# taz.de -- Entlassungen bei Gruner+Jahr: Im Haus der Hinterhalte
       
       > Gruner+Jahr entlässt 400 Mitarbeiter. Im Hintergrund stehen die
       > Verlagschefin Julia Jäkel und der Medienkonzern Bertelsmann. Wer ist
       > verantwortlich?
       
 (IMG) Bild: Weiß sie, wohin die Reise geht? Mitarbeiter beschreiben Verlagschefin Julia Jäkel als zögerlich.
       
       In Krisenzeiten wird Verantwortung in zwei Richtungen delegiert: nach unten
       und nach oben. Nach unten delegieren Unternehmen die Verantwortung, wenn es
       darum geht, harte Maßnahmen durchzusetzen. Am Ende der Kette steht
       beispielsweise ein Abteilungsleiter, der einem Angestellten seine Kündigung
       vermitteln muss.
       
       In seiner Begründung delegiert der Abteilungsleiter die Verantwortung
       wieder nach oben. Er sagt dann: Ich kann nicht anders, das kommt aus der
       Zentrale und die Zeiten sind schlecht. Jener, der gekündigt wird, steht
       einem Urwald an Verantwortlichkeiten gegenüber. Letztendlich weiß er gar
       nicht genau, auf wen er wütend sein kann.
       
       Dieses Spiel mit der verschobenen Verantwortung ist gerade bei Europas
       zweitgrößtem Verlagshaus zu beobachten, dem Hamburger Verlag Gruner+Jahr.
       
       An der Spitze der Verantwortung, beim Eigner Bertelsmann in der
       westfälischen Provinz, stehen Thomas Rabe, ein disziplinierter Mann der
       Finanzen. Und Liz Mohn, die Witwe des Bertelsmann-Patriarchen Reinhard
       Mohn.
       
       Was in Hamburg passiert, entscheiden Rabe und Mohn, spätestens seit der
       Komplettübernahme von Gruner+Jahr im Oktober. Aber jene 400 Mitarbeiter,
       die entlassen werden, die Textredakteure bei Geo, die Infografikerinnen bei
       Stern, die Redakteurinnen bei Brigitte, bekommen Mohn und Rabe nicht zu
       Gesicht. Sie stehen einem Chefredakteur gegenüber, der ihnen die Kündigung
       vermitteln muss. Und manchmal, selten, der Verlagsleitung.
       
       Über Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner+Jahr, seit April 2013 im
       Amt, sagt man in Hamburg, dass sie vor allem ins Amt gekommen sei, weil sie
       Bertelsmann versichert habe, den Verlag zu sanieren – mit allem, was
       dazugehört. Ihr Vorgänger wurde durch eine Intrige abgesetzt, bei der
       Bertelsmann im Hintergrund eine Rolle spielte. Aber weiß Jäkel, wohin die
       Reise geht?
       
       ## Zögerlich und unklar
       
       In den Augen vieler Beobachter macht sie oft den gegenteiligen Eindruck.
       Sie verunsichert den Verlag – statt ihn zu führen. „Mit ihr weiß man nie,
       woran man ist“, sagt ein Verlagsangestellter. „Sie lässt uns zappeln“, ein
       anderer.
       
       Im Haus erzählt man von Auftritten Jäkels, die geprägt sind von abwartendem
       Zögern, Ausweichen und der Aneinanderreihung leerer Worthülsen. Der Frage,
       ob die Kürzungen bei Gruner+Jahr auch ihr eigenes Gehalt betreffen, wich
       Jäkel bei einer Versammlung wortreich aus. Auch ihr Vorstandskollege Oliver
       Radtke wollte, bei anderer Gelegenheit, auf die Frage nach Kürzungen an der
       Verlagsspitze nicht antworten. Diese Frage stelle sich nicht, sagte Radtke.
       Die 75 Millionen, die eingespart werden sollen, werden nach unten
       weitergegeben.
       
       Vor gut einem Jahr kündigte Jäkel einen neuen Kurs für Gruner+Jahr an. Sie
       forderte „radikales Denken in Inhalten“. Gruner+Jahr solle zum „Haus der
       Inhalte“ umgebaut werden. „Damit wir als Inhalteanbieter in der digitalen
       Welt erfolgreich sind, werden wir unser Unternehmen erneuern“, sagte Jäkel
       damals. Der Satz vom „Haus der Inhalte“ hat inzwischen Kultstatus erreicht,
       unter negativen Vorzeichen. Die Belegschaft hat ihn umformuliert und auf
       Plakate gedruckt – aus dem „Haus der Inhalte“ wurde das „Haus der
       Hinterhalte“. Auf Twitter entstand das Hashtag #grunerundspar.
       
       Doch Gruner+Jahr ist von einem größeren Haus abhängig: von Bertelsmann,
       einem gigantischen Gemischtwarenladen, der Bücher, Zeitschriften und
       Dienstleistungen verkauft und von dem man sagt, er werde von Controllern
       regiert, Männern und Frauen der Zahlen also, die permanent nach
       Einsparungspotenzial fahnden. Für die Angestellten von Gruner+Jahr ist es
       eine Frage der Existenz: Welches Verständnis hat Bertelsmann von und für
       Journalismus?
       
