# taz.de -- Kommentar Gewalt gegen Frauen: Gefühl und Geld
       
       > Gewalt gegen Frauen ist keine Ausnahme, sie findet in Europa und auch in
       > Deutschland massenhaft statt. Und fast niemand möchte es wahrhaben.
       
 (IMG) Bild: Tanzende Proteste: 14. Februar vor dem Justizgebäude in Brüssel – im Rahmen der „One Billion Rising“-Kampagne gegen Gewalt an Frauen und Kindern.
       
       Das war dann doch mehr als gedacht: Jede dritte Frau in der EU hat seit
       ihrer Jugend körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Fünf Prozent davon
       sind vergewaltigt worden. Gewalt gegen Frauen – ist das nicht das
       Uralt-Thema der verstaubten Frauenbewegung? Sicher. Doch dank der EU ist es
       nun kein Nischenthema mehr und wieder brandaktuell: Alle großen Medien
       berichteten prominent von der bislang größten Studie, für die 42.000 Frauen
       im Alter von 18 bis 74 Jahren in Europa befragt wurden. Das Ergebnis ist
       bitter.
       
       In Deutschland berichten 35 Prozent davon, Gewalt erfahren zu haben. Das
       übersteigt den Durchschnitt knapp. Die niedrigste Rate wurde mit 20 Prozent
       in Polen ermittelt, die höchste in Dänemark mit 52 Prozent. Den
       ForscherInnen zufolge weist das aber nicht unbedingt darauf hin, dass es in
       diesen Ländern mehr Übergriffe gebe – es würden jedoch mehr zur Anzeige
       gebracht. Über erfahrene Gewalt zu sprechen, ist schwer, denn noch immer
       greift fast automatisch der Mechanismus der Schuldumkehr. So richtet sich
       die erste Frage zumeist an die attackierten Frauen: Hast du provoziert?
       
       70 bis 80 Prozent der Täter kommen aus dem sozialen Umfeld: aus der
       Familie, dem Freundes- oder Bekanntenkreis. Anders als die bürgerliche
       Moral es erzählt, werden Frauen und Mädchen nur äußerst selten vom
       „Schwarzen Mann“ auf der Straße bedroht. Stattdessen nutzen die fraglichen
       Täter die persönliche Beziehung, um der Frau ihren Willen aufzuzwingen. Je
       emanzipierter eine Gesellschaft ist, desto weniger tabuisiert sie die
       stattfindenden Übergriffe gegen Frauen.
       
       Sie adressiert stattdessen die Aggressoren: Hast du geschupst,
       festgehalten, geschlagen, geschrien, sie gegen ihren Willen penetriert? Sie
       akzeptiert das Stereotyp vom Mann als triebgesteuert nicht. Denn bei Gewalt
       geht es eben nicht um Erotik, sondern um Macht und ihren Mißbrauch – also
       um eine kriminelle Handlung.
       
       ## Kultur des Schweigens
       
       Die deutsche Rechtslage ist vergleichsweise gut. Nicht fehlende Gesetze,
       sondern die Kultur des Schweigens und des Wegsehens ermöglicht es, dass
       Gewalt so selten thematisiert wird. Diese Kultur hat eine lange Geschichte,
       die direkt in unsere Gegenwart hineinreicht. So wurde erst 1997
       Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang von
       Stetten verkündete 1995 repräsentativ für weite Teile der Republik: „Zum
       ehelichen Leben gehört auch, die Unlust des Partners zu überwinden. Der
       Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen – manche Männer
       sind einfach rabiater.“ Da sind wir 20 Jahre später rhetorisch schon
       weiter, kein Politiker würde heute so offene Worte finden.
       
       Doch die Sexismusdebatte, die sich vor einem Jahr anlässlich des Übergriffs
       durch den FDP-Politiker Rainer Brüderle entspann, offenbarte, dass es noch
       immer keine Selbstverständlichkeit ist, auch nur zwischen Flirt und Anmache
       unterscheiden zu können. Auch dieses Nichtwissen ist Teil einer Kultur, die
       Gewalt gegen Frauen vertuscht – und damit unter Hand duldet. Die Zahlen der
       Studie widerlegen die Annahme, in Deutschland sei körperliche
       Selbstbestimmung, also Gleichberechtigung längst Fakt. Das Gleiche gilt für
       Europa.
       
       ## Empathie und Wut
       
       Was tun? Es bleibt folgender Dreiklang: Wütend werden, solidarisch sein und
       Geld in die Hand nehmen. Denn ein Kulturwandel ist gratis nicht zu haben
       und er braucht die Energie der Gefühle. Die Linken und Liberalen haben sich
       in den letzten Jahren allzu sehr auf den Bereich der Gesetze und auf
       Debatten um Rechte zurückgezogen – und da ja auch einiges bewirkt. Doch das
       reicht nicht. Es braucht die Emotionen, dazu gehören Empathie und auch die
       Wut. Gleichzeitig sind Töpfe vonnöten, die Studien und andere Aufklärungs-
       und Betreuungsmaßnahmen finanzieren.
       
       Die EU beginnt nun ihren Wahlkampf. Das ist eine prima Gelegenheit,
       Politikerinnen und, ja, auch Politiker, danach zu fragen, was sie konkret
       gegen die Gewaltepidemie unternehmen wollen und wieviel Geld ihnen der
       Schutz von Frauen über Betroffenheit hinaus wert ist.
       
       7 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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