# taz.de -- Neue Allianzen in Nahost: Die unerwünschte Geschichte
       
       > Die Terrormiliz IS rüttelt das westliche Freund-Feind-Schema
       > durcheinander. Aus Schurken werden Partner, aus Terroristen Brüder im
       > Kampfe.
       
 (IMG) Bild: Im Nahen Osten wird Geschichte geschrieben
       
       KAIRO taz | Kämpfen demnächst iranische Revolutionsgarden mit
       US-Luftunterstützung im Irak gegen die Dschihadisten des Islamischen
       Staates? Das ist kein abwegiges Szenario mehr.
       
       Erstmals hatten mehrere hundert iranische Truppen vor zwei Wochen die
       irakische Grenze kurzzeitig überschritten, um an der Seite der kurdischen
       Peschmerga gegen die Dschihadisten der Organisation des Islamischen Staates
       zu kämpfen, berichtete die arabische Fernsehstation al-Dschasira und berief
       sich auf kurdische Sicherheitskreise. Gemeinsam soll man versucht haben,
       die Stadt Jalaula zurückzuerobern, die die irakische Armee vor Wochen
       kampflos den Dschihadisten überlassen hatte, und die nur 25 Kilometer von
       der iranischen Grenze entfernt liegt.
       
       Damit können ein Jahrzehnt US-Politik in der Region und die neokonservative
       Mär vom „Neuen Nahen Osten“ offiziell als gescheitert erklärt werden. Weder
       hat man erfolgreich einen stabilen Irak geschaffen noch den Iran politisch
       isoliert.
       
       Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Auch mit der größten
       militärischen Interventionsmacht haben es die USA im letzten Jahrzehnt
       nicht geschafft, die Kräfteverhältnisse der Region in ihrem Sinne zu
       verändern. Jetzt holen die regionalen und lokalen Kräfteverhältnisse sie
       ein.
       
       ## Keine Frage von ein paar Wochen
       
       Mehr als ein Jahrzehnt nachdem Amerikas Neokonservative den Nahen Osten mit
       militärischer Stärke und politischem Druck in ihrem Sinne formen wollten,
       hat sich die Region in einer Weise verändert, die nicht nur die USA,
       sondern auch Europa zwingt, ihre gesamte regionale Strategie und ihre
       Bündnispartner neu zu überdenken.
       
       Den Dschihadisten des Islamischen Staates im Irak und in Syrien Einhalt zu
       gebieten, ist nicht eine Frage von ein paar Wochen. Und das Ganze ist kein
       exotisches Problem, fern von Europa. Die ausländischen Kämpfer des IS,
       werden nicht nur in die Region, sondern auch nach Europa zurückkehren und
       werden dort zu einem massiven Sicherheitsproblem, das al-Kaida in den
       Schatten stellen könnte.
       
       Da weder die USA noch Europa bereit sind, Bodentruppen ins irakische Feld
       zu werfen, muss die Arbeit von anderen verrichtet werden. Nun werden die
       kurdischen Peschmerga in den letzten Wochen gerne medial als das große
       Bollwerk gegen den IS aufgebaut und neuerdings auch massiv vom Ausland
       bewaffnet.
       
       Aber sie sind alles andere als ein Zaubermittel gegen den IS – zumal die
       kurdischen Ambitionen für die Rückeroberung der Orte jenseits der
       kurdischen Gebiete im Nordirak begrenzt sein dürften. Den Peschmergas geht
       es in allererster Linie darum, ihr Gebiet abzusichern. Sie werden nicht den
       Kopf für den Rest des Iraks hinhalten, der ihnen nie etwas gegeben hat.
       
       ## Die PKK hat sich als Gegenmacht profiliert
       
       Und selbst innerhalb der gefeierten Kurdenfront, finden sich für den Westen
       Partner, die man bisher gemieden hat und die von der Türkei, der EU und den
       USA als Terroristen gebrandmarkt werden. Gerade im Westen der Front, im
       türkisch-syrischen Grenzdreieck, sind es die Kämpfer der aus der Türkei
       stammenden kurdischen PKK, die sich gegen den IS als militärisch potenteste
       Gegenmacht profiliert haben.
       
       Jesidische und christliche Flüchtlinge ergehen sich in ihren Lagern im
       sicheren kurdischen Gebiet in Lobeshymnen auf die PKK und deren syrischen
       Partner PYD, die sie aus den Händen des IS gerettet haben.
       
       So ist es kein Wunder, dass die PKK die deutsche Regierung und andere
       westliche Staaten aufgefordert hat, Waffen auch an die PKK-Kämpfer in
       Syrien und Irak zu liefern. Der IS könne nur geschlagen werden, wenn „jene
       Kräfte mit Waffen ausgestattet werden, die am effektivsten gegen die
       Terrorgruppe vorgehen“, meint der Vize des politischen Arms der PKK Cemil
       Bayik dazu.
       
       Im Nordwesten des Iraks kämpft also eine von Europa als „Terroristen“
       gebrandmarkte Gruppierung am effektivsten gegen den IS, im Nordosten sind
       es neuerdings entsandte Soldaten des „Schurkenstaates“ Iran, die den Kurden
       dort unter die Arme greifen. Das westliche Freund-Feind-Schema wird
       gründlich durcheinandergerüttelt.
       
