# taz.de -- Brasilien vor dem WM-Auftaktspiel: Sie sollen zaubern
       
       > Brasilien will das extravagante Spiel sehen, allen voran das von Neymar.
       > Trainer Scolari soll dafür sorgen, dass all die Kunst auch zum Ziel
       > führt.
       
 (IMG) Bild: Sind sie sich über die Richtung einig? Trainer Scolari und Neymar.
       
       SÃO PAULO taz | Unterschiedlicher könnten sie kaum sein: Neymar und Luis
       Felipe Scolari. Und doch bindet die beiden eines derzeit eng aneinander:
       Geht es um die Hoffnungen, welche die Brasilianer bei dieser WM auf ihre
       Seleção richten, fallen ihre Namen mit Abstand am häufigsten. Auf ihren
       Schultern lastet vor dem Auftakt am Donnerstagabend gegen Kroatien (22 Uhr,
       ZDF) der größte Druck.
       
       Der 22-jährige Neymar steht wie kein anderer Fußballer seines Landes für
       das schöne, extravagante Spiel, auf das Jogo Bonito, auf das die
       Brasilianer Urheberrechte geltend machen könnten. Auch außerhalb
       Südamerikas ist „schön spielen“ und „brasilianisch spielen“ zu einem
       Begriff verschmolzen.
       
       Die Brasilianer indes messen ihre Seleção an diesem historisch gewachsenen
       Ideal. Und Neymar kann diesen hohen Anspruch mit seinen zahlreichen Finten
       und seiner bezaubernden Ballkontrolle bei höchstem Tempo am ehesten
       einlösen. Auf seinen instinktiven Laufwegen und auf seiner individuellen
       Klasse fußen ein Großteil der Hoffnungen, dass Brasilien seinen sechsten
       WM-Titel gewinnen wird.
       
       Der 65 Jahre alte Trainer Felipe Scolari hingegen steht für pragmatischen
       Ergebnisfußball („Man spielt, um zu gewinnen.“). Anderthalb Jahre vor der
       WM 2002 übernahm er schon einmal die Seleção. Ein hoffnungsloses Ensemble
       von begabten Individualisten, das der gestrenge Mann mit dem Schnauzbart
       disziplinierte, strukturierte und mit taktischem Geschick zum WM-Titel
       führte. Zur Überraschung aller reaktivierte er damals die
       Dreierabwehrkette.
       
       Ein ähnliches Kunststück traut man ihm auch dieses Mal wieder zu. Die
       Ausgangslage ist durchaus vergleichbar. Denn vor gut einem Jahr noch zählte
       man selbst in Brasilien das eigene Team nicht zum engsten
       WM-Favoritenkreis. Erst der Gewinn des Confederation Cup im vergangenen
       Jahr hat die Stimmungslage grundlegend geändert. „Der Gigant ist erwacht“,
       sangen die Zuschauer im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro beseelt, als
       die Seleção den Weltmeister Spanien mit 3:0 bezwang.
       
       ## Vermeintlicher Sicherheitsfanatiker
       
       Es war für den Gastgeber der einzige Testlauf unter Wettbewerbsbedingungen.
       Und bei diesem Erweckungsturnier fiel auf, dass man mit den stereotypen
       Vorstellungen, die sich auch damals auf Neymar und Scolari fokussierten,
       nur ein sehr unscharfes Bild von der Seleção erhält. Denn durch die fein
       abgestimmten Positionswechsel in der Offensive mit Fred und Hulk überzeugte
       Neymar ebenso wie bei den gemeinsamen frühen und kein Risiko scheuenden
       Attacken auf den ballführenden Gegenspieler.
       
       Würde er noch mehr Wege nach hinten auf sich nehmen, könnte er kaum
       mannschaftsdienlicher sein. Der vermeintliche Sicherheitsfanatiker Felipe
       Scolari wiederum überraschte gegen Spanien mit einem hohen Extrempressing,
       das er aufgrund des hohen Kräfteaufwands intervallartig vortragen ließ.
       
       Ein Wagnis, bei dem mehr von den individuellen Qualitäten seiner
       Innenverteidiger Thiago Silva und David Luiz abhängig ist als von den
       Geniestreichen eines Neymar. Ihre kompromisslose Zweikampfführung und
       brillante Spieleröffnung ist sowieso von großer Bedeutung, weil die beiden
       kongenialen Außenverteidiger Marcelo und Dani Alves in jedem Spiel mit
       einem Vorwärtsdrang aufwarten, der zwar einerseits das Mittelfeld häufig
       rasend schnell überbrückt, andererseits hinten zwangsläufig große Freiräume
       entstehen lässt.
       
       Während des Confed-Cups hat Scolari diese Offenheit anscheinend bewusst
       zugelassen, bei der WM wird er das Risiko gewiss deutlich minimieren
       wollen. Zumal Torhüter Julio Cesar als Unsicherheitsfaktor gilt. Dass er
       von seinem englischen Klub Queens Park Rangers nur noch in die kanadische
       Liga (zum FC Toronto) vermittelt werden konnte, dürfte Kroatien und Co.
       zusätzlich motivieren, ihn so oft wie möglich zu prüfen. Ungewiss ist auch,
       ob Neymar an seine letztjährigen Confed-Cup-Glanzleistungen anknüpfen kann.
       Beim FC Barcelona fiel er bei weitem nicht so auf, wie sich das viele
       erhofft hatten.
       
       Die großen Lücken, die sich beim Confed-Cup bei den Brasilianern zuweilen
       auftaten, sind auch Scolari nicht entgangen. Vermutlich spricht er auch
       deshalb seither verstärkt von der Bedeutung der Fitness für das anstehende
       Turnier. Seine Spieler sollen das Feld mit noch mehr Laufarbeit noch besser
       abdichten. Den damit verbundenen Arbeits- und Anpassungswillen hat Scolari
       seinen Altstars Kaka (32) und Ronaldinho (34) nicht mehr zugetraut.
       
       Stattdessen setzt er auf einen für Brasilien ungewöhnlich unerfahrenen
       WM-Kader. Nur Alves und Torhüter Julio Cesar haben bei der WM 2010 in
       Südafrika gespielt. Abgesehen von Neymar und der famosen Abwehrformation
       ist eigentlich jeder Spieler gleichwertig ersetzbar. Es ist nicht der ganz
       große Glamour, den man mit den sonstigen Offensivkräften der Seleção
       verbindet, die Qualitätsdichte ist dennoch hoch. Sollte etwa der dynamische
       Hulk den Ball allzu oft verstolpern, könnte ihn der technisch sehr
       beschlagene 21-jährige Bernard ersetzen und zu einer der großen
       Entdeckungen des Turniers werden.
       
       Wenn allerdings abgerechnet wird – am Ende des Turniers –, werden zwei
       Namen zuvorderst auf dem Prüfstand stehen. Die Frage wird sein, was Neymar
       und Felipe Scolari zum Erfolg oder Misserfolg beigetragen haben.
       
       12 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
       
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