# taz.de -- Spitzenpolitiker in Deutschland: Die Bräsigen
       
       > Wer in Deutschland politisch hoch hinauswill, zeigt sich am besten
       > handfest und öde. Oder wird es. Eloquenz und Glamour sind verpönt.
       
 (IMG) Bild: Andrea Nahles, dreifache Ikone der Bräsigkeit.
       
       Wo man hinblickt: Trends. Während im Journalismus die [1][Ich-Sucht]
       grassiert, scheint es in der Politik zu den Voraussetzungen für höchste
       Ämter zu gehören, ebenjenes „Ich“ an den Nagel zu hängen und sich mit einem
       Panzer der radikalen Durchschnittlichkeit zu rüsten – wenn das nicht noch
       zu hoch gegriffen ist.
       
       Denn wer etwa am Wahlabend in Thüringen das [2][Interview] von
       „Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga mit der womöglich auch zukünftigen
       Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht, verfolgte, konnte
       sich schon fragen: Ein Mensch, den ein einfaches Gespräch überfordert, der
       zu stresssediert ist, auf klare Fragen andere Antworten zu geben als die
       immergleiche vorgestanzte Formulierung – der also ist prädestiniert, ein
       nicht sonderlich wichtiges, aber eben doch: ein deutsches Bundesland zu
       regieren?
       
       Vor 15 Jahren habe ich ein Porträt über die damalige Bundestagsabgeordnete
       des Kreises Marburg-Biedenkopf, Brigitte Lange (SPD), geschrieben. Auf dem
       Weg zu ihrem Büro schloss sich uns eine lustige junge Frau an, die
       allerhand interessanten Tratsch und kluge Gemeinheiten über den Betrieb,
       dessen Teil sie zu sein schien, zum Besten gab. Das tat sie, bis Frau Lange
       sie darauf aufmerksam machte, dass ich nicht ihr Schwiegersohn, sondern ein
       Journalist sei.
       
       Die junge Frau lachte, löste die Situation mit Witz. Wer war denn das,
       fragte ich Brigitte Lange? Andrea Nahles, sagte sie. Und was macht die so?
       Die ist Bundestagsabgeordnete. Okay, dachte ich. Das geht also. Sich in dem
       grauenhaften (Nachwuchs-)Politbetrieb durchbeißen – und dabei so etwas wie
       Humor und Würde, etwas wie ein „Ich“ behalten.
       
       ## Der Preis für politischen Erfolg
       
       Es geht nicht. Denn aus der Nachwuchsabgeordneten, die in der Abiturzeitung
       „Hausfrau oder Bundeskanzlerin“ als Berufswunsch angegeben hatte, ist eine
       Ikone der Bräsigkeit geworden. Und ebendas scheint in Deutschland die
       Voraussetzung zu sein, um vom Organ des gesunden Volksempfindens die Zeile
       eingeschenkt zu bekommen: „Wie Andrea Nahles ihren Weg zur Kanzlerschaft
       plant“. Sozialministerin Nahles, hieß es vor ein paar Tagen in Bild, habe
       mit Rentenreform und Mindestlohn Themen abgeräumt, die vielen Genossen auf
       der Seele gelegen hätten. Nun sei sie qualifiziert, 2021 für die SPD als
       Kanzlerkandidatin anzutreten.
       
       Ob dem Verfasser des Artikels die SPD derzeit schlicht zu langweilig ist
       oder ob er Nahles bewusst aus der Deckung locken wollte, interessiert hier
       nicht. Als Ministerin macht Nahles bislang einen guten, einen für
       Sozialdemokraten ungewohnt guten Job – in dem Sinne, dass sie doch
       tatsächlich die Interessen ihrer Wählerschaft vertritt und durchsetzt.
       Ähnliches scheint für Lieberknecht zu gelten, die ja bei der Wahl in
       Thüringen Stimmen für die CDU hinzugewinnen konnte.
       
       ## Pippi-Langstrumpf-Lieder
       
       Aber ist der Preis für politischen Erfolg in Deutschland wirklich der, dass
       man im Fernsehen lobotomiert vor sich hin brabbeln muss? Oder vor dem
       Bundestag peinigend Pippi-Langstrumpf-Lieder singt und sich durchweg
       geriert, als sei man die handfeste Hausfrau von nebenan und nicht die
       Chefin des größten Bundesministeriums?
       
       Muss man mit jedem Wort, mit jeder Geste seinen radikalen Willen
       ausdrücken, sich in Stil und Inhalt nicht über den miesen Durchschnitt zu
       erheben? Und wer zwingt einen dazu, wenn nicht die Mehrheit in diesem Land,
       der Schönheit, Schnelligkeit, Eleganz und Eloquenz, vielleicht – Gott
       bewahre – sogar ein wenig Glamour umstandslos als arrogant und zwielichtig
       gelten: Guttenberg docet – und Edathy, klar.
       
       Während Forderungen nach einem Lohn, von dem man gut leben kann, nach einem
       funktionierenden Gesundheitssystem für alle, nach einer Rente, die ein
       würdiges Alter ermöglicht, während also noch jede banale soziale Forderung
       sich hierzulande als Populismus denunzieren lassen muss, wird der
       Populismus der volkstümelnden Hässlichkeit und bewussten Dummheit gar nicht
       als solcher wahrgenommen – über ihn jedenfalls ist die Oberbräse Christian
       Wulff einst nicht gestolpert.
       
       24 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Das-Ich-im-Journalismus/!146417/
 (DIR) [2] http://www.tagesschau.de/inland/ltwth-hochrechnung-104.html
       
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