# taz.de -- Debatte Ukraine: Was machen die Oligarchen?
       
       > Das Land ist bankrott und zutiefst korrupt. So wird jede finanzielle
       > Hilfe von außen schwierig. Viel zu privatisieren gibt es in der Ukraine
       > aber nicht mehr.
       
 (IMG) Bild: Milliardär: Oligarch Rinat Achmetow erfreut das Volk in Donezk vorzugsweise mit Fußballspielen.
       
       Der Ukraine droht der finanzielle Kollaps. 35 Milliarden Euro bräuchte das
       Land in den nächsten beiden Jahren, einen großen Teil davon in diesem Jahr.
       Wie viel es werden wird, ist nicht klar. Denn die staatliche
       Finanzverwaltung zeichnete sich bisher – anders als die Privatunternehmen –
       durch kreative Buchführung aus.
       
       Viele sind dafür, das Land einfach mit Dollars oder Euros zu fluten. Unter
       den gegenwärtigen Umständen würde das meiste jedoch in privaten Taschen
       verschwinden und im Ausland auf Immobilienmärkten oder in Finanzkasinos
       wiederauftauchen. Der Internationale Währungsfonds wird daher die üblichen
       Auflagen machen.
       
       Erstens eine erhebliche Absenkung der Staatsausgaben, also Entlassungen,
       Lohnsenkungen, Rentenkürzungen und verminderte Fürsorge. Zweitens wird der
       IWF eine Steigerung der staatlichen Einnahmen fordern, was in der Ukraine
       vor allem eine Anhebung der Gaspreise für private Haushalte bedeuten würde.
       Für eine Bevölkerung, die gerade eine Revolution gemacht hat und voller
       Hoffnung nach Westeuropa schaut, wäre das sehr ernüchternd.
       
       Das durchschnittliche Lohnniveau liegt bei einem Zehntel des deutschen, das
       Preisniveau von Konsumgütern entspricht dem mitteleuropäischen. Gekürzt
       werden kann und wird bereits bei der Aufstandsbekämpfung. Die Armee soll
       langfristig in die Nato integriert werden, an deren Auslandseinsätzen sie
       vielfach schon beteiligt ist. Da sie eine Wehrpflichtigenarmee ist, wurde
       sie wegen Unzuverlässigkeit jetzt auch nicht gegen den Aufstand eingesetzt.
       
       ## Entmutigende alltägliche Korruptionserfahrungen
       
       Der dritte Block westlicher Forderungen dürfte eine Reform des politischen
       Systems und eine Verminderung der Korruption sein. Das war neben dem
       ukrainischen Nationalgefühl auch eines der Hauptanliegen der Opposition.
       Was die Menschen besonders in Rage brachte, waren die entmutigenden
       alltäglichen Korruptionserfahrungen auf den unteren und mittleren Ebenen.
       
       Die große Korruption ist wirtschaftlich folgenreicher, jedoch weniger
       leicht zu erkennen. Zudem gelingt es den reichen Oligarchen mit privaten
       Spenden für populäre Projekte immer wieder, Dankbarkeit zu erzeugen. Der
       mächtige „Schokoladenkönig“ Petro Poroschenko, der mit seinem Fernsehsender
       Fünfter Kanal schon bei der Orangen Revolution die Opposition unterstützt
       hatte, versprach auf dem Maidan, das Fußballstadion von Kiew auf eigene
       Kosten sanieren zu lassen. Die Fans, ein besonders nachdrückliches Segment
       unter den Rebellen, waren entzückt.
       
       Die ukrainischen Oligarchen, also jene, die bei den wilden und teilweise
       kriminellen Privatisierungen der neunziger Jahre ungemein reich wurden,
       sind politisch einflussreicher als ihre russischen Kollegen. Die Verfolgung
       Chodorkowskis in Russland entlarvte nicht nur die Justiz, sie machte auch
       den anderen russischen Oligarchen klar, dass sie sich Putin politisch zu
       fügen hatten. In der Ukraine ist das anders. Hier beherrschen die
       Oligarchen weitgehend die Parteien; sie wechseln aber auch leicht das
       Lager, sobald es ihnen sinnvoll erscheint. Sie sind pragmatisch.
       
       Der reichste dieser Oligarchen ist Rinat Achmetow aus dem ostukrainischen
       Donezk. Er hat Janukowitsch bis fast zum Schluss unterstützt. Nach
       Schätzung von Forbes Inc. ist Achmetow 16 Milliarden US-Dollar schwer. Als
       Herr über Kohle und Stahl im ostukrainischen Donbass ist er an guten
       Beziehungen zu Russland interessiert, denn dorthin geht sein Hauptexport.
       In der EU braucht man seine Kohle und seinen Stahl nicht.
       
       ## Oligarchen wollen auch zur EZ gute Beziehungen
       
       Gleichwohl ist Achmetow weder russischer Separatist noch Feind der EU – so
       wenig, wie Janukowitsch es war. Ein Anschluss der Ostukraine an Russland
       würde ihn der direkten Konkurrenz russischer Oligarchen und der Kontrolle
       Putins aussetzen. Außerdem ist seine Holding längst diversifiziert und
       produziert auch Waren, die sich auf dem europäischen Markt verkaufen
       lassen. Es geht ihm und den anderen Oligarchen also um gute Beziehungen
       sowohl zu Russland als auch zur EU.
       