       Es ist schwer, diese Frage zu beantworten. Auch deshalb, weil Bertelsmann,
       abseits geschönter PR, wenig kommuniziert. Aber vielleicht kommt man einer
       Antwort mit zwei Anekdoten näher.
       
       Im Jahr 2011 entschließt sich Liz Mohn, die starke Frau im Medienkonzern
       Bertelsmann, eine deutsche Journalistenschule zu besuchen. Sie will mit den
       angehenden Journalisten über Zukunft und Verantwortung diskutieren. Ihr
       Büro formuliert für ihre Visite nur eine Bedingung: Die Schüler dürfen Liz
       Mohn keine Fragen stellen. Der Termin verläuft, wie von Bertelsmann
       gewünscht, harmonisch: mit Präsentationen und freundlichen Nachfragen
       Mohns. Kritische Fragen bleiben aus.
       
       Ebenfalls im Jahr 2011 feiert Bertelsmann seinen 175-jährigen Geburtstag.
       Bei einem Festakt in Berlin sprechen Bundeskanzlerin Angela Merkel und
       EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso. Als Höhepunkt des Abends verkündet
       Bertelsmann, zur Unterstützung der weltweiten Pressefreiheit, eine
       internationale Journalistenschule zu gründen: die „International Academy of
       Journalism“. Dort sollen unter anderem Journalisten aus der Ukraine, Syrien
       und Liberia ausgebildet werden.
       
       Es findet sich ein engagierter Leiter, die Akademie nimmt ihre Arbeit in
       den Räumen von Gruner+Jahr in Hamburg auf. Drei Jahre nach der Gründung, im
       Mai 2014, gibt Bertelsmann bekannt, die Akademie zu schließen – ohne Angabe
       von Gründen. Der Schulleiter bittet darum, die Schule in Eigenregie
       weiterzuführen. Schließlich hat die Schule Verantwortung für Journalisten
       übernommen, die in ihren Heimatländern teilweise bedroht und verfolgt
       werden. Aber Bertelsmann verweigert den weiteren Betrieb. War die Schule
       nur ein PR-Gag, ein kurzweiliges Geschenk zum 175. Geburtstag? Bei
       Gruner+Jahr war das Klima schon schlecht, bevor Bertelsmann den Verlag
       komplett übernommen hat.
       
       ## Ein fremdes Haus
       
       Jenes Klima, auf das man bei Gruner+Jahr eigentlich seit Jahrzehnten stolz
       ist: hanseatisch und höflich, groß, aber familiär. Der Gründer der
       Henri-Nannen-Schule, Wolf Schneider, begrüßte neue Schüler über viele Jahre
       im „angenehmsten unter den großen“ und im „größten unter den angenehmen
       Verlagen“. Der größte Verlag sei er ja sowieso nicht mehr, und offenbar
       höre er gerade auf, der angenehmste zu sein, sagt Schneider diese Woche im
       Spiegel-Interview. Es sind nicht nur die Kündigungen, die das Klima
       ruinieren. Es ist auch die Art, wie die Verantwortlichen bei Gruner+Jahr
       mit der Krise umgehen. Angestellte, die schon lange im Verlag arbeiten,
       erkennen ihr Haus nicht wieder.
       
       Da wird, aus dem Nichts, im August der Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann
       gefeuert, ein kluger und unabhängiger Kopf. Er erfährt von seiner Kündigung
       von einem Medienjournalisten am Telefon – bevor ihn der Verlag informiert.
       Man ersetzt ihn durch den Chefredakteur der Gala, der sich schon Wochen vor
       Wichmanns Kündigung in Stellung gebracht haben soll.
       
       Da werden beim nach wie vor profitablen Stern ganze Abteilungen
       geschlossen. Weil es arbeitsrechtlich leichter ist, eine Abteilung zu
       schließen, als einzelne Angestellten betriebsbedingt zu kündigen.
       
       Da wird die hauseigene Journalistenschule gestutzt, statt 20 Schüler nimmt
       sie in Zukunft nur noch 16 auf.
       
       Da wird die gesamte Textredaktion von Brigitte gefeuert. Das Heft solle, so
       der Verlag, zukünftig „von einem agilen, kreativen und flexiblen
       Kompetenzteam ausgedacht und produziert werden“.
       
       Auf wen sollen die 400 Mitarbeiter wütend sein, die bei Gruner+Jahr
       entlassen werden? Sie stehen vor einem verschwiegenen Weltkonzern in
       Gütersloh, einer Verlagschefin, die sich wegduckt, und vor Chefredakteuren,
       denen das alles leid tut, aber die nicht anders können. Man kann denen, die
       entlassen werden, nur wünschen, dass ihre Wut einen Abnehmer findet. Das
       wird ein schwacher Trost für sie sein.
       
       9 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Dachsel
       
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