# taz.de -- Die Wahrheit: Tomate – dein Pimmel kann Karate
       
       > Gerade um Kinder und vor allem Mädchen zu mündigen Sprechern zu erziehen,
       > braucht es die Einübung der gepflegten Zote.
       
       Neulich fuhr ich ein paar Kindergartenkinder zu einem Geburtstag. Sie
       erzählten sich Kinderwitze. Carolin, das einzige Mädchen an Bord, hatte
       einen größeren Bruder, war ein Jahr älter und vielleicht auch durch ihre
       exponierte Stellung besonders laut und ausgelassen. Und dass ein
       Erwachsener zuhörte, schien sie nur noch mehr anzuspornen, als wollte sie
       mir mal richtig zeigen, was eine idiomatische Harke ist. Zunächst mal kamen
       die alten Sprüche an die Reihe.
       
       „Sag mal Tomate!“, forderte sie mich auf. „Tomate.“ – „Dein Pimmel kann
       Karate.“
       
       Die Jungs schütteten sich aus, lachten sich scheckig über diesen kleinen
       Exkurs in Koprolalie. Sie hatte jetzt Blut geleckt.
       
       „Sag mal Klettergerüst!“ – „Frag mal jemand anderen“, wollte ich ablenken,
       aber die Jungs johlten. „Neeein, du sollst!“ Also gut: „Klettergerüst.“ –
       „Du hast ’ne nackte Frau geküsst.“ Es gab jetzt kein Halten mehr. „Sag mal
       Sofa!“ – „Sofa.“ – „Du fliegst mippm Arschsofa nach Hannover.“
       
       Die Jungen rangen keuchend nach Luft, sie konnten nicht mehr. Und ich
       verstand sie gut. Mit einem „Sofa“ nach Hannover zu fliegen, ist schon
       nicht schlecht, aber mit einem veritablen „Arschsofa“, das hatte was und
       war nicht mehr zu toppen.
       
       „Sag mal Pizza!“ – „Pizza.“ – „Du fliegst mit ’ner Pizza nach Hanizza.“
       
       Ich mochte dieses „Hanizza“, diese kosmopolitische Liaison zwischen Côte
       d’Azur und Leinestrand, die das Wort stiftete. Aber das Gelächter der Jungs
       klang jetzt nur noch wie ein Echo des Vorigen. Es fehlte das leicht
       Ungehörige, das die Benimmkonventionen ein bisschen Herausfordernde. Kinder
       und Besoffene lieben das Burleske.
       
       Auch ich fühle mich – nicht nur, aber auch besoffen! – wohler in Milieus,
       in denen das Zotige zu den absolut legitimen, probaten Sprechweisen gehört,
       sofern es nicht Dauergast und das einzige lachenmachende Mittel ist.
       
       „Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd“, konstatierte einst
       der römische Komödiendichter Terenz. Bürgerliches Moralgetröte hat den
       meisten Menschen das ehemals unbefangene Verhältnis zu den eigenen
       uro-genitalen Vorgängen geraubt. Genauso verhält es sich bei der
       sprachlichen Ausgestaltung des Somatischen.
       
       So kam mir von einer Bekannten zu Ohren, dass sie ihren Kindern, wenn sie
       ein Schimpfwort verwendeten, wie weiland im Kaiserreich den Mund mit einem
       Waschlappen abwusch. Das ist das Milieu, in dem Worte wie
       „Scheibenkleister“ fallen. Der Gipfel einer tantig-arschverkniffenen
       Duckmäusersprache.
       
       Man muss die jungen Menschen doch zu mündigen Sprechern erziehen. Und im
       Sinne einer progressiv-geschlechtsemanzipatorischen Edukation – vor allem
       die Mädchen! Wie sollen sie die graduellen Abstufungen der Schmutzigkeit
       und Versautheit erkennen, wie lernen, die passenden Schimpfworte zur
       jeweiligen Situation zu verwenden, wenn man sie nicht entsprechend üben
       lässt? Wenn die ganze dampfende und stinkende Scheiße in den immergleichen
       Wurstdarm des bürgerlichen Verdrängungsjargons gepresst wird? Verdammte
       Hacke!
       
       21 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
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