       Nationalismus für welche Nation auch immer ist etwas für die Bevölkerung,
       die sich mit Aufrufen, Symbolen und Gesängen steuern lässt und manchmal
       rebelliert. Die Oligarchen selbst sind davon überwiegend frei. Auch die
       Sprachprobleme in der Ukraine betreffen sie nicht. Sie können zumeist
       Russisch und Ukrainisch, und die Sprache Europas und des Weltmarkts ist
       ohnehin Englisch, auch das beherrschen sie.
       
       Überdies gehört die Ukraine in vielerlei Hinsicht längst zur EU: Die
       Kooperation mit russischen und weißrussischen Geschäftsleuten läuft auf den
       legalen und illegalen Märkten der EU ausgezeichnet. Über teils offene,
       teils verschachtelte, teils verdeckte Beteiligungen ist man überall in der
       EU wirtschaftlich aktiv, wobei als Bankplätze Zypern, Liechtenstein,
       Österreich und Großbritannien eine gewisse Präferenz genießen.
       
       Die Oligarchen sind innenpolitisch an Stabilität interessiert und
       unterhalten außenpolitisch nach Ost und West rationale Beziehungen. Sie
       würden russische Separatisten oder radikale ukrainische Nationalisten nur
       dann unterstützen, wenn die sich politisch durchsetzen können.
       
       ## Staatliche Investitionsgelder gegen Zuwendungen
       
       Das ukrainische Problem ist vielmehr, dass die Oligarchen ebenso wie die
       von ihnen finanzierte politische Klasse keinen Unterschied machen zwischen
       dem, was für die Firma, und dem, was für das Land gut ist. Das Hauptziel
       ihrer politischen Einflussnahme ist es, an staatliche Investitionsgelder
       heranzukommen.
       
       Dafür lassen sie staatlichen oder politischen Entscheidungsträgern
       Zuwendungen zukommen. Diese wiederum sind gerne bereit, die gewünschten
       Dienstleistungen zu erbringen, um ihr privates Einkommen zu mehren.
       Politiker wird man in der Ukraine zumeist genau deswegen.
       
       Das beweist auch das Parlament: Von den 450 Abgeordneten sind nach
       Schätzungen etwa 50 tatsächlich „unabhängig“, also weder selbst Oligarchen
       noch im Dienst privater Firmen. Störende öffentliche Kontrolle gab es
       bisher nicht. Die Familie Janukowitsch ist in den letzten Jahren sehr
       schnell sehr reich geworden.
       
       Just diese Korruption macht jede Finanzhilfe von außen schwierig. Der
       ukrainische Staat benötigt Geld für Gehälter, Renten, Infrastruktur oder
       Bildung. Aber vieles von dem, was an Steuern eingenommen wurde, liegt auf
       Privatkonten im Ausland und verträgt sich dort gut mit dem, was hinterzogen
       wurde. Hilfszahlungen würden unter diesen Bedingungen vielleicht Schulden
       mindern helfen, aber sicher nicht bei den normalen Ukrainern ankommen.
       
       ## Die Schulden müsste die ärmere Bevölkerung zahlen
       
       Die Devisenreserven sind in wenigen Jahren zusammengeschmolzen. Sie wurden
       größtenteils eingesetzt, um sinkende Staatseinnahmen zu kompensieren. Die
       Schulden sind geblieben. Westlichen Werten entsprechend müssen sie bezahlt
       werden, und dafür ist dann de facto die ärmere Bevölkerung zuständig. Viel
       zu privatisieren gibt es in der Ukraine aber nicht mehr.
       
       In dieser Situation ist Russland keine Hilfe. Der Kreml nutzt die
       Abhängigkeit der Ukraine von russischem Öl und Gas als Repressionsmittel.
       Julia Timoschenko handelte im Winter 2008/09 allein und ohne den
       Zwischenhändler RusUkrEnergo einen sehr hohen russischen Gaspreis aus.
       Unter Janukowitsch wurde ihr unterstellt, sie habe sich kaufen lassen.
       Natürlich war der Prozess gegen sie gezinkt. Aber völlig unrealistisch
       erschienen die Vorwürfe nicht.
       
       Das Kalkül Putins, der jetzt die nationalistische russische Karte
       ausspielt, ist aber töricht. Er verhängt Sanktionen und Boykotte gegen ein
       Land, in dem er im eigenen Interesse um die Sympathie der Bevölkerung
       werben sollte. Da ist der Westen klüger: Er lockt mit Versprechungen.
       
       Was aber auf die EU zukommt, sind erhebliche finanzielle Erwartungen, denen
       keine realistischen Reformerwartungen entsprechen. Das bedeutet nicht, dass
       die EU keine ernsthaften eigenen Interessen in der Ukraine verfolgen würde.
       Da gibt es zum Beispiel die besonders fruchtbare „schwarze Erde“. 45
       Prozent des Landes sind Schwarzerdegebiet , das sind fast 9 Prozent der
       gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Schwarzerdefläche der Welt.
       
       Die sowjetische Landwirtschaft hatte zwar die Bodenqualität verschlechtert
       und das landwirtschaftliche Können in der Bevölkerung gemindert. Aber nun
       steigen die Erträge rapide an. Bei Gersteexporten steht die Ukraine
       weltweit an erster Stelle, bei Mais an dritter, bei Weizen an sechster.
       
       Seit 2011 werden Lebensmittelexporte nicht mehr beschränkt. Die chinesische
       Firma XPCC hat bereits eine Fläche von der Größe Brandenburgs aufgekauft,
       auf der für den chinesischen Markt produziert werden soll. Aber auch die
       Anlagemöglichkeiten für europäische Agrochemieunternehmen sind
       atemberaubend. Für all diese Geschäfte aber braucht die Ukraine Stabilität.
       
       1 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erhard Stölting
       
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