischen DDR-Band, sitzt in seinem Ostberliner
       Depressionsloch. Das neue Land versteht er nicht und es versteht ihn nicht.
       In dieser Situation erfährt er, dass eine ehemalige Sängerkollegin
       gestorben ist. Krebs.
       
       Jakob Zimmermann, das ist, kaum kaschiert, André Herzberg selbst, Autor des
       Romans „Alle Nähe fern“. Und die Verstorbene ist Tamara Danz, die ruppige
       Frontfrau der Ostband Silly. „Erst gibt es jeden Tag die Krankengeschichte
       in der Zeitung, dann ihr Begräbnis. Dann geht ihre Musik in die Charts, das
       ist das Signal.“ Der Icherzähler erkennt: „Ich muss sterben, sofort.“
       
       Die Szene, in der sich André Herzberg seinen Tod ausmalt, ist eine der
       besten in „Alle Nähe fern“. Es ist eine Tom-Sawyer-Fantasie: Ihr beachtet
       mich nicht, also gehe ich sterben und schaue euch dabei zu, wie ihr um mich
       trauert. Doch wer weiß, wer André Herzberg in seinem ersten Leben war, kann
       leicht erfassen, wie existenziell bedrohlich das Desinteresse, aber auch
       das sozialstaatliche Einhegen im wiedervereinigten Deutschland für ihn
       gewesen sein muss.
       
       Für den wilden Sänger der Ostberliner Band Pankow war Mitmachen schon in
       der engen DDR nur bedingt eine Option. „Aufruhr in den Augen“ hieß einer
       seiner wichtigsten Songs.
       
       ## Dann rebellieren die Kinder
       
       In „Alle Nähe fern“ zieht er die langen Fäden seiner Familiengeschichte
       quer durchs 20. Jahrhundert in die Jetztzeit. Der Enkel deutschnationaler
       Juden wird als Sohn streng kommunistischer Migranten geboren. Seine Eltern
       bauen die DDR auf. Ihre Kinder verstehen sie als natürliche Verbündete. So
       ist es bei den Herzbergs und vielen anderen Funktionärsfamilien.
       
       Dann rebellieren diese Kinder. Sie werden Punks, sie stellen Fragen und
       Ausreiseanträge. Andre Herzberg wird: Sänger. Pankow-Konzerte sind wie
       Anfälle. Für ein paar Stunden klafft riesig die Lücke zwischen der fälligen
       Subversion und diesem restriktiven Staat. Der wichtigste Pankow-Song wird
       1988 „Langeweile“ heißen; ein Menetekel für den Niedergang der DDR und
       ihrer Gründergeneration – darunter Herzbergs Familie.
       
       Mit Pankow gerät Herzberg aber auch in jenen dubiosen Zwiespalt, in den die
       DDR-Kulturbürokratie Künstler zu bringen pflegte: ein Pass für Westreisen
       gegen gebremste Rebellion. Der Pass, schreibt Herzberg, „verschafft mir
       Luft, er macht die Enge weiter, dafür lasse ich mich korrumpieren“. Dass
       für diese „Luft“ sein engster Freund, der Gitarrist der Band, mit der
       Staatssicherheit kooperiert, weiß er nicht.
       
       Gar nicht lange nach dem Mauerfall wird die Stasivergangenheit des
       Gitarristen öffentlich. Ein Verräter unter den vermeintlich Subversiven –
       es schien wie einer der unzähligen Beweise der Niedertracht des
       untergegangen Systems. Für seinen Roman „Comeback“ hat der Journalist
       Alexander Osang genau diese Situation aufgegriffen. Osang erzählt eine
       komplexe Geschichte aus der Sicht ihrer jeweiligen Protagonisten.
       
       ## Ein Mix aus Figuren und Orten
       
       In Osangs Plot findet die Band trotz des Stasiverrats wieder zusammen. Eine
       Reunion-Tour wollen sie machen, natürlich nur durch den Osten, wen
       interessieren schließlich in Goslar oder Kiel die alternden Helden eines
       untergegangenen Systems. Leute wie Osang durchaus. Und Leute wie André
       Herzberg und all die anderen Funktionärskinder, für die Osang diesen
       bemerkenswerten Satz findet: „Sie entstammten ostdeutschen Königsfamilien.“
       Dramen und Depressionen inklusive.
       
       Im Erzählraum stehen auch in „Comeback“ die universellen Fragen nach dem
       Woher und dem Wohin. Was ist Zufall, was Machtmissbrauch? Osang greift zum
       dramaturgischen Mittel der Zeitversetzung und hofft so auf gesamtdeutsches
       Verstandenwerden. Er mixt reale Figuren, Orte und Ereignisse, tauscht
       Geschlechter und Songtexte. Die Band, ein Amalgam aus Pankow und Silly,
       heißt hier Steine, der Verräter heißt Alex wie der Autor selbst. Die
       Sängerin, Nora, ist ein gut gezeichnetes Porträt der 1996 verstorbenen
       Tamara Danz.
       
       Am Ende steht das letzte Konzert. „Sie waren das Strandgut der letzten
       dreißig Jahre“, schreibt Osang über die Königskinder. „Tagediebe,
       Lebenskünstler, Scharlatane. Marienburger, Kollwitz, Schwedter, Mulack.
       Schnapsbeutel unter den Augen.“ Ein bisschen Peinlichkeit, eine Menge
       Vergänglichkeit. Aber auch ein gutes Stück Identität.
       
       14 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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