# taz.de -- Bürgerwehr in Eisenhüttenstadt: Heimat ist Heimat
       
       > Viele Eisenhüttenstädter haben Angst – vor Polen, Asylbewerbern und der
       > Mafia. Einige Männer wollen etwas tun. Auf Patrouille mit der Bürgerwehr.
       
 (IMG) Bild: „Und man siehet die im Lichte. / Die im Dunkeln sieht man nicht.“ (Bertolt Brecht)
       
       EISENHÜTTENSTADT taz | Kurz vor Mitternacht in Eisenhüttenstadt. Die
       Lindenallee, die Magistrale der Stadt und gleichzeitig ihr Zentrum, ist
       schon lange menschenleer. Hier passiert nichts, scheint es. Früher hieß die
       Lindenallee Leninallee. Sie war eine symbolträchtige Verbindung zwischen
       der Arbeiterstadt und dem Stahlwerk. Heute ist sie nur eine Verbindung. Es
       gibt viele Linden hier.
       
       Vor der Bäckerei „Dreißig“ hält ein Auto an, dann noch eines, wenig später
       ein drittes. Sechs junge Männer steigen aus. „Guckt bei den Garagen und
       Autohäusern, auch im Gebüsch. Aber lasst euch kein blaues Auge schlagen“,
       sagt Benjamin Rudolph und verteilt Walkie-Talkies an die fünf anderen. Sie
       teilen sich in Trupp 1 bis 3 auf. Von ihren Autos und T-Shirts strahlen
       reflektierende Buchstaben: „Bürgerwehr Eisenhüttenstadt“.
       
       Immer um Mitternacht beginnt die Patrouille. Benjamin Rudolph und ein
       Bekannter von ihm sind im Trupp 1. Sie kennen sich vom Rettungsdienst, wo
       beide arbeiten. Sie steigen ins Auto und fahren durch Eisenhüttenstadt, mit
       ihren Taschenlampen leuchten sie in dunkle Ecken. Sie fahren vorbei an den
       Plakaten für die Brandenburger Landtagswahlen. Dietmar Woidke von der SPD,
       Ministerpräsident des Landes, blickt auf ihnen lächelnd in die Ferne, neben
       kleinen Mädchen, die Seifenblasen pusten. AfD und NPD zeigen keine
       Gesichter, schon gar keine Seifenblasen. Sie werben mit provokanten
       Sprüchen, spielen mit den Sorgen der Eisenhüttenstädter.
       
       Denn die Bewohner dieser kleinen, ruhigen Stadt haben Angst. Davor, dass
       sie noch kleiner wird und mehr Junge wegziehen. Davor, dass leer stehende
       Häuser abgerissen oder von Asylbewerbern besiedelt werden. Asylbewerber,
       meinen viele hier, „genießen Immunität“ – ein Ausdruck, der sich nur schwer
       in den brummig-pragmatischen Dialekt der Eisenhüttenstädter einfügt. Aber
       vor allem ist es die Grenznähe zu Polen, die sie stört. Die Polen brechen
       ihre Datschen auf, sagen sie, und stehlen ihre Autos. Wegen der Einbrüche
       sei es schwer, eine Versicherung für das Haus zu bekommen.
       
       ## Der Wunsch nach Polizei
       
       In der Tat werden nirgendwo in Deutschland mehr Autos gestohlen als in der
       Region Frankfurt (Oder). Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen
       steigt von Jahr zu Jahr. Und Brandenburg ist dünn besiedelt, das Geld für
       mehr Polizisten fehlt. „Wir würden uns wünschen, dass mehr Polizisten
       hierherkommen, mehr kontrollieren und auch mal knallhart durchgreifen“,
       sagt Rudolph. Dann lacht er. „Das ist hier doch kein Supermarkt.“
       
       Benjamin Rudolph ist 25, ein gut gelaunter junger Mann. Nachdem ihm sein
       Motorrad, „die jute Enduro“, geklaut wurde, sagt er, habe er etwas
       unternehmen müssen. Nicht einmal 24 Stunden hat sie ihm gehört. Zusammen
       mit seinem Freund Sebastian Knof organisiert er nun die nächtlichen
       Patrouillen der Bürgerwehr. Auch Knof wurde sein Moped, eine Schwalbe,
       gestohlen. Er würde sich gern eine neue kaufen, traut sich aber nicht.
       „Weil ich weiß, irgendwann steht sie wieder auf der Liste.“ Knof ist auch
       25 und arbeitet in der Papierfabrik. Er ist ernster als sein Freund. Wenn
       er etwas sagt, senkt er seinen Blick. Ein bisschen sieht er aus wie der
       Boxer Axel Schulz.
       
       Mit „der Liste“ meint Knof eine Auftragsliste von Polen: Die Mafiabosse
       bestellen, die Fahrer holen ab. Sie wissen genau, wo was steht, spekulieren
       Rudolph und Knof. Wenn Knof von Polen spricht, meint er: „Wolgadeutsche,
       Russen, Polen, Litauer, auch Deutsche. Da ist alles dabei.“ Rudolph sagt
       einmal sogar „polnische Mitbürger“. Die Freunde drücken sich vorsichtig
       aus. Weil man sonst schnell in der „rechten Ecke“ lande.
       
       Die Bürgerwehr hat sich inzwischen in der Stadt verteilt. Trupp 2 gibt per
       Funk seine Position durch: „Wir sind in Fürstenberg. Alles ruhig hier.“
       „Gut, Jungs, haltet die Augen offen“, antwortet Rudolph. Viele
       Eisenhüttenstädter fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Die
       Sprüche und Gesichter auf den Wahlplakaten interessieren sie nicht. Sie
       stört, dass immer mehr Brücken über die Oder gebaut werden. Die Bürger
       frage dabei keiner. „Wo sollen wir denn hin mit unserem Anliegen? Hier vor
       der Stadt protestieren, wie wir’s schon mal hatten? 89, die Mauer muss weg
       und so was? Aber hier muss wieder eine her. Hier muss eine Grenze her!“,
       sagt Knof.
       
