# taz.de -- Eurokolumne: Europa der zwei Geschwindigkeiten
       
       > Die Eurozone muss schneller zusammenwachsen als der Rest der EU, fordern
       > zwei Thinktanks. Kann so die Krise beendet werden?
       
 (IMG) Bild: Noch ist auf dem Zwei-Euro-Stück ganz Europa zu sehen.
       
       Überschattet von den Ereignissen in der Ukraine, wagten sich in den letzten
       Tagen deutsche und französische Intellektuelle mit einem mutigen – und
       ungewöhnlichen – Vorstoß in die europäische Reformdebatte: Die Pariser
       „Groupe Eiffel“ (ein Dutzend französische Politiker, Staatsbeamte und
       Denker) hatte auf Vorschläge der „Glienicker Gruppe“ (das deutsche
       Äquivalent) geantwortet. Das Papier schaffte es in die New York Times – und
       beherrscht derzeit das Geflüster in den Brüsseler Korridoren von
       EU-Parlament und Kommission.
       
       Beide Gruppen fordern – anders als der politisch korrekte Mainstream, der
       immer eine Teilung der Gemeinschaft in Eurogruppe und EU 28 vermeidet und
       gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten argumentiert – eine Vertiefung
       der politischen, fiskalischen und wirtschaftspolitischen Integration auf
       Euro-Ebene. Der erhöhte Integrationsbedarf sei legitim, so das Manifest der
       Eiffel-Gruppe, da diese Länder auf das Instrument der Wechselkurse
       verzichtet hätten.
       
       Die Eurozone aber bedürfe eines qualitativen Integrationssprungs und einer
       positiven Vision, damit Europa in der Bevölkerung nicht mehr im besten Fall
       nur geduldet, im schlimmsten sogar als leidvoll erfahren werde. Beide
       Papiere fordern daher eine umfassende europäische Agenda mit Bankenunion,
       einem eigenen Budget, eigenen Steuern, einer Art europäischer
       Arbeitslosenversicherung, Investitionen in transnationale Netze sowie
       Infrastruktur, eine Vertiefung des Binnenmarktes. Und, und, und.
       
       ## Die Autoren haben recht!
       
       Das Verdienst der beiden Papiere ist es, eine unbequeme Wahrheit
       ausgesprochen zu haben, die seit Langem bekannt ist: So, wie die Eurozone
       derzeit konstruiert ist, kann sie auf Dauer nicht funktionieren. Das hat
       man schon 1992, bei Abfassung des Maastrichter Vertrages, gewusst, aber
       gepflegt darüber geschwiegen.
       
       Statt diese politische Lebenslüge aber bei den Hörnern zu packen, hat sich
       vor allem die deutsche Diskussion angesichts der Eurokrise in eine
       (verfassungs)rechtliche Diskussion über die Rettung von Krisenstaaten
       geflüchtet, um im Biedermann-Stil zu sagen: Eine Währungs- mit einer
       Fiskalunion, die habe man schließlich ja nie gewollt. Die Eurokrise ist
       darum trotz des augenblicklichen Burgfriedens längst nicht vorbei. Ihre
       grundsätzlichen Webfehler hat das Vertragsgestrüpp, das die europäischen
       Räte seit 2009 produziert haben, nicht behoben – also keine Währungs- ohne
       politische Union, keine Währungs- ohne Fiskalunion.
       
       Insofern rühren Eiffel- und Glienicker Papier an den Tabus ihrer jeweiligen
       Länder: der Nichtbeistandsklausel für Deutschland, der Schaffung
       supranationaler Strukturen für Frankreich. Die Eurozone braucht eine
       Regierung und eine neugestaltete Legislative verschränkt mit nationalen
       Parlamenten, die die Exekutive kontrolliert. Das ist die Kernaussage beider
       Papiere – und das ist ebenso simpel wie richtig.
       
       Alles gar nicht so revolutionär neu: Das Schäuble-Lamers Papier, das
       bereits 1994 – damals ebenfalls heftig umstritten – ein „Kerneuropa“
       forderte, hatte im Kern den gleichen Gedanken: Wer sein Geld zusammenlegt,
       braucht eine gemeinsame Regierung und ein gemeinsames starkes Parlament,
       das diese Regierung kontrolliert.
       
       Dies berührt den – heiklen – Punkt der schon von Wolfgang Schäuble
       vorgebrachten Forderung nach einem Eurozonenparlament. Das französische
       Papier ist hier übrigens vorsichtiger und spricht von einer Versammlung der
       Abgeordneten der Eurozone, die aus dem derzeitigen EP hervorgeht.
       
       Wer Europa und die Eurozone von der Technokratie (oder „Kreditokratie“,
       nach Mario Monti) und dem daraus resultierenden Populismus befreien will,
       der hat keine andere Wahl, als sich den Vorschlägen für eine veritable
       europäische Demokratie, die dem Montesquieu’schen Prinzip der
       Gewaltenteilung entspricht, ernsthaft zu stellen. Es ist Zeit, darüber
       nachzudenken, wie eine solche europäische Demokratie ausgestaltet werden
       kann, nicht die Zeit, Euro-Abwicklungsszenarien zu entwickeln.
       
       Natürlich gibt es erste Stimmen aus Großbritannien, die die Papiere
       kritisch kommentieren. Und natürlich kommt es jetzt auf Deutschland und
       Frankreich an. Nur sie haben die kritische Masse, um mal wieder Motor der
       Integration zu sein.
       
       11 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Guérot
       
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