# taz.de -- Goethe-Institut-Chef über Krisenregionen: „Ich war ein bisschen schockiert“
       
       > Ukraine, Russland, Arabellion: Johannes Ebert, der Generalsekretär des
       > Goethe-Instituts, will die Zivilgesellschaften im Ausland stärken.
       
 (IMG) Bild: Spaziergänger am Vorabend des Unabhängigkeitstages (24.8) auf dem Maidan in Ukraines Hauptstadt Kiew.
       
       taz: Herr Ebert, Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat verkündet, das
       deutsche Kulturengagement in Krisenländern wie der Ukraine stärken zu
       wollen. Welche Rolle kommt dabei den Goethe-Instituten zu? 
       
       Johannes Ebert: Eine wichtige. Es geht bei dem, was Frank-Walter Steinmeier
       sagt, auch um auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Der Bundestag hat in
       diesem Jahr bereits fünf Millionen Euro an Sondermitteln zur Verfügung
       gestellt, um in Weißrussland, Ukraine, Georgien oder Moldawien die
       Zivilgesellschaft zu stärken.
       
       Was heißt das für die Ukraine? 
       
       Wir werden dort unsere Aktivitäten auch personell verstärken. Das
       Goethe-Institut ist seit 1993 in Kiew und in der Ukraine tätig. Wir sind
       mit der dortigen Kultur- und Bildungsszene sehr gut vernetzt. Demnächst
       werden zwei weitere Mitarbeiter nach Kiew gehen. Wir wollen über Kultur-
       und Bildungsprojekte die demokratischen Akteure stärken.
       
       Was hat man sich darunter vorzustellen? 
       
       Die Diskussion fokussiert sich derzeit sehr stark auf das, was im Osten der
       Ukraine militärisch passiert. Kulturpolitisch schauen wir aber eher auf die
       langfristigen Prozesse. Seit dem Ende der Sowjetunion und der
       Unabhängigkeit der Ukraine 1991 befindet sich das Land in einem
       Transformationsprozess. Totalitäres Regime, Orange Revolution und jetzt die
       militärische Auseinandersetzung. Janukowitsch wurde ja erst im Februar
       vertrieben.
       
       Wer sind Ihre Partner in der Ukraine? 
       
       Kulturschaffende, staatliche Kultur- und Bildungsinstitutionen, aber auch
       freie Szenen. Wir helfen organisatorisch oder bei Diskussionen, wenn es um
       die zukünftige Entwicklung der Ukraine in Europa geht. Vor allem auch
       außerhalb Kiews in den Provinzen. Und daneben unterhalten wir natürlich
       unsere großen Sprachprogramme für Menschen, die Deutsch lernen wollen. Wir
       pflegen den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und der Ukraine,
       verstärkt auch die Fortbildung ukrainischer Journalisten in Deutschland.
       
       Herr Ebert, Sie sind so etwas wie ein Spezialist für Krisengebiete, waren
       viele Jahre in Kairo, Moskau und haben auch das Goethe-Institut in Kiew
       geleitet. Wie arbeitet man in Ländern, in denen die Presse- und
       Meinungsfreiheit oftmals eingeschränkt ist? 
       
       Ich stand von 1997 bis 2002 dem Goethe-Institut in Kiew vor, das war eine
       extrem spannende Zeit. Die Umbruchsituation, die Veränderung eines
       autoritären Staatswesen in eine eher demokratische Verfasstheit. Es gab
       eine unglaubliche Aufbruchstimmung, gerade unter den Jungen und
       Kulturleuten. Die entstehenden Mittelschichten waren unheimlich
       wissbegierig: was passiert im Ausland, in zeitgenössischer Kunst und Film.
       Wie später in Kairo konnte ich beobachten, wie groß die
       zivilgesellschaftliche Sogwirkung auch kleinerer Kulturprojekte und -räume
       auf die Gesellschaft sein kann.
       
       In der Ukraine könnte man aufgrund der Geschichte mit einer gewissen
       Reserviertheit gegenüber den Deutschen rechnen? 
       
       Ja. Ich habe das aber nicht erlebt. Erinnerungskultur ist ein wichtiges
       Thema in unseren Programmen. Wir haben beispielsweise zum ersten Mal die
       Fotoausstellung einer ukrainischen Fotografin über jüdisches Leben in der
       Ukraine gezeigt. Oder Diskussionen über nationale Identität veranstaltet,
       ein immer brennendes Thema in Umbruchländern. Die Debatte über ein
       Nationaldenkmal, das war ein hochpolitisches Thema damals. Auf welche
       Tradition beruft sich die unabhängige Ukraine: Kosakentum und Hetman-Zeit?
       Wenn man hier einen dialogischen Ansatz verfolgt und nicht paternalistisch
       daherkommt, kann man da schon Anregungen geben.
       
       Ihr kulturelles Engagement ist formal unabhängig von der deutschen Bundes-
       und Außenpolitik? 
       
       Nach 1945 wurde entschieden, die Bereiche Kultur und Bildung vor einer
       direkten Kontrolle des Staates im Sinne von Propaganda zu schützen. Das
       Goethe-Institut hat einen Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen Amt. Nach
       diesem sind wir für die operative Umsetzung der auswärtigen Kultur- und
       Bildungsarbeit zuständig. Wir vereinbaren mit dem Auswärtigen Amt
       „strategische Themen“, entlang denen wir uns bewegen, die wir aber
       unabhängig ausgestalten. Dies scheint mir Ausdruck von gelebter
       Zivilgesellschaft und wird im Ausland sehr positiv wahrgenommen.
       
       Bei den Kulturinstituten anderer Staaten läuft das anders? 
       