       ## Viele auf Facebook aktiv
       
       Im Frühjahr 2014 gründeten Rudolph, Knof und ein paar andere die
       Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Eisenhüttenstadt“. Derzeit zählt sie 581
       Mitglieder. Das hat Bürgermeisterin Dagmar Püschel alarmiert. Nach einem
       Aufruf zum nächtlichen Streifegehen stand die Polizei vor Rudolphs Tür.
       „Die hatte Angst, dass es hier eine riesengroße Revolte gibt und plötzlich
       300 Mann auf der Straße stehen“, sagt Knof, „aber wir waren anfangs die
       beiden Einzigen, die nachts unterwegs waren.“ Die anderen schrieben in der
       Facebook-Gruppe. Auf die wurden bald Polizei und Medien aufmerksam. Das
       Tattoo einer der Gründer der Gruppe sorgte für Diskussionen: „Final
       Solution“ – Endlösung – steht in Frakturschrift auf seinen
       Schulterblättern. Nun hat er sich aus der Gruppe zurückgezogen, sie wurde
       ihm zu politisch korrekt.
       
       In den Diskussionen in der Gruppe wurde gegen „Asylanten“, „Zigeunerpack“
       und „Klauschweine“ gehetzt. Oft mahnten Mitglieder, dass nicht jedes Auto
       mit polnischem Kennzeichen automatisch verdächtig sei. Dazu kommentierte
       jemand: „Alle die nachts oder am späten Abend in unsere Seitengassen
       einbiegen sind potentielle Täter. Was machen die um diese Uhrzeit in
       unseren Straßen?“ Das Wir ist groß in Eisenhüttenstadt, noch größer ist das
       Unser.
       
       Wenn nur geschrieben oder geredet wird – das mögen Knof und Rudolph gar
       nicht. Das machen Politiker. Und die Leute auf Facebook. „Wir versuchen,
       die Gruppe sauber zu halten. Wenn sie sich mal wieder auslassen wollen über
       Asylanten, dann wird das einfach gelöscht. Kommentarlos“, sagt Rudolph
       genervt. „Die Asylanten sind nun mal da, da kann die Bürgerwehr gar nichts
       machen.“ Das Gehetze rücke sie in ein falsches Licht. „Wir stehen ja mit
       unserem Namen da.“ Auch sein Chef ist in der Facebook-Gruppe.
       
       ## Neue Freunde
       
       Das Funkgerät knistert. „Wir haben zwei Leute mit Taschenlampen gesehen.
       Dann sind sie weggelaufen“, gibt Trupp 3 durch. „Habt ihr die Polizei
       gerufen?“, fragt Rudolph. „Positiv.“ Rudolph gibt Gas, dreht die Musik auf.
       Aber am Autohaus ist niemand zu sehen. Wenig später kommt die Polizei. Sie
       grüßen sich. Die Bürgerwehr hat mit der Stadt über eine
       Sicherheitspartnerschaft verhandelt. Rudolph und Knof haben sich aber
       dagegen entschieden. Zu viel Bürokratie. Am Autohaus prüfen sie die
       Nummernschilder. „Vielleicht ist ja an ihnen gekratzt worden“. Dann laufen
       sie durch das Gebüsch, leuchten mit ihren Taschenlampen. „Die können sich
       überall versteckt haben“, sagt Rudolph. „Ein Nachtsichtgerät wäre jetzt
       cool“, antwortet sein Partner. Später wird Rudolph einen Einsatzbericht in
       die Facebook-Gruppe schreiben: „Trotz intensiver Suche, zusammen mit der
       durch uns alarmierten Polizei, blieben diese Personen verschwunden.“
       
       Die drei Trupps versammeln sich an der Aral-Tankstelle in der
       Karl-Marx-Allee. Sechs Männer zwischen 18 und Mitte 30. Die einen arbeiten
       in Schichten, die anderen haben Urlaub, einer hat Schulferien. „Wir treffen
       uns da immer auf einen Kaffee und ’ne Bocki“, sagt Rudolph. Mittlerweile
       ist es fast drei Uhr. Alle sind müde. Trupp 1 dreht noch eine Runde durch
       die Stadt, folgt einem Auto auf einer auffälligen Route, bezieht Stellung
       am Ortseingang. Aber die Nacht bleibt ruhig. „Es macht auch Spaß. Man
       bewegt sich, kommt an die frische Luft, lernt vielleicht neue Freunde
       kennen“, sagt Rudolph auf dem Nachhauseweg, „wir wollen das aber nicht ewig
       machen. Eigentlich ist das nicht unsere Aufgabe.“
       
       Seitdem sie nachts regelmäßig unterwegs sind, sei nichts mehr passiert,
       sagen Knof und Rudolph – jetzt vor den Wahlen zeige aber auch die Polizei
       mehr Präsenz. Die beiden machen sich Sorgen um ihre Stadt. Wegziehen, wie
       viele andere es tun, kommt für sie nicht infrage. Rudolph zweifelt kurz:
       „Man ist ja noch jung, eigentlich ist die Welt ja groß, ne?“ Knof wartet
       ab, dann sagt er: „Nur weil geklaut wird oder weil mir die Stadt nicht mehr
       gefällt, ziehe ich nicht weg.“ Seiner Meinung nach müsse da mehr passieren.
       Was das sein könnte, darüber schweigt er. Heimat ist nun mal Heimat.
       
       4 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Viktoria Morasch
       
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