# taz.de -- Ukrainer verlassen die Krim: Eine Salve Warnschüsse
       
       > Die russischen Streitkräfte dominieren die Krim. Viele Zivilisten
       > verlassen die Halbinsel. Erste Familien sind in Kiew untergekommen.
       
 (IMG) Bild: Bewaffnete Einheiten ohne Rangabzeichen buddeln sich ein
       
       SIMFEROPOL/KIEW taz | Die Lage auf der Krim bleibt angespannt. Erstmals
       haben russische Soldaten am Dienstagmorgen in der besetzten Luftwaffenbasis
       Belbek bei Sewastopol ukrainische Soldaten mit Warnschüssen
       eingeschüchtert. Die 300 ukrainischen Militärangehörigen wollten
       unbewaffnet zu ihrem Stützpunkt und forderten die Besatzer auf, sie wieder
       an die Arbeit zu lassen. Rund ein Dutzend russische Soldaten feuerten in
       die Luft. Sie drohten, scharf zu schießen, wenn sich die Ukrainer weiter
       näherten.
       
       Russland verstärkt zudem Aktivitäten auf dem Schwarzen Meer. Nach Angaben
       türkischer Medien haben am Dienstag zwei russische Kriegsschiffe den
       Bosporus mit Ziel Sewastopol passiert. Am Nachmittag meldete die
       ukrainische Küstenwache, dass die russische Marine die fünf Kilometer
       breite Straße von Kertsch zwischen der Krim und Russland blockiert habe.
       
       In Perewalnoje nahe Simferopol, wo die 36. Brigade der ukrainischen
       Streitkräfte stationiert ist, entspannte sich die Lage am Dienstag
       hingegen. Am Sonntag waren in Bataillonsstärke russische Spezialeinheiten
       aufgezogen, hatten Einfahrten blockiert und die Soldaten aufgefordert, die
       Waffen zu strecken.
       
       Nach Gesprächen mit den Belagerern räumten diese zumindest die Einfahrten
       frei. Bewaffnete Kämpfer haben das Gelände jedoch weiterhin umstellt.
       Einheimische, vor allem Ehefrauen und Verwandte der ukrainischen Soldaten,
       versuchen mit ihrer Anwesenheit Provokationen zu vermeiden.
       
       Wegen der unsicheren Lage verlassen immer mehr Einwohner die Krim. Bereits
       seit Tagen bieten Ukrainer aus Kiew und dem Westen des Landes Menschen, die
       vor dem drohenden Krieg von der Krim flüchten, Platz in ihren Wohnungen und
       Häusern an. In sozialen Netzwerken gibt es reichliche Angebote,
       „Krimflüchtlinge“ ohne jegliches Entgelt aufzunehmen.
       
       Dabei hilft es auch, dass viele Menschen immer noch in allen Teilen der
       früheren Sowjetunion Verwandte und Freunde haben. Einer hat eine Cousine in
       Kasan, ein anderer einen Onkel auf der Insel Sachalin im fernen Osten. Die
       Kiewerin Natalja hat eine Schwester auf der Krim. Nun ist Irina mit ihrer
       Tochter in Kiew.
       
       „Ich habe keine Angst um mich selbst“, sagt Irina. „Doch ich habe Angst um
       meine kleine Tochter. Elvira ist ein sehr sensibles Kind. Ich will nicht,
       dass sie bewaffnete Soldaten auf der Krim sieht.“ Ihre Tochter frage sie
       immer wieder, wer diese Leute sind?
       
       ## Flucht zur Schwester nach Kiew
       
       „Ich will auch nicht, dass sie die Gespräche meines Mannes mithört, der
       geschworen hat, als Krimtatare – falls nötig – bis aufs Blut zu kämpfen.“
       Auf die Polizei könne man sich nicht mehr verlassen. „Die überlassen alles
       dem Schicksal.“ Sie habe sich deswegen dazu entschieden, vorläufig die Krim
       zu verlassen und bei ihrer Schwester in Kiew zu bleiben.
       
       Irina ist nicht die Einzige, viele haben die Krim bereits verlassen. Nur
       ihr Mann wollte unter keinen Umständen fort. „Er sagt, seine Familie habe
       schon einmal die Krim verlassen müssen wegen der Russen. Zurück auf die
       Krim konnten sie erst viele Jahrzehnte später.“
       
       Irina erzählt aber aber auch Beruhigendes. Derzeit sei es noch nicht
       bedrohlich auf der Krim. Wer nur durch die Stadt spaziere, merke gar nichts
       von dem Konflikt. Nur die bewaffneten Uniformierten ohne Hoheitszeichen
       sind überall im Zentrum anzutreffen. Zwar verhalten sie sich ruhig. „Aber
       was, wenn sie Befehl zum Schießen bekommen?“, fragt Irina. „Sie werden
       keine Wahl haben.“
       
       ## Die meisten verfluchen den Krieg
       
       Irina schätzt, dass es nur wenige radikal eingestellte Menschen auf beiden
       Seiten gebe. Es seien allerdings meist diejenigen, die sich vor die
       Fernsehkameras postieren. Die meisten versuchten einfach nur, ein ruhiges
       Leben zu führen, und verfluchten den Krieg.
       
       Viele machten sich außerdem Sorgen um die Urlaubssaison. Der Tourismus ist
       die Haupteinnahmequelle. Sonst gibt es kaum Arbeit, und die Saison ist
       kurz. Wer es nicht schaffe, bis zum September genügend Geld zu verdienen,
       werde einen schweren Winter vor sich haben, glaubt Irina. Doch die
       Hoffnungen schwinden. Russische Soldaten hätten schon kundgetan, dass sie
       für länger auf der Krim bleiben werden, erzählt Irina.
       
       „Um die Krim wurde immer schon gekämpft“, sinniert sie. „Aber ich habe nie
       gedacht, dass ich und meine Kinder einen Krieg erleben werden. Es ist
       traurig, das erkennen zu müssen.“
       
       Mitarbeit: Thomas Gerlach / Übersetzung: Ljuba Naminova
       
       4 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tatjana Kurmanova
 (DIR) Andrej Nesterko
       
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