# taz.de -- Wasserversorgung in Mexiko-Stadt: Die Zwei-Wasser-Gesellschaft
       
       > Millionen Bewohner der Armenviertel haben kein fließendes oder nur
       > dreckiges Wasser. In reichen Gegenden ist der Verbrauch höher als in
       > Deutschland.
       
 (IMG) Bild: Wasser für alle – eigentlich wäre das einfach.
       
       MEXIKO-STADT taz | Wenn der Donner grollt und die ersten Tropfen auf den
       Betonboden klatschen, schnappt sich María Peña Eimer und Wanne, eilt hinaus
       und fängt den Regen ein. Wenn die Sonne scheint, läuft sie bis zu zehn Mal
       zu ihrer Nachbarin, um Wasser für ihre achtköpfige Familie zu holen.
       
       María wohnt in Topilejo, einem der vielen armen Dörfer am Rande von
       Mexiko-Stadt. Fließendes Wasser hat sie nicht, aus einem Loch im Hof windet
       sich ein Gummischlauch. An manchen Tagen hat sie Glück und kann das
       unterirdische Wassernetz anzapfen. Meist muss sie warten, dass die
       Regierung Tankwagen schickt. Da aber immer mehr Mexikaner vom Land in die
       Stadt ziehen, reichen die Lieferungen längst nicht für alle.
       
       María muss mit 20 Litern Wasser pro Tag auskommen. Der durchschnittliche
       Pro-Kopf-Verbrauch in der Hauptstadt ist mit 300 Litern doppelt so hoch wie
       in Deutschland. „Die Reichen drehen den Hahn auf und wischen damit den
       Boden. Und wir?“, fragt María.
       
       Mexikos Situation könnte nicht widersprüchlicher sein: Vor über 500 Jahren
       erbauten die Azteken auf einer Insel die damals größte Stadt Amerikas. Dann
       kamen die Spanier und legten den See stückweise trocken. Heute fragen sich
       die Bewohner, wie es sein kann, dass eine auf Wasser erbaute Stadt kurz vor
       dem Verdursten steht.
       
       ## „Ineffizientes und ungleiches System“
       
       Schon jetzt leben 1,25 Millionen Menschen ohne fließendes Wasser. Eine
       weitere Million hat nur unregelmäßigen Zugang. Zugleich versickern jede
       Sekunde 12.000 Liter in Rohrrissen. „Wir haben ein ineffizientes und
       ungleiches System mit hohen Energiekosten, das schwerwiegende Umweltschäden
       verursacht und nur mit hohen Zuschüssen funktioniert“, sagt Manuel Perló,
       Professor an der Unabhängigen Universität von Mexiko. Die Hälfte des
       Trinkwassers wird über Hunderte Kilometer aus Quellen und Speicherseen in
       die Metropole geleitet. Die andere Hälfte stammt aus dem unterirdischen
       Grundwasserspeicher, der die Stadt nur noch wenige Jahre versorgen kann.
       
       Zugleich werden gerade mal 13 Prozent der Abwässer geklärt, der Rest fließt
       mitsamt den Industriechemikalien in den Nachbarstaat Hidalgo. Dort landen
       sie im Valle del Mezquital, einem der Landwirtschaftszentren des Landes,
       das wiederum Obst und Gemüse nach Mexiko-Stadt verkauft. „Die schicken uns
       die Scheiße, und wir schicken sie ihnen in Gemüse verpackt zurück“, sagt
       Francisco Luna, Professor an der Universität des Valle del Mezquital. Bei
       Untersuchungen wiesen die Abwässer hohe Mengen an Schwermetallen wie Blei
       oder Kadmium auf. „Viele Menschen hier leiden an Haut- und
       Atemwegserkrankungen, von Krebs ganz zu schweigen.“
       
       Seit über 50 Jahren erträgt Fortunato Hernández den Gestank. Er lebt in
       Atengo, einem Dorf direkt am Kanal, der sich an den Feldern
       vorbeischlängelt, auf denen er Mais anbaut. Das Wasser pumpt er aus dem
       Kanal, wo es unter einer dichten Schaumdecke kaum zu erahnen ist.
       Theoretisch ist es verboten, Pflanzen anzubauen, deren Früchte direkten
       Kontakt mit dem verschmutzen Wasser haben. Die Praxis sieht oft anders aus.
       Fortunato hält sich ans Gesetz: „Etwas anderes als Mais zu pflanzen, wäre
       unverantwortlich.“ Er isst nur Obst und Gemüse, das er selbst im Garten
       anbaut und mit Flaschenwasser gießt.
       
       ## Die Lösung wäre: Regenwasser
       
       Die Lösungen für Mexiko-Stadts Wasserproblem sind lange bekannt: Bau von
       Kläranlagen, höhere Wasserpreise, Senkung des Pro-Kopf-Konsums, Reparatur
       der Leitungen und Rohre, eine bessere Verwaltung. Bürgermeister Miguel
       Ángel Mancera soll 2015 einen langfristigen Plan auf den Weg bringen, um
       die Krise zu abzuwenden.
       
       Umweltingenieur Enrique Lomnitz hat eine alternative Lösung, die sofort
       greift. „In unserer Stadt regnet es bis zu acht Monate im Jahr, es fällt
       mehr Wasser, als wir verbrauchen können.“ Seine Firma Isla Urbana
       installiert Regenwasserauffangsysteme in den armen Vierteln der Hauptstadt.
       Eine Bank subventioniert die Anlagen, die Wartelisten sind lang.
       
       María Peña gehört zu den Glücklichen. Die ganze Familie hat sich im Hof
       versammelt und schaut zu, wie ihr Regenwasserauffangsystem aufgebaut wird.
       „Während der Regenzeit müsst ihr nicht mehr sparen“, erklärt der
       Handwerker. „Im Gegenteil, nutzt das Wasser, damit die Zisterne
       durchgespült wird.“ Ein Nachbar nickt und fragt: „Was muss ich machen, wenn
       ich auch so eine will?“
       
       1 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lisa Maria Hagen
       
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