# taz.de -- Der andere Kindesmissbrauch: Denkt doch an die Kinder!
       
       > Mit dem Verweis auf das Wohl des Nachwuchses können Politiker fast jede
       > Debatte gewinnen. Aber worum geht es dabei wirklich?
       
 (IMG) Bild: Nicht nur dieses Kind wird wie eine Prinzessin behandelt: ihre Königliche Hoheit Estelle von Schweden.
       
       Angela Merkel schlingert, das einzige Mal an diesem Septemberabend 2013 in
       der ARD-Wahlkampfarena, doch der homosexuelle Studiogast aus Worpswede will
       nicht locker lassen. Warum denn Kinder in gleichgeschlechtlichen
       Lebenspartnerschaften nicht genauso gut aufwachsen können?
       
       „Ich denke das ist ja auch eine kontroverse Diskussion, es geht um die
       Frage des Kindeswohls natürlich in solchen Beziehungen, und...“ Höhnisches
       Gelächter aus dem Publikum unterbricht sie. Sie wendet sich in Richtung des
       Lachens und erwidert, fast patzig: „Ja, na um die geht es immer, die Frage
       des Kindeswohls!“ Merkel will sagen: Die Diskussion ist beendet.
       
       Es ist eine Strategie, von der Politiker wissen, wie gut sie funktioniert.
       Grünenchef Cem Özdemir fordert, man solle die Debatte über die
       Muttersprache „vom Kindeswohl ausgehend führen“. Sigmar Gabriel
       argumentiert gegen Atomstrom, weil dabei „die Gefahren für unsere Kinder“
       im Boden vergraben würden. Betreuungsgeld, Beschneidungsverbot, härteres
       Strafrecht – immer geht es um das Wohl der Kinder.
       
       Es ist eine Wunderwaffe, die für ganz unterschiedliche Zwecke einsetzbar
       ist. Gerade wird in Großbritannien wieder darüber diskutiert, das System
       der Internetfilter für Pornos auch auf andere Bereiche zu übertragen. Ende
       des vergangenen Jahres hatten große Provider auf Regierungsdruck Filter
       eingeführt, die Seiten automatisch sperren. Wer die Filter für seinen
       Anschluss abschalten möchte, muss sich schriftlich melden. Begründung,
       natürlich: der Schutz von Kindern.
       
       ## Politisch instrumentalisiertes Kindeswohl
       
       In der Titelgeschichte der [1][sonntaz vom 3./4. Mai 2014] gehen die
       taz-Autoren Nina Apin und Arno Frank diesem Argumentationsmuster auf dem
       Grund. Sie analysieren wie das Kindeswohl politisch instrumentalisiert wird
       und wie es tatsächlich darum bestellt ist.
       
       „Das Kind ist in doppelter Hinsicht ein Götze“, schreiben sie. „Einerseits
       als anbetungswürdiger kleiner Engel, andererseits als dämonischer falscher
       Gott. So verläuft eine unsichtbare Grenze zwischen Menschen, die zu Kindern
       eine dauerhafte Fürsorgebeziehung eingegangen sind - und Menschen, die eine
       solche Beziehung als Zumutung empfinden, weil sie mit spürbaren
       Einschränkungen verbunden ist und damit dem individuellen Glücksversprechen
       zuwiderläuft.“
       
       ## Veehrt und verprügelt
       
       Und Nina Apin und Arno Frank schauen auf die andere Seite einer
       Gesellschaft, die das Kind zum Heiligtum erklärt. Etwa bei einem Besuch bei
       der Berliner Rechtsmedizinerin Saskia Etzold, die tagtäglich misshandelte
       Kinder untersucht. „Ich habe das Gefühl, in einem Land zu leben, in dem
       Elternrechte wichtiger sind als Kinderrechte“, sagt Etzold.
       Kindesmisshandlungen würden kollektiv verleugnet, der Staat versage als
       oberster Wächter des Kindeswohls. 200.000 Kinder würden nach konservativen
       Schätzungen jährlich in Deutschland misshandelt, mit großer
       Wahrscheinlichkeit mehr.
       
       Wie passt das zusammen – die Lobpreisung des Kindeswohls und seine
       Missachtung, wenn es darauf ankommt? Oder gehört es gar – indirekt –
       zusammen? Ist es ein Spiegel der Gesellschaft, wenn Eltern sich einerseits
       immer mehr um die Sicherheit ihrer Kinder sorgen, der Nachwuchs aber dann –
       sicher domestiziert auf dem von allen Gefahren befreiten Spielplatz –
       emotional verarmt? Und warum wirkt das Wohl der Kinder als geradezu
       panzerbrechendes Argument? 
       
       Diskutieren Sie mit!
       
       Die Titelgeschichte „Kleine Engel, falsche Götter“ lesen Sie in der [2][taz
       am Wochenende vom 3./4. Mai 2014].
       
       2 May 2014
       
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