       Also bei Italienern oder Franzosen ist der Leiter des Kulturinstituts
       direkt in der Botschaft angesiedelt.
       
       Wann waren Sie selber das letzte Mal in der Ukraine? 
       
       Im April. Ich war ein bisschen schockiert. Ich ging mit Bekannten nachts
       über den Chreschtschatyk, die Hauptstraße. Da standen noch die Barrikaden.
       Überall waren Spuren der Kämpfe. Vor dem Hintergrund der Vorgänge im Osten,
       ist das bis heute sehr bedrückend. Dennoch war eine Hoffnung zu spüren,
       dass etwas Neues beginnt. Eine gewisse Aufbruchstimmung, an die wir
       anknüpfen müssen, um zu zeigen: Wir sind bei euch und finden es gut, dass
       ihr euch Richtung Europa positioniert habt.
       
       Sie kennen auch die russische Seite recht gut, waren von 2007 bis 2012 in
       Moskau und leiteten von dort die Arbeit der Goethe-Institute in den Staaten
       der früheren Sowjetunion. Wie haben Sie in dieser Phase Russlands
       neuerliche Hinwendung zum Autoritarismus erlebt? 
       
       Damals war der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine noch nicht so
       ausgeprägt. Es gab Diskussionen über den Preis für Gas, aber die jetzige
       Zuspitzung war nicht absehbar.
       
       Aber innenpolitisch ging es in Russland doch schon recht rau zu: Die
       Putin-Fraktion ließ Chodorkowski kriminalisieren und den Erdölkonzern Yukos
       zerschlagen. Russische Polizei und Justiz deckten die Stürmung unabhängiger
       Kunstausstellungen durch national-religiöse Chauvinisten. 
       
       Dennoch, das muss ich betonen, konnten wir als deutsches Kulturinstitut in
       Moskau frei arbeiten, auch wenn es diese negativen Anzeichen im
       Kulturbetrieb gab. 2003 wurde gegen die Ausstellung „Achtung Religion“
       vorgegangen, 2006 gegen „Verbotene Kunst“. Wir haben die Prozesse gegen
       Kurator Andrej Jerofejew oder Juri Samodurow, Direktor des
       Sacharow-Zentrums, vor Gericht verfolgt und beobachtet. Allein um zu
       zeigen: Wir sind da und bei euch. Dennoch konnten wir zwischen Deutschen
       und Russen weiterhin kritisch über Nationalsozialismus und Stalinismus
       diskutieren und blieben in unserer Arbeit relativ unangetastet. 2012 wurde
       jedoch ein neues NGO-Gesetz erlassen, das vor allem unseren russischen
       Partnern das Leben erschwert hat. Dazu kamen noch andere Gesetze und die
       Debatte um die Homosexualität. Das Schwulen- und Lesbenfilmfestival in
       Petersburg haben wir unterstützt, es konnte aber nicht mehr wie geplant
       stattfinden.
       
       Wäre es in einem solchen Zusammenhang ratsam, künstlerische Großprojekte
       wie jetzt die „Manifesta“ in St. Petersburg abzusagen? Kultur- und
       Sportereignisse dienen Diktatoren doch häufig zur Aufhübschung ihrer
       Politik. 
       
       Also ich halte bei Kultur und Bildung wenig von Boykotten. Man braucht
       langfristig Kanäle der Verständigung, solche, die nicht gleich
       hochpolitisch sind. Soweit ich weiß, sind bei der „Manifesta“ auch
       künstlerisch kritische Positionen vertreten, auch welche, die mit
       Homosexualität zu tun haben. Wäre hier Druck ausgeübt worden, hätte man
       allerdings reagieren müssen.
       
       Wie groß ist die Schere im Kopf, die Selbstzensur, dass man im Vorfeld
       schon alles so glättet, dass nichts Kritisches passieren kann? 
       
       Also, das Goethe-Institut lotet schon die Grenzen aus, geht an diese ran,
       sonst könnten wir keine produktiven Diskussionen auslösen.
       
       Das Kairoer Goethe-Institut, welches Sie als Verantwortlicher für die
       Region Naher Osten von 2002 bis 2007 leiteten, hat in Ägypten die
       Demokratiebewegung vom Tahrirplatz unterstützt. Es gab im Institut sogar
       die „Tahrir-Lounge“. Anders als amerikanische NGOs oder die
       Konrad-Adenauer-Stiftung haben Sie aber keinen Ärger bekommen. Woran liegt
       das? 
       
       Die Adenauerstiftung hatte bedauerlicherweise in Ägypten Probleme, auch in
       Moskau. Die Goethe-Institute arbeiten in der Regel unter einem
       Kulturabkommen. Und das Kulturabkommen regelt, was ein Goethe-Institut
       machen kann. Ein Großteil davon ist ja auch die Spracharbeit, also
       Deutschkurse im Ausland. Wir fokussieren uns jetzt hier sehr stark auf
       explizit gesellschaftspolitische Dinge. Weniger auf Tanztheater oder Musik,
       die wir auch in diese Länder bringen oder dort gemeinsam produzieren
       lassen. Die Förderung aktueller Kunst erscheint oftmals unverdächtig, kann
       aber selbst bereits sehr politisch sein.
       
       Aber es gibt auch Grenzen, die Sie akzeptieren? 
       
       Ja, genauso wie unsere Vertragspartner das tun. Unter Mubarak durften wir
       zum Beispiel im Goethe-Institut Filme zeigen, die in Ägypten sonst der
       Zensur unterliegen. Das Kulturinstitut hat eine gewisse Freiraumfunktion.
       
       8 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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