# taz.de -- Ehemaliger NSA-Mitarbeiter: „Überwachung ist neue Staatsreligion“
       
       > Thomas Drake war Kryptoanalytiker für die US-Regierung. Dann wurde er
       > kaltgestellt. Nun will ihn der NSA-Ausschuss in Berlin befragen.
       
 (IMG) Bild: Washington, D.C.: Thomas Drake auf einer Anti-NSA-Demo
       
       WASHINGTON dpa | Für Thomas Drake war es, als hätte einer die Copy-Taste
       eines Alptraums gedrückt, der ihn bis heute in dunklen Nächten verfolgt. Er
       beginnt mit dem Blick aus dem Fenster seines Hauses in einer properen
       amerikanischen Kleinstadtsiedlung im Bundesstaat Maryland. Eine
       Wagenkolonne fährt vor. FBI-Ermittler stapfen durch den Vorgarten. Als sie
       über die Schwelle seines Hauses treten, gehört Drakes bisheriges Leben der
       Vergangenheit an. Der Patriot ist zum Staatsfeind Nummer Eins geworden.
       
       Als im vergangenen Sommer die Hatz auf Whistleblower Edward Snowden
       losging, gab es wohl kaum jemanden, der wie Drake wusste, wie sich das
       anfühlte. Denn der ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes
       NSA hatte lange vor Snowden sein Schweigen gebrochen. Im Namen der
       Verfassung. Und dafür büßt er bis heute.
       
       „Wir alle sind dem Staat ausgesetzt. Wir verlieren unsere Bürgerrechte“,
       sagt der hagere große Mann. Seine scharfe Stimme passt nicht zu dem leicht
       gebückten Gang des 57-Jährigen. Er wirkt erschöpft und gleichzeitig immer
       auf dem Sprung. Wie ein Radar fährt sein Blick die Umgebung ab, während er
       gleichzeitig den Fokus nicht verliert.
       
       So wie damals, als Drake als junger Pilot der Air Force in
       Spionageflugzeugen des amerikanischen Geheimdienstes NSA aus der Luft die
       DDR überwachte. Der Auftrag des ausgebildeten Kryptoanalytikers – der
       Geheimdaten entschlüsselt – war es, die Funksprüche des Warschauer Pakts
       abzufangen. Drake sah die Mauer und blickte fassungslos auf den Abhörstaat
       dahinter. Der vierte Zusatzartikel der US-Verfassung, der die Privatsphäre
       der Bürger schützt, ist sein oberstes Gebot.
       
       ## Verfassung gebrochen
       
       Auch als er als Kryptolinguist die Leitung einer Auswertungsabteilung der
       NSA übernimmt und elektronische Daten entschlüsselt, ändert sich das nicht.
       Sein erster Arbeitstag ist ausgerechnet der 11. September 2001. „Der Tag
       der Anschläge war der Tag, an dem die NSA begann, ihre Augen und Ohren auf
       die eigenen Bürger zu richten“, weiß Drake heute. Mit Deckung aus dem
       Weißen Haus habe der Geheimdienst durch den „Patriot Act“ die Verfassung
       gebrochen und begonnen, alles und jeden zu durchleuchten.
       
       Drake spielte nicht mit. Er gehörte zu einer Gruppe von Mitarbeitern, die
       eines der geheimen Spionageprogramme publik machten. Das Projekt
       „Trailblazer“ war ein gigantischer Datenstaubsauger. Abhörspezialisten
       hatten dafür IT-Anlagen in ganz Amerika installiert. Drake kam glimpflich
       davon und wurde wegen Geheimnisverrats zu einer Bewährungsstrafe
       verurteilt. Der „Trailblazer“ war gestorben – doch seine Nachfolger
       übertrafen das Spähprogramm noch, wie heute bekannt ist.
       
       Die Praktiken des Geheimdienstes überträfen den Abhörskandal in der
       demokratischen Parteizentrale unter Präsident Richard Nixon in den 1970er
       Jahren, meint Drake: „Viel schlimmer als Watergate“, seien sie. „Und ich
       glaube, das Schlimmste kommt noch, denn Teile der Regierung verheimlichen,
       was sie tun.“ Wenn er auf das Land blickt, für das sein Herz nach wie vor
       schlägt, fühlt Drake sich an Nazi-Deutschland oder den Stasi-Staat der DDR
       erinnert, gesteht er.
       
       ## Drake hat alles verloren
       
       „Das ist nicht die Regierung, auf die ich einen Verteidigungseid geleistet
       habe“, sagt der enttäuschte Patriot. „Massenüberwachung ist die neue
       Staatsreligion: Du darfst sie nicht hinterfragen, darfst nicht abweichen –
       oder du wirst exkommuniziert.“ Drake hat alles verloren, was er liebte:
       Seinen Job, sein Haus, die meisten Freunde und sein ganzes Vermögen. Heute
       arbeitet der hoch spezialisierte Computerexperte für ein paar Dollar
       Stundenlohn in einem Apple Store in Bethesda, einem Vorort Washingtons.
       
       Die Beschimpfungen und Morddrohungen sind verhallt. Dank des
       Snowden-Skandals ist seine Expertise wieder gefragt. Doch Drake ist
       desillusioniert: „Wir bewegen uns rückwärts“, sorgt sich der Ex-NSA-Spion,
       der zum Kriminellen wurde. Der Geheimdienstexperte Drake soll am Donnerstag
       vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen.
       
       30 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antje Passenheim
       
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