       ## Zwei mögliche Partner in Syrien
       
       Und auch in Syrien müssen Entscheidungen getroffen werden. Die Hochburg des
       IS liegt in der Provinz Raqqa. Die Grenze zwischen Syrien und dem Irak ist
       de facto nicht mehr existent. Um den IS effektiv militärisch zu bekämpfen,
       muss auch ihr syrisches Rückzugsgebiet miteinkalkuliert werden.
       
       Dafür gäbe es zwei mögliche Partner: das syrische Regime oder moderatere
       syrische Rebellengruppen, die schon jetzt gegen den IS kämpfen. Dem
       syrischen Regime wird immer wieder vorgeworfen, der Geburtshelfer der
       IS-Dschihadisten zu sein, als Gegengewicht zu den anderen Rebellen und um
       zu zeigen, dass die Opposition nur aus radikalen heiligen Kriegern besteht,
       und so die Rebellenbewegung international zu diskreditieren. So werden die
       Gebiete, die der IS kontrolliert, weniger vom Regime bombardiert. Das
       Regime Assad kauft sogar Öl von Quellen, die die radikalen Islamisten
       kontrollieren. Dieses doppelte Spiel macht Damaskus kaum zu einem Partner.
       Obwohl durchaus vorstellbar wäre, dass Assad in Sachen IS versuchen wird,
       mit dem Westen ins Geschäft zu kommen, im Sinne seiner Machterhaltung.
       
       Auf der anderen Seite sind die syrischen Rebellen tatsächlich von radikalen
       Islamisten unterwandert worden. Aber seit letztem Sommer kämpfen andere
       Rebellengruppen zunehmend auch gegen den IS. Doch um die Rebellen gegen den
       IS zu unterstützen, müssen sich die USA und Europa in den politischen und
       militärischen Dschungel der syrischen Rebellen begeben. Man hat die Wahl
       mit dem IS-Geburtshelfer Assad oder mit den vollkommen unübersichtlichen
       Rebellengruppen zusammenzuarbeiten.
       
       ## Gemeinsam mit den Saddam-Kadern
       
       Und dann kommen zum Schluss die Sunniten im Irak. Deren Stämme und die
       ehemaligen militärischen und politischen Kader Saddams, die in der
       sunnitischen Gesellschaft noch fest verankert sind, werden als Schlüssel
       gesehen, den IS-Dschihadisten den sunnitischen Teppich unter den Füßen
       wegzuziehen. Nun gehören die alten Saddam-Kader sicherlich auch nicht zu
       den natürlichen Bündnispartnern des Westens. Erneut soll da einer, der
       einst zum Schurken erklärt wurde, aus der Patsche helfen.
       
       Schon jetzt wird der Regierung in Bagdad vom Westen vorgeworfen, dass deren
       radikale De-Baathifizierungs-Politik, die Reinigung aller politischen
       Institutionen von Vertretern der alten Saddam-Regierungspartei, ein Fehler
       gewesen sei. Derweil war dergleichen einst auch offizielle
       US-Besatzungs-Politik.
       
       Und die sunnitischen Stämme? Nach Jahren ihres blutigen Widerstandes gegen
       die US-Besatzung und ihres politischen Ausschlusses durch die
       Zentralregierung in Bagdad wird es nicht einfach werden, deren Vertrauen zu
       gewinnen. Selbst das eine Mal, als die sunnitischen Stämme mit den
       US-Truppen und der Regierung in Bagdad zusammengearbeitet hatten, um ihre
       Gebiete von Al-Kaida-Gruppen zu säubern, hatte man sie politisch und
       wirtschaftlich wieder vergessen, als der Job erledigt war. Warum sollen sie
       nun erneut ein Bündnis mit Bagdad und dem Westen eingehen, von dem sie
       schon einmal so bitter enttäuscht wurden?
       
       Dazu kommt, dass die anderen Bündnispartner im Kampf gegen den IS – seien
       es die Kurden, die mit den Sunniten seit Jahren um Gebiete ringen, oder die
       von Schiiten dominierte offizielle irakische Armee oder die Unterstützung
       aus dem Iran – sie alle standen stets den sunnitischen Ambitionen im Irak
       entgegen. Keine guten Voraussetzungen für ein Kampfbündnis.
       
       ## Die Karten werden neu gemischt
       
       Und während die US-Luftschläge gegen IS-Stellungen allerorten gefeiert
       werden, als entscheidender Faktor, das Blatt im Irak militärisch zu wenden,
       steckt in ihnen auch eine enorme Gefahr.
       
       So ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns Meldungen erreichen werden von
       einer bombardierten Hochzeit in einem sunnitischen Dorf, die mit einer
       Ansammlung von IS-Kämpfern verwechselt wurde. Kollateralschäden der zivilen
       sunnitischen Bevölkerung sind im Preis des Bombardements mit inbegriffen.
       Da ist ganz schnell „zusammengebombt“, was man eigentlich politisch
       auseinanderdividieren wollte.
       
       Die Karten nahöstlicher Allianzen werden also ganz neu gemischt. Schurken
       werden zu Partnern, deklarierte Terrororganisationen zu Mitkämpfern und der
       syrische Sumpf, den man zu ignorieren hoffte, muss nun doch begehbar
       gemacht werden. Und all das, während man darauf setzt, die irakischen
       Sunniten auf seine Seite zu ziehen, die man all die Jahre hat in der Sonne
       stehenlassen. Im Nahen Osten wird gerade Geschichte geschrieben: es ist
       nicht die, die man sich in den USA und in Europa für die Region vorgestellt
       hat.
       
       2 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
